Kommentar

Unternehmen müssen mehr Philosophie wagen

Die Digitalisierung erfordert Mut. Auch wenn es darum geht, Führungspositionen zu besetzen. Gastautorin Magdalena Hoffman plädiert für mehr Philosophen in den Chefetagen.

«Und was machst Du später damit?» Es gibt kaum einen Philosophiestudenten, der nicht mit dieser Frage konfrontiert wird. Noch immer gelten Philosophinnen und Philosophen als weltfremde, abgehobene Personen, die intellektuelle Nabelschau betreiben. Dies mag etwas zugespitzt sein, Fakt ist aber, dass ihnen weder Führungsqualitäten noch Unternehmergeist zugetraut werden – zumindest nicht in der Schweiz.

In den angelsächsischen Ländern ist man diesbezüglich viel offener und selbst in Deutschland hat sich etwas getan: So hat etwa das internationale Medien-, Dienstleistungs- und Bildungsunternehmen Bertelsmann ein auf Geistes- und Sozialwissenschaftler zugeschnittenes Traineeprogramm entwickelt. Der Grundgedanke: Das fachliche Know-How kann man auch «on the job» erwerben, das nötige Mindset nicht. Mit dieser Haltung scheint der Konzern einen Nerv getroffen zu haben: Mehr als 700 Bewerbungen gingen in der ersten Runde ein. Die zweite hat das Unternehmen – aufgrund der positiven Erfahrung mit den Trainees – im Frühjahr 2018 lanciert.

Gefragte Kompetenzen

Die hiesige Zurückhaltung bei der Besetzung von Führungspositionen mit Geisteswissenschaftlern im Allgemeinen und Philosophen im Besonderen mag viele, darunter politische und gesellschaftliche, Gründe haben. Doch sind es gute Gründe? Und wird man sich diese Zurückhaltung künftig noch leisten können? Die Digitalisierung wird vor allem von Führungskräften Kompetenzen und Eigenschaften fordern, die Philosophinnen und Philosophen aufgrund ihrer Ausbildung mitbringen.

Bewusstsein für die ethische Dimension der Digitalisierung

Es ist naiv anzunehmen, dass die Digitalisierung wertneutral ist. Nein, neue Geschäftsfelder und -praktiken stellen auch neue ethische Herausforderungen dar, die man nicht einfach der Compliance-Abteilung überlassen kann. Führungskräfte werden sich künftig positionieren müssen, wenn Fragen auftauchen wie: Wem stellen wir unsere Algorithmen zur Verfügung? Wie verhindern wir Missbrauch mit den gespeicherten Daten? Wollen wir uns selbst Grenzen setzen, auch wenn deren Überschreitung Gewinn verspricht? Das sind zentrale ethische Fragen, die einen entsprechenden Hintergrund erfordern: Das Wissen um moralische Konzepte und Werte sowie den Umgang mit ethischen Dilemmata.

Wille zum frühzeitigen Gestalten

Auch wenn wir seit jeher den Umgang mit neuen Technologien – etwa mit dem Automobil, oder dem Fernseher – erst einüben mussten, dürfte die Digitalisierung uns mehr als alle anderen Technologien herausfordern. Denn sie stellt unser Mensch-Sein selbst in Frage – so etwa, wenn es um die Frage nach dem Status von Robotern und Cyborgs geht.

Das heisst, dass sich Führungskräfte nur noch sehr begrenzt auf frühere Erfahrungen berufen können: Stattdessen müssen sie sich ein neues, eigenes Urteil bezüglich der Digitalisierung bilden – und dies nicht erst im Nachhinein, sondern schon beim Designen von Robotern und bei der Programmierung von Algorithmen. Dafür braucht es vor allem Vorstellungskraft, geistige Flexibilität sowie den Mut zu unbequemen Fragen.

Bereitschaft zur präzisen Analyse

Das Tempo der Digitalisierung ist beeindruckend und die denkbaren Szenarien gleichen früherer Science Fiction. Die Reaktionen darauf schwanken zwischen Faszination wie etwa beim medizinischen 3-D-Druck und Entsetzen, wenn es etwa um Militärroboter geht. Solche Szenarien offenbaren ein politisches und rechtliches Vakuum, das meist auch eine konzeptionelle Dimension beinhaltet: Worum geht es hier eigentlich? Involvierte Führungskräfte werden dieser Frage seitens Gesellschaft und Politik nicht ausweichen können. Um Antworten zu finden, brauchen sie ausgeprägte analytische Fähigkeiten und müssen argumentativ stark sein.

Philosophie als Erfolgsgeheimnis

Selbstverständlich muss bei Stellenbesetzungen das «Gesamtpaket» überzeugen und Auftreten, Motivation und Persönlichkeit der Bewerberin müssen ebenfalls stimmen. Trotzdem gibt es mit Blick auf zukünftige Herausforderungen keine guten Gründe mehr, Philosophen bei der Besetzung von Führungspositionen zu ignorieren. Mut ist gefragt.

Oder denken Sie, dass Reid Hoffman, Mitbegründer von Linkedin, Stewart Butterfield, Gründer von Flickr, und Damon Horowitz, ehemaliger Director of Engineering bei Google, inkompetente Unternehmer oder Führungskräfte sind? Eben. Die genannten Herren haben gemeinsam, dass sie Philosophie studiert haben. Mehr noch: Auf ihr Erfolgsgeheimnis angesprochen, nennen sie ihre Ausbildung in Philosophie. Dadurch hätten sie die nötige Denkweise erhalten – alles andere sei «on the job» dazugekommen.

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Magdalena Hoffmann, promovierte Philosophin, ist seit 2014 Studienleiterin des Weiterbildungsstudiengangs «Philosophie + Management» (CAS/DAS/MAS) an der Universität Luzern.

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