HR Today Nr. 10/2022: Green Economy - Michael Uebersax

Ständig etwas Neues lernen

Vom Theologen zum HR-Leiter: Die Karriere von Michael Uebersax wirkt nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Denn beide Professionen befähigen, begleiten und unterstützen Menschen. Seit Januar 2022 tut Uebersax dies bei der Model AG in Weinfelden.

Altkarton: von der Strasse in die Papierfabrik. Von der Fabrik in die Verpackungsfertigung. Von der Fertigung via eigenem Transportunternehmen zu den Unternehmenskundinnen und -kunden. «Viele Unternehmen setzen auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, weil es gerade chic ist. Wir tun es seit jeher, denn es ist Teil unserer Wertschöpfung», erklärt Michael Uebersax, Head of HR Schweiz und Geschäftsleitungsmitglied der familiengeführten Model AG mit Hauptsitz in Weinfelden. Seit 140 Jahren produziert der Betrieb Verpackungslösungen aus Well- und Vollkarton. Nicht ganz so viel Erfahrung in der Verpackungsbranche hat der 43-jährige HR-Leiter, der zuvor bei Swissport als Head of Engagement and Development / Learning and Development for Central and Eastern Europe tätig war.

Er arbeitet erst seit Januar 2022 bei Model, hat sich aber bereits «gut eingelebt». Neu an seiner Aufgabe ist nicht nur das Branchenumfeld, sondern auch die HR-Gesamtleitungsfunktion. Seine Begeisterung für diese neue Aufgabe kann man förmlich spüren. «Ich konnte vom ersten Tag an mitgestalten. Das ist es, was ich schätze: neue Wege gehen und ständig etwas Neues dazulernen.» Uebersax ist kein Verwalter, sondern ein Gestalter. Das hat auch mit seinem Selbstverständnis des HR zu tun: «Es muss einen Mehrwert für das Unternehmen schaffen und sich konsequent danach ausrichten.»

Führungskräfte befähigen

Beim Familienunternehmen halten Michael Uebersax zurzeit die unterschiedlichsten Themen auf Trab. «Um den Überblick zu behalten, schätze ich mein Kanban-Board im Büro.» Die zahlreichen bunten Post-its auf dem Whiteboard setzen den HR-Leiter darüber in Kenntnis, in welchem Stadium er und sein achtköpfiges HR-Team zurzeit bei der Umsetzung einzelner Vorhaben stehen. «Sie zeigen, wo wir priorisieren müssen, damit wir auf Kurs bleiben.» Beispielsweise bei der Erarbeitung der neuen HR-Strategie. «Diese beinhaltet Themen wie New Work, Leadership 4.0, Employer Branding oder Performance- und Talentmanagement, fragt aber auch danach, wie wir HR-Prozesse künftig effizienter gestalten können.»

Hierfür sei die Digitalisierung ein wichtiger Schlüssel. «Die meisten HR-Prozesse haben wir bereits digitalisiert. Wir arbeiten jedoch noch mit zahlreichen HR-Einzelsoftwares statt mit einer Gesamtlösung. Das ist historisch so gewachsen.» Eine Koppelung der einzelnen IT-Systeme sei angezeigt. «Deshalb suchen wir zurzeit eine durchgängige HR Suite.» Keine einfache Aufgabe, da diese künftig nicht nur an den drei Schweizer Standorten Weinfelden, Niedergösgen und Moudon zur Anwendung käme, sondern auch an jenen in Deutschland, Tschechien, Polen und Kroatien.

Abwarten und Tee trinken ist nicht Michael Uebersax’ Sache. Kaum im neuen Job angekommen, installierte er als Erstes ein neues Führungskräfteprogramm. «Wenn wir Führungskräfte befähigen, können wir viel für das Unternehmen herausholen. Nicht kurz-, aber langfristig.» Das viertägige Leadership-Journey-Programm startet erstmals im Oktober 2022. In den Genuss kommen zunächst Mitglieder der untersten Führungsebene: «Bei ihnen besteht die grösste Hebelwirkung.» Daneben erarbeitete Uebersax mit seinem HR-Team ein neues HR-Kennzahlen-Set. «Nicht nur, um festzustellen, wie viel Fluktuation wir haben, sondern auch, um herauszufinden, welche Gründe dahinterstecken. Nur mit diesem Wissen können wir geeignete Massnahmen ableiten.» In Zeiten des Fachkräftemangels sei das essenziell. «Hinzu kommt: Wir sind ein Schichtbetrieb.» Deshalb laufen die Maschinen in der Papierfabrik bei Model rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche. Das sei nicht jedermanns Sache.

