HR Today Nr. 6/2016: Porträt

Der Trainer

Julien Baehni ist nach einem offenen Machtkampf gerade mal 31-jährig Head of Human 
Resources bei der Uefa geworden. Derzeit bereitet der gelernte Banker die Non-Profit-Organisation 
unter Hochdruck auf die anstehende Europameisterschaft in Frankreich vor. Dennoch hat er Zeit 
für ein Gespräch mit HR Today gefunden.

Einen Monat vor dem Anpfiff der EM 2016 herrscht am Sitz der Uefa, des Dachverbands von 55 nationalen Verbänden, Hochbetrieb. Acht Milliarden Zuschauerinnen und Zuschauer werden das Turnier im Fernsehen verfolgen. Julien Baehni ist Head of Human Resources bei der Uefa.

Federnden Schrittes kommt er uns an der Rezeption der Maison du football européen in Nyon entgegen. Trotz seiner überbordenden Agenda und der Skandale, die seine Organisation erschüttern, hat er sofort zugestimmt, HR Today für zwei Stunden zu empfangen. Mit seinen nur 35 Jahren gehört dieser dynamische, fröhliche Lausanner nicht zu den Menschen, die sich unter Druck setzen lassen.

Wir sind wahrscheinlich nervöser als er. Gleich neben uns bemerken wir den legendären niederländischen Goalie Edwin van der Sar, der mit den Händen in den Taschen und der Lässigkeit eines Menschen, den nicht mehr viel beeindrucken kann, auf den Genfersee hinausblickt. «Möchten Sie, dass ich Sie vorstelle?», bietet Julien Baehni zuvorkommend an. Wir lehnen höflich ab, denn wir sind nicht sicher, ob die TV-Abende bei all den (ebenfalls von der Uefa organisierten) Champions-League-Spielen mich als Chefredaktor der französischen Version von HR Today für eine solche Ehre legitimieren.

Liebe Leserinnen, bitte sehen Sie mir dieses Porträt nach, das Assoziationen an feuchten Rasen und an mit Erde verklebte Fussballstollen weckt. Doch Sie können beruhigt sein: Wir sind nicht hier, um über Taktik und Schiedsrichter zu sprechen. Sondern um zu erfahren, womit sich ein Head of Human Resources einer Fussballgrossorganisation wenige Wochen vor einem internationalen Turnier beschäftigt.

Zur Person

Der Waadtländer Julien Baehni (35) wächst in Saint-Sulpice in einer Buchhändler-Familie auf. Seine Eltern führen in Renens eine auf Bergführer spezialisierte Buchhandlung. Bei der UBS tritt er 1996 eine KV-Lehre an. Er absolviert die Berufsmatur und entdeckt dabei sein Interesse für Wirtschaft und Finanzmärkte. Kurz vor der Finanzkrise verlässt er 2008 den Bankensektor und unternimmt eine lange Reise durch Australien, Asien und Lateinamerika, wo er sein Sprachenportfolio mit Spanisch bereichert. Im Süden Argentiniens weilend, teilt ihm die Uefa mit, dass seine Bewerbung erfolgreich war. 2009 wird er von der Uefa als HR-Spezialist eingestellt. 2012 übernimmt er nach einem offenen Machtkampf den Posten des Head of Human Resources.

23'000 Bewerbungen pro Jahr

Für Julien Baehni hat die Organisation der EM 2016 bereits im Jahr 2013 begonnen. In Bezug auf die Personalplanung beginnen die Vorbereitungen eines solchen Anlasses Jahre im Voraus. «Wir haben schon 2013 mit der Rekrutierung begonnen. Von 420 Mitarbeitenden werden wir uns während des Turniers auf 600 steigern.» Davon sind 36 Prozent Frauen. Weiter kommen 6500 freiwillige Helfer hinzu, die vom französischen Organisationskomitee ausgewählt werden. Zu den gesuchten Profilen gehören insbesondere Ticketexperten, Sponsorenbetreuer, technisches Personal für die Vorbereitung der Stadien sowie Veranstaltungs- und TV-Produktionsspezialisten. «Wir erhalten jedes Jahr über 23'000 Bewerbungen», erklärt Baehni. «Es handelt sich vor allem um Fussballbegeisterte, die davon träumen, für uns zu arbeiten. Einer von ihnen hat sich bereits 170 Mal beworben», lächelt er. Dank der Strahlkraft der weltweit bekannten Marke und dank einer abgestimmten Rekrutierungsstrategie kann die Uefa alle Einstellungen selbst abwickeln. «Die klassische Rekrutierung mit der Ausschreibung lediglich auf der Website gehört der Vergangenheit an. Wir verfolgen heute einen sehr viel proaktiveren Approach via Linkedin sowie andere spezialisierte Plattformen mit Statistiken und Analyse der Wirksamkeit jedes einzelnen Kanals.»

