Employer Branding

Divergierende Karrierevorstellungen 
erschweren die Bedarfsanalyse im HRM

Entgegen den Erwartungen der Forschung zeigen die Ergebnisse des aktuellen HR-Barometers, dass mehr als die 
Hälfte der Befragten eine traditionelle Laufbahnform bevorzugt. Nur knapp ein Drittel sucht eine alternative und lediglich ein Fünftel eine eigenverantwortliche Laufbahn. Dieses Resultat überrascht, beschäftigt sich doch die Mehrheit der 
wissenschaftlichen Studien mit neuen Formen von Karrieren.

Im Rahmen der HR-Barometer-Studie der ETH und der Universität Zürich wurden repräsentativ 1007 Arbeitnehmende in der Deutschschweiz telefonisch befragt, welche Art von beruflicher Laufbahn sie bevorzugen. Anhand der Antworten konnten in Übereinstimmung mit der Forschung vier Karrieretypen identifiziert werden. Die traditionelle Laufbahn ist gekennzeichnet durch Vollzeitanstellung in einem oder zwei Unternehmen im Verlauf des gesamten Arbeitslebens. Dazu konnten zwei Formen des traditionellen Karrieretyps unterschieden werden: Eine «aufstiegsorientierte Laufbahn» verfolgen Personen, die innerhalb eines Unternehmens Karriere machen möchten und höhere Positionen anstreben.

Arbeit und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber sind in ihrem Leben zentral. Eine «sicherheitsorientierte Karriere» bevorzugen Personen, die sich ebenfalls stark mit ihrem Unternehmen verbunden fühlen. Für sie steht jedoch Arbeitsplatzsicherheit und weniger Aufstieg oder berufliches Vorankommen im Vordergrund. Der «eigenverantwortliche Karrieretyp» zeichnet sich dadurch aus, dass gerne Eigenverantwortung für die Arbeit und die berufliche Laufbahn übernommen wird. Für Personen mit diesem Laufbahnmuster ist es wichtig, sich ständig weiterzuentwickeln und vielfältig einsetzbar zu sein. Aus diesem Grund streben sie im Verlauf ihres Arbeitslebens auch unterschiedliche Anstellungen bei verschiedenen Arbeitgebern an. Arbeit und beruflicher Erfolg bestimmen das Leben von Personen mit einer alternativen Laufbahnorientierung – dem vierten Karrieretyp – weniger. Sie erachten Arbeit zwar ebenfalls als wichtig, messen jedoch der Work-Life Balance besondere Bedeutung bei und zeichnen sich durch Gegenwartsorientierung aus.

Wie verbreitet sind nun aber diese Karrieretypen? In der Forschung wurde bislang postuliert, dass traditionelle Laufbahnformen abnehmen und dafür neuartige, von vielen Stellenwechseln sowie einer Verschiebung der Verantwortung auf die Arbeitnehmenden geprägte Laufbahnen häufiger werden. Andererseits könnte die momentan gute Wirtschaftslage aber auch dazu führen, dass die Arbeitnehmenden aufgrund der Beschäftigungs
sicherheit nicht mehr Eigenverantwortung übernehmen, sondern sich umgekehrt vermehrt ausserberuflichen Beschäftigungen zuwenden.

Der Anteil der Eigenverantwortlichen hat nicht zu-, sondern abgenommen

Entgegen den Erwartungen der Forschung zeigen nun die Ergebnisse der HR-Barometer-Studie, dass mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) eine der beiden traditionellen Laufbahnformen bevorzugt. Knapp ein Drittel (31 Prozent) präferiert eine alternative und lediglich ein Fünftel (18 Prozent) eine eigenverantwortliche Laufbahn. Dieses Resultat überrascht, beschäftigt sich doch die Mehrheit der wissenschaftlichen Studien mit sogenannt neuen Formen von Karrieren. Diese zweifelsohne interessanten Erscheinungen täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass die Mehrheit der Beschäftigten sich immer noch eine traditionelle Karriere mit Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb eines Unternehmens wünscht.

Es stellt sich die Frage, ob nicht zumindest eine Tendenz erkennbar ist, wonach Mitarbeitende eine von mehreren Arbeitgeberwechseln geprägte Karriere anstreben. Ein Vergleich mit den Ergebnissen des HR-Barometers der Vorjahre zeigt, dass der Anteil der Eigenverantwortlichen nicht zu-, sondern sogar abgenommen hat. Demgegenüber ist der Anteil der Traditionellen stabil geblieben. Zugenommen hat jedoch der Anteil der Alternativen.