Um die Leute trotz der manchmal ungünstigen Arbeitszeiten zu halten, seien die Stabilität und Planbarkeit der Schichtpläne wichtig, betont Uebersax. «Das gilt  aber auch für nicht materielle Benefits. Beispielsweise unsere eigene solide Pensionskasse und ein Personalrestaurant am Standort Weinfelden.» Ausserdem gebe sich das Unternehmen bei Weiterbildungen grosszügig. Mitarbeitende halten ist das eine, sie zu finden das andere. «Bei Produktions-Peaks greifen wir oft auf Temporärmitarbeitende zurück. In vielen Fällen können wir sie nach ihrem Einsatz festanstellen.» Schwieriger zu finden seien indes Papiertechnologen, da dieser Beruf in der Schweiz nicht mehr ausgebildet werde. «Deshalb holen wir Leute aus Deutschland, wo dieser Beruf noch erlernt werden kann, oder schicken unsere Mitarbeitenden für Weiterbildungen dorthin.»

Theologie und HR

Michael Uebersax arbeitet in Weinfelden, lebt in Zürich und ist in Basel aufgewachsen. Das lässt sich bei seinem nach wie vor ausgeprägten Basler Dialekt nicht verschleiern, auch wenn er seit Beginn seines Theologiestudiums vor über 20 Jahren in Zürich lebt. Doch weshalb ein Theologiestudium? «Mich faszinierten die biblischen Geschichten und die Frage: Woher kommen wir?» Grund genug für ihn, nach der Matura 1999 an der Universität Zürich sein Studium zu starten, das er 2006 erfolgreich mit einem Lernvikariat zur Ordination als Pfarrer beendete. Schon während des Studiums merkt Uebersax jedoch, dass der Beruf des Pfarrers wohl nicht zur Lebensstelle wird. Zu wenig Möglichkeiten, um auszubrechen oder auf einer grünen Wiese neu zu beginnen. Für jemanden, der wie Uebersax innerlich getrieben ist und immer wieder etwas anpacken möchte, wäre dieser doch eher strukturierte Beruf langfristig irgendwann zu wenig gewesen.

Während seines Ordinariats 2006 fragt ihn ein Bekannter, ob er nicht eine 50-Prozent-Stelle bei der UBS als HR Specialist antreten wolle. Ein seltsames Angebot, nicht? «Ja, durchaus», sagt Uebersax. «Ich fragte mich auch, weshalb ich? Ihr seid eine Bank, ich bin ein Theologe.» Die UBS-Verantwortlichen antworteten dem damals 27-Jährigen, sie hätten bewusst jemanden mit einem anderen Werdegang gesucht. «Das hat mich beeindruckt. Deshalb sagte ich zu.» Bei der UBS beschäftigen ihn die Pandemievorbereitung und das betriebliche Gesundheitsmanagement. Zudem betreut er ein eigenes Care Team.

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Michael Uebersax (Bild: Aniela Lea Schafroth)

Dem HR-Leiter ist es wichtig, seine Mitarbeitenden zu befähigen: «Führung hat für mich viel mit Vertrauen zu tun.» (Bild: Aniela Lea Schafroth)

Der Einstieg gelingt: Die Themenbreite und die Teamarbeit faszinieren ihn. Parallel zur UBS lässt ihn die Theologie jedoch noch nicht gänzlich los. «Ich bekleidete bei der Bank ein 50-Prozent-Pensum. Das passte mit den Pfarrei-Teilzeit-Stellenangeboten zusammen.» Während sechs Monaten arbeitet Uebersax nun parallel als stellvertretender Polizeiseelsorger und weitere sechs Monate als stellvertretender Pfarrer im Aidspfarramt. Aushilfsweise amtet er zudem als Pfarrer in St. Peter. Alles läuft gut. Die unterschiedlichen Herausforderungen im HR und seine Tätigkeit als Pfarrer werden Uebersax nicht zu viel, sondern spornen ihn sogar an.