Alle damit zusammenhängenden juristischen und administrativen Aspekte werden durch das HR-Team von Julien Baehni bearbeitet. «Der Umgang mit den französischen Arbeitsgesetzen ist eine ordentliche Herausforderung. Die Arbeitszeitbeschränkungen zum Beispiel haben uns gezwungen, innovative Lösungen zu finden. Auch im Hinblick auf Arbeitsverträge, ärztliche Bescheinigungen und Lohn muss alles einwandfrei sein», erklärt er.

Neben diesen administrativen Aufgaben verbringt Julien Baehni viel Zeit mit der Betreuung des Personals bei der Wiedereingliederung. «Da die meisten Verträge befristet sind, unterstützen wir unsere Mitarbeitenden hinsichtlich ihrer weiteren Laufbahn. Wir bieten ihnen ein professionelles Fotoshooting und Beratung für die Pflege ihres Linkedin-Profils und ihres CVs, den wir auf Jobbörsen für die Bereiche Sport und Events verbreiten.» Ausserdem stelle man den Mitarbeitenden Persönlichkeitstests und eine Agenda der kommenden internationalen Sportanlässe zur Verfügung. «Ich vergleiche meine Funktion als Head of Human Resources oft mit der eines Fussballtrainers», sagt Baehni. «Ich muss helfen, zuhören, motivieren, schulen, herausfordern und regulieren. Das Ziel ist ein guter Zusammenhalt im Team.»

Ein offenes Ohr in Zeiten der Ungewissheit

Julien Baehni betont auch den psychologischen Aspekt seiner Funktion. «Die strategische Dimension ist natürlich wichtig, aber sie darf nicht auf Kosten des Zuhörens gehen. Unser neuer Generalsekretär ad interim, der Grieche Theodore Theodoridis (der den Posten von Gianni Infantino nach dessen Ernennung zum Fifa-Chef übernommen hat, Anm. d. Red.), ist ein extrem guter Zuhörer. Ich begleite ihn, wenn er unsere Einheiten besucht. Er unterhält sich mit den Managern und besteht dann darauf, auch mit den Mitarbeitenden zu sprechen. Dieses aktive Zuhören hat uns dabei geholfen, die letzten Monate der Unsicherheit zu überstehen.»

Zur Erinnerung: Der Uefa-Präsident Michel Platini wurde im Oktober 2015 wegen einer Korruptionsaffäre seiner Funktionen enthoben. Mehr sagt Julien Baehni nicht zu diesem Thema. «Die Uefa ist eine sehr politische Organisation. Meine Rolle besteht darin, die Führung zu unterstützen und sicherzustellen, dass unsere Veranstaltungen gelingen.»

Wachsender Personalkörper

Beim Blick auf die Geschäftszahlen der Organisation wird schnell klar, was auf dem Spiel steht: Laut dem neuesten Finanzbericht hat die Uefa in der Saison 2014/2015 über zwei Milliarden Euro Einnahmen erzielt. Trotzdem wurde das Geschäftsjahr mit einem Defizit von 28 Millionen Euro abgeschlossen. Julien Baehni: «Unsere Tätigkeit verläuft in Zyklen. Ein Geschäftsjahr, in dem eine EM stattfindet, bringt einen Reingewinn, der in den folgenden drei Finanzjahren in den Fussball reinvestiert wird», erläutert Baehni.  Ziel sei «in Übereinstimmung mit den Statuten der Uefa als Non-Profit-Organisation» ein kumuliertes Ergebnis nahe bei einer schwarzen Null. «Über 80 Prozent unserer Geldeinnahmen werden an die Clubs und nationalen Verbände weitergegeben.» Zu beachten ist, dass diese Zahlen seit rund 15 Jahren stetig steigen. Die Kommerzialisierung des Fussballs ist stark vorangeschritten: Die Preise für die Fernsehrechte, der Wert der Werbeverträge und die Spielergehälter sind explodiert.