Klassische Rollenverteilung

Um dieses Phänomen zu erklären, sollen die Personen eines bestimmten Karrieretyps charakterisiert werden. Es sind signifikant häufiger Männer, die eine eigenverantwortliche oder aufstiegsorientierte Laufbahn anstreben. Überproportional häufig befinden sich diese Personen (bereits) in einer Führungsposition. Frauen bevorzugen demgegenüber häufiger eine sicherheitsorientierte und alternative Laufbahn. Personen mit diesem Laufbahntyp haben seltener eine Führungsposition inne. Betrachtet man die Merkmale Geschlecht und berufliche Stellung, entsprechen die Resultate also durchweg allgemeinen Bildern der Rollenverteilung: Männer konzentrieren sich häufiger auf Beruf und Karriere, während Frauen – gerade mit zunehmendem Alter – den Lebensinhalt häufiger ausserhalb der Erwerbsarbeit sehen.

Der niedrige Anteil von Frauen in Chefetagen hängt auch damit zusammen, dass Teilzeitarbeit in der Schweiz vorwiegend ein weibliches Phänomen ist. In der HR-Barometer-Studie sind mehr als die Hälfte der befragten Frauen teilzeitlich erwerbstätig. Bezüglich Alter und Ausbildung zeigen die Resultate des HR-Barometers folgendes Bild: Jüngere und gut ausgebildete Personen verfolgen besonders häufig eine eigenverantwortliche Karriere, während ältere und weniger gut gebildete Arbeitnehmende eine sicherheitsorientierte Laufbahn bevorzugen. Bei Eintritt ins Berufsleben sind Mitarbeitende risikobereiter, mit zunehmendem Alter ändern sich die eigenen Wertvorstellungen und Beschäftigungssicherheit rückt mehr in den Mittelpunkt.

Ist es aber nicht so, dass immer mehr Beschäftigte den Wunsch nach einer Veränderung verspüren? Die Ergebnisse des HR-Barometers zeigen, dass sich fast jeder dritte Beschäftigte gedanklich mit einer Kündigung beschäftigt. Dieser Prozentsatz ist über die letzten drei Jahre hinweg sogar leicht angestiegen. Gleichzeitig sind die meisten Arbeitnehmer, auch im europäischen Vergleich, mit ihrer Arbeitsstelle sehr zufrieden, fühlen sich ihrem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet und berichten von guten Arbeitsbedingungen. Diese Konstellation mag dazu führen, dass eine in Erwägung gezogene Kündigung doch nicht umgesetzt wird.

Eine Detailanalyse zeigt ferner, dass eine spezielle Gruppe von Personen besonders häufig von starken Kündigungsabsichten berichtet: gut ausgebildete und arbeitsmarktfähige Mitarbeitende. Sie tun dies aber weniger aus Missmut gegenüber ihrem Job. Dies zeigt sich darin, dass bei Personen mit Kündigungsabsichten der Anteil progressiv arbeitszufriedener und konstruktiv arbeitsunzufriedener weitaus grösser ist als bei Personen ohne Kündigungsabsichten: es handelt sich um Mitarbeitende, die aus eigenem Antrieb etwas an ihrer beruflichen Situation ändern wollen. Sie beschäftigen sich deshalb gezielt mit einer Kündigung, um bei guter Arbeitsmarktlage ihre berufliche Laufbahn zu fördern.

Die laufbahnbezogenen Bedürfnisse der Mitarbeitenden erkennen

Was lassen sich aus den vorliegenden Resultaten für Empfehlungen ableiten? Die Erkenntnis, dass sich in der Deutschschweiz eindeutig Gruppen von Arbeitnehmenden mit unterschiedlichen laufbahnbezogenen Bedürfnissen identifizieren lassen, hat wichtige Implikationen für die Gestaltung des Laufbahnmanagements. Auch auf die zu Beginn gestellte Frage nach der neuen Rolle des Arbeitgebers beim Karrieremanagement lassen sich Antworten entwickeln. Grundsätzlich scheint der Ruf nach vermehrter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse gerechtfertigt zu sein, womit besonders das Human Resource Management gefordert wird. Einerseits ist das Bestreben berechtigt, Mitarbeitenden des eigenverantwortlichen Karrieretyps möglichst viele Beschäftigungs- und Lernmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit diese vermehrt Verantwortung für ihre beruflichen (Aufstiegs-)Möglichkeiten übernehmen können. Weiterbildung und vielseitige Einsetzbarkeit sollen gefördert werden.