Ein Theologe als HRler – was bringt ihm das heute? «Im Theologiestudium geht es ebenfalls um Menschen. Zudem lernt man dort auch, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das ist für mich eine hilfreiche Fähigkeit.» Zudem beinhalte die praktische Ausbildung Themen wie Gesprächsführung sowie Beratung. Auch das nütze ihm in seiner heutigen Tätigkeit. Trotz dieser humanistischen Grundbildung und seiner ruhigen, überlegten Art ist Michael Uebersax im HR-Alltag kein «Gspürschmi-Typ». «Mich stört, dass HR oftmals auf den Good Guy im Unternehmen reduziert wird, der nur das Wohl der Mitarbeitenden im Auge hat. Es ist doch kein Widerspruch, wenn man gleichzeitig auf das Unternehmen und die Mitarbeitenden schaut.» Zumal es nur dann den Mitarbeitenden gut gehe, wenn es auch dem Unternehmen gut geht. Deshalb müsse man als HR ab und zu den Fokus auf das Unternehmen richten und auch unsympathische Entscheide treffen.

Kurz und bündig

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National oder International?
Beruflich suchte ich ein Unternehmen, das international ausgerichtet, aber national verwurzelt ist. Das passt auch privat zu mir. Ich bin in der Schweiz zu Hause, schätze aber die Reisen ins Ausland, um Neues zu entdecken.

Glaube oder Rationalität?
Für mich schliesst das eine das andere nicht aus. Zumal das Theologiestudium ein wissenschaftliches Studium ist.

Sehnsuchtsländer
Da gibt es einige. Mein Partner und ich reisen leidenschaftlich gerne und ich schreibe auch einen Reise-Blog (goniceplaces.blogspot.com). Müsste ich drei Länder nennen, wären das Griechenland, Indonesien und Tansania. Griechenland aufgrund seiner Geschichte, Kultur und des Meeres mit seinen unendlich vielen Farben. Indonesien aufgrund der Kultur, der verschiedenen Religionen und der genialen Tauchgründe, da ich ein passionierter Taucher bin. Und Tansania mit der Serengeti: Die endlose Weite hat mich beeindruckt, davon zehre ich immer noch.

Buch oder Film?
Ich lese sehr viele Sach- und Fachbücher. Nicht, weil ich muss, sondern weil es mich interessiert. Angefangen bei Themen wie HR, Leadership oder Organisationsentwicklung. Ein Buch, das mich kürzlich sehr beeindruckte, war «Turn the Ship Around!» von L. David Marquet. Der Autor zeigt darin auf, wie eine Kultur in einem hierarchischen System positiv verändert werden kann. In den Ferien gönne ich mir zudem ab und an einen guten Krimi – am liebsten Mafia-Plots, die alle Klischees der Italianità bedienen.

Gestalter oder Verwalter?
Definitiv Gestalter. Ich mag es, in einem Unternehmen zu ­arbeiten, in dem ich Handlungsspielraum besitze und Themen anpacken kann. Ich wäre nicht lange glücklich, wenn ich nur ein wenig am System schrauben könnte. Da wird es mir rasch langweilig. Zudem: HR soll Gestalter sein, um Unternehmen jenen Mehrwert zu bieten, damit es auch morgen noch gut aufgestellt ist.

Neue Wege beschreiten

Ein solcher HR-Entscheid trifft Uebersax 2009, denn im Nachgang der Finanzkrise baut die UBS 2500 Stellen ab. «Inklusive mir.» So muss auch er sich nach einer neuen Stelle umsehen. Noch im gleichen Jahr beginnt er bei der ÖKK als Case Manager. Sein Fokus: Leute wieder in der Arbeitswelt zu integrieren, die aufgrund von Krankheit und Unfall nicht mehr arbeiten können. Obwohl Uebersax diese Arbeit als sinnstiftend empfindet, bemerkt er mit der Zeit, dass er lieber in die Prävention wechseln möchte. «Also eingreifen, bevor die Leute bei einer Versicherung landen.» Als 2010 bei der Swiss eine Stelle als Senior Manager Health Management ausgeschrieben wird, die zum Ziel hat, ein Case Management sowie ein BGM aufzubauen und zu entwickeln, zögert er nicht und bewirbt sich. «Eine weitere grüne Wiese. Genau das, was ich liebe.» Uebersax ist in seinem Element. Er baut auf und entwickelt, sodass die Swiss 2014 und 2017 mit dem Label «Friendly Work Space» von Gesundheitsförderung Schweiz ausgezeichnet wird und 2015 sogar den Preis des Kantons Zürich für Gesundheitsförderung im Betrieb erhält.