Ähnlich verhält es sich mit dem Personalkörper: Von rund 100 Mitarbeitenden im Jahr 2000 ist die Uefa-Belegschaft bis 2015 auf 420 Personen angewachsen (ausserhalb der EM). «Wir organisieren über 2000 Spiele pro Jahr», erklärt Baehni. «Dazu kommt unser Engagement für das finanzielle Fair Play, mit dem wir sicherstellen, dass alle Clubs gleich behandelt werden. Ausserdem haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche die Manipulation von Spielen verhindern soll, wobei Analysesysteme zum Einsatz kommen, welche die Vorkommnisse im Spiel mit den Aktivitäten bei Sportwetten vergleichen.»

Ausgeprägter Sinn für Diplomatie

Welche Projekte liegen ihm aus Personaler-Sicht am meisten am Herzen? «Wir haben 2015 einen Prozess eingerichtet, der Mobbing und sexuelle Belästigung verhindern soll. Dazu gehören eine interne Vertrauensperson und ein externer Mediator.» Die Initiative mit dem Namen «We care about you» unterstreiche die Nulltoleranz gegenüber jeglicher Form von sexueller Belästigung und Diskriminierung, während ein anderes grosses HR-Projekt mit dem Namen «Uefa People» auf den drei Schlüsselwörtern «Passion», «Purpose» und «Pride» beruhe. Ziel sei es, die Leistung der Mitarbeitenden – auch während der EM – ins rechte Licht zu rücken. «Wir sammeln Erfahrungsberichte der Mitarbeitenden, erstellen Infografiken und Videos als Zeichen der Anerkennung und als wertvolles Material für unsere nächsten Einstellungskampagnen.»

Julien Baehni wurde 2009 von der Uefa als HR-Spezialist eingestellt. 2012 übernahm er nach einem offenen Machtkampf den Posten des Head of Human Resources von Andreas Korner. Was gab den Ausschlag? «Wahrscheinlich waren meine Sprachkenntnisse und meine Offenheit Pluspunkte für mich. In einer Organisation wie der Uefa braucht man einen ausgeprägten Sinn für Diplomatie.» Julien Baehni fühlt sich offensichtlich sehr wohl in dieser mit Stars gespickten Umgebung. Regelmässig begegnet er ehemaligen Fussballgrössen, welche die zweite Hälfte ihrer beruflichen Laufbahn mit Vorliebe auf der Teppichetage der Uefa verbringen. Eine Anekdote gefällig? «Eines Morgens begegnete mir der Spieler Franck Ribéry. Er sah etwas angespannt aus. Danach habe ich erfahren, dass er für eine disziplinarische Angelegenheit im Haus war», verrät Baehni.

Vom Banker zum HR-Chef

Seine eigene Karriere hingegen ist makellos. Er wächst in Saint-Sulpice (Kanton Waadt) auf. Seine Eltern führen in Renens eine Buchhandlung, die auf Bergführer spezialisiert ist. 1996 tritt er als KV-Lehrling bei der UBS ein. Dort absolviert er die Berufsmatur und entdeckt sein Interesse für Wirtschaft und Finanzmärkte. Die Bank schickt ihn zur Beratung wohlhabender Kunden nach Zürich. Hier erlernt er die deutsche Sprache und kehrt dann an den Genfersee zurück. Nach einer Weiterbildung an der HEIG-VD in Betriebswirtschaft wechselt er in die Einstellungsabteilung der UBS in Lausanne und lernt während drei Monaten bei seinen Rekrutierungskollegen im Tessin endlich seine Lieblingssprache. «Ich habe schon immer gern Einstellungsgespräche geführt. Das liebe ich an meinem Beruf: das Leben anderer Menschen kennenzulernen, indem ich ihren Lebenslauf lese oder ihrem Werdegang zuhöre.» 2008, kurz vor der Finanzkrise, verlässt er den Bankensektor und unternimmt eine lange Reise durch Australien, Asien und Lateinamerika, wo er sein Sprachenportfolio mit Spanisch bereichert. Er befindet sich gerade in Ushuaia im Süden von Argentinien, als die Uefa ihm mitteilt, dass seine Bewerbung erfolgreich war.    

Uefa

Die Union der europäischen Fussballverbände Uefa ist die kontinentale Dachorganisation von 55 Nationalverbänden aus ganz Europa und damit auch Organisatorin der Europameisterschaften. Die Uefa ist ein im Handelsregister eingetragener Verein im Sinne des Schweizerischen Zivilgesetzbuches und versteht sich als Non-Profit-Organisation. Die Uefa beschäftigt heute 420 Mitarbeitende.

 

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Marc Benninger ist Chefredaktor der französischen Ausgabe von HR Today.

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