Gleichzeitig üben Optionen von traditionellen Karrieren innerhalb eines Unternehmens nach wie vor eine grosse Anziehung aus. Sicherheit und Vollzeitanstellung sowie Möglichkeiten eines hierarchischen Aufstiegs sind für viele Mitarbeitende immer noch zentraler Bestandteil ihrer angestrebten Karriere. Für alternativ Karriereorientierte ist es besonders wichtig, eine gute Balance zwischen Arbeits- und Privatleben zu finden. Für sie sind Angebote, die die Vereinbarkeit des Berufs mit familiären oder sozialen Verpflichtungen ermöglichen, von grosser Bedeutung.

Die Unternehmen stehen künftig somit noch stärker vor der schweren Aufgabe, unternehmensseitige Anforderungen und arbeitnehmerseitige Karrierevorstellungen in Übereinstimung zu bringen. Dazu ist es notwendig, Kenntnisse über die laufbahnbezogenen Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu haben. Nur so können adäquate Massnahmen abgeleitet werden, um die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Ansonsten besteht die Gefahr, dass unternehmensseitig Angebote entwickelt werden, für die gar kein Bedarf entsteht und die von den Mitarbeitenden nicht wie erwünscht in Anspruch genommen werden. Nötig sind zielgruppenspezifische Angebote. Gerade in diesem Punkt scheint es aber noch Handlungsbedarf zu geben.

Nicht erfüllte Erwartungen haben stark negative Auswirkungen

Vergleicht man die Höhe der Erwartungen der Mitarbeitenden an ihren Arbeitgeber hinsichtlich interessanter Arbeitsinhalte, Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen oder Möglichkeiten, Eigenverantwortung zu übernehmen, zeigt sich, dass sich die vier Karrieretypen signifikant unterscheiden. Gleichzeitig zeigt sich, dass alle Befragtengruppen die gleichen Angebote vom Unternehmen erhalten. Dies führt dazu, dass die Erwartungen bestimmter Mitarbeitergruppen nicht erfüllt werden.

Eigenverantwortliche berichten etwa, dass sie nicht spezifisch gefördert werden. Dies obwohl Eigenverantwortung von den Firmen immer wieder gefordert wird. Ob Eigenverantwortliche wirklich nicht spezifisch gefördert werden oder ob sie dies aufgrund ihrer hohen Erwartungshaltung nur so wahrnehmen, kann anhand der Daten nicht beantwortet werden. Was hingegen mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass subjektiv nicht erfüllte Erwartungen stark negative Auswirkungen auf die Befindlichkeit der Betroffenen ausüben. Die Folgen sind tiefere Zufriedenheit mit der Arbeit, der Work-Life Balance und der beruflichen Laufbahn, niedrigeres Commitment sowie stärkere Kündigungsabsichten. Die Ergebnisse des HR-Barometers zeigen ferner, dass die Erwartungen der traditionell Orientierten durch entsprechende Angebote am besten erfüllt werden. Dies verdeutlicht, dass auch unternehmensseitig immer noch traditionelle Karrieren bevorzugt werden.

Die Unterschiedlichkeit sowie die weite Verbreitung der Karrieretypen erfordern, dass Unternehmen verschiedene Karrieremöglichkeiten anbieten. Besonders attraktiv sind, auch in Zeiten, in welchen Veränderungen der Arbeitswelt postuliert werden, aber immer noch traditionelle Karriereoptionen.

HR-Barometer 2008

Das Schweizer Human-Relations-Barometer 2008 (HR-Barometer) misst, wie es um das Arbeitsklima in Schweizer Unternehmen bestellt ist. Dabei werden zahlreiche Themen wie Arbeitszufriedenheit, Motivation, Arbeitsflexibilisierung, psychologischer Vertrag, Personalentwicklung oder auch Karriereorientierungen untersucht. Das HR-Barometer wird von Prof. Dr. Gudela Grote, Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich, und von Prof. Dr. Bruno Staffelbach, Inhaber des Lehrstuhls für Human Resource Management an der Universität Zürich, in einem jährlichen Turnus herausgegeben.

  • Grote, Gudela/Staffelbach, Bruno (Hrsg.): 
Schweizer HR-Barometer 2008. 
Lohnzufriedenheit und psychologischer Vertrag. 136 Seiten, gebunden, CHF 80.– NZZ Libro, Buchverlag Neue Zürcher Zeitung, ISBN 978-3-03823-421-0

 

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Marius Gerber ist Leiter der Fachstelle für Human Capital an der ZHAW School of Management and Law in Winterthur.

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Lic. phil. Dorothea Brunner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Human Resource Management der Universität Zürich.

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Lic. phil. Cécile Tschopp, wissenschaftliche Assistentin an der Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich.

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Lic. phil. Martin Bannwart, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Human Resource Management der Universität Zürich.

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