Mit der Rezertifizierung 2017 ist für Uebersax seine Arbeit erledigt. Er hält Ausschau nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten. «Da ich bei der Swiss Lernende mit Freude betreute, wollte ich mich in der Personalentwicklung weiterbilden.» Da dies bei der Swiss nicht möglich war, wechselte er 2018 als Head of Engagement and Development / Learning and Development for Central and Eastern Europe zur Swissport. Dort führte Michael Uebersax neue Prozesse ein, kümmerte sich um das Performance- und Talentmanagement sowie die Nachfolgeplanung – «und das ab 2020 in einer herausfordernden Zeit». Bei Kurzarbeit und Homeoffice-Pflicht als Führungskraft das Team zusammenzuhalten, ist keine einfache Aufgabe», sagt Uebersax. Das ging auch an ihm nicht spurlos vorbei. Er denkt über neue Perspektiven nach.

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Auch in seinem Privatleben erweitert Michael Uebersax gerne seinen eigenen Horizont – zum Beispiel beim Reisen, Lesen von Fachbüchern oder im Sport. (Bild: Aniela Lea Schafroth)

Ein Macher, privat und beruflich

Michael Uebersax weiss, der nächste Karriereschritt wäre nun, die HR-Gesamtleitung in einem Unternehmen zu übernehmen. Er sieht sich um und wird in Weinfelden fündig. «Ich suchte ein national ansässiges Unternehmen, das international operiert und mir die Chance eröffnet, mich zu entwickeln.» Zudem faszinierte ihn das Geschäftsmodell. «Vorher dachte ich immer, eine Schachtel sei eine Schachtel. Heute weiss ich, es ist ein kundenspezifisches Produkt. Jede wird auf Kundenwunsch speziell von unseren Designerinnen und Verpackungstechnologen kreiert.» In seiner Position als Head of HR Schweiz und Geschäftsleitungsmitglied ist Uebersax am Geschehen und kann seine Inputs an den zweiwöchentlich stattfindenden GL-Sitzungen einbringen.

Das Vertrauen, das ihm die Besitzerfamilie entgegenbringt, gibt er seinen Mitarbeitenden weiter. «Führung hat für mich viel mit Vertrauen zu tun. Zumal es in den allermeisten Fällen erwidert wird.» Er sieht seine Rolle als Führungskraft deshalb darin, Mitarbeitende zu befähigen, ihnen ein guter Sparringspartner zu sein «und mich am Ende überflüssig zu machen». Auch in seinem Privatleben ist Uebersax ein neugieriger Macher: «Im Sport bin ich immer wieder auf der Suche nach Neuem: Laufen, Langlaufen, Tauchen, Kitesurfen oder neuerdings Tai-Chi.» Das gilt auch bei Reisen in für ihn unbekannte Länder und Städte mit seinem Partner, mit dem er seit bald 20 Jahren durchs Leben geht. «Wir reisen beide leidenschaftlich gerne. Die räumliche Distanz hilft mir zudem, mich zu regenerieren, damit ich im Beruf wieder die Energie habe, um Neues anzupacken und zu lernen.»

Model Holding AG

Die Model Holding AG mit Firmenhauptsitz im thurgauischen Weinfelden befindet sich zu 100 Prozent in Besitz der Familie Model und wird in vierter Generation von Daniel und Elisabeth Model geführt. Das Unternehmen blickt auf eine 140-jährige Firmengeschichte zurück und entwickelt, produziert sowie liefert intelligente, innovative Display- und Verpackungslösungen aus Voll- und Wellkarton. Die Unternehmensgruppe verfügt über 15 europäische Produktionsstandorte und beschäftigt rund 4600 Mitarbeitende. modelgroup.com

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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