23.11.2017

Invalidenversicherung: Arbeitgeber, Ärzte und Bund lancieren Tool für Eingliederung

Wenn Arbeitnehmende längere Zeit ausfallen, haben Ärzte oft zu wenige Informationen von den Arbeitgebern, um präzise Arztzeugnisse zu schreiben. Ein von Arbeitgebern, Ärzten und Bund entwickeltes Instrument zur beruflichen Eingliederung will Abhilfe schaffen.

Bern (sda). Wegen Unfall, Krankheit oder Behinderung fallen jedes Jahr Tausende aus dem Arbeitsleben. Sie haben zu lange am Arbeitsplatz gefehlt und verlieren ihre Stelle. In 80 Prozent der Fälle werde den Betroffenen eine Arbeitsunfähigkeit entweder von 0 Prozent oder von 100 Prozent bescheinigt, teilte der Verein Compasso am Mittwoch mit. Eine Teil-Arbeitsunfähigkeit werde oft gar nicht in Erwägung gezogen.

Compasso betreibt ein Informationsportal für Arbeitgeber und hat das neue webbasiertes Instrument namens ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil (REP) zusammen mit weiteren Akteuren entwickelt.

Ärzte und Arbeitgeber im Dialog

Um präzise festlegen zu können, wann und zu welchem Pensum ein Arbeitnehmender wieder in seinen Betrieb zurückkehren kann, muss ein Arzt oder eine Ärztin besser vom Arbeitgeber informiert werden. Die Ärzte müssen wissen, welche Anforderungen und Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz des Patienten herrschen. Dafür müssen die Ärzte, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden einen Dialog miteinander führen.

Mit dem Ziel, den Informationsfluss zu erleichtern, haben sich Arbeitgeber, Ärzteschaft und Bund unter der Federführung von Compasso zusammengesetzt und das Online-Tool REP entwickelt, das die individuellen Arbeitsplatzanforderungen auslotet.

«Das REP ist der Schlüssel zur Beziehung zwischen Arzt und Arbeitgeber», sagte der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie SGPP, Pierre Vallon, am Mittwoch bei der Präsentation des Projekts vor den Medien in Bern.

Körper und Psyche

Im Online-Arbeitsplatzprofil werden auch psychische und psycho-soziale Aspekte für eine Wiedereingliederung berücksichtigt, wie Arbeiten unter Druck, Flexibilität, Genauigkeit oder Kritikfähigkeit. Im Profil werden auch praktische Dinge gefragt, wie Pausenreglemente oder feste Tagesdienste.

Das Profil füllen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam aus. Mit diesen Informationen kann eine Ärztin oder der Arzt beurteilen, inwieweit es Patient oder Patientin möglich ist, die Anforderungen zu erfüllen. Die Ärzte können so auch ermessen, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmass eine Tätigkeit im Betrieb möglich ist.

Renten tief halten

So soll ein Schritt für Schritt Wiedereinstieg möglich werden. Oberstes Ziel: der Arbeitsplatzerhalt, die Nebenwirkung: keine oder kleine IV- und Suva-Renten.

Gerade die Psychiater seien an diesem «sehr exakten» Instrument REP sehr interessiert, wie übrigens alle Mitglieder des Berufsverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, sagte Vallon vom SGPP.

Von SBB bis zum Familienbetrieb

REP ist kostenlos und in einer deutschen, einer französischen und einer italienischen Version erhältlich. Compasso hat derzeit 70 Mitglieder. Der Verein möchte diese Basis verbreitern und auch viele KMU ansprechen.

Bereits Compasso-Mitglied ist die SBB. Sie will REP bereits ab nächsten Januar im Tessin einführen. REP sei eine «Win-Win-Situation für alle Beteiligten», sagte Karin Mahler, Mitglied der Human Resources Geschäftsleitung der SBB AG am Mittwoch vor den Medien.

Fachkräfte halten

Bei Compasso an Bord sind unter anderen auch das Bundesamt für Sozialversicherungen, die Suva, der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) und Inclusion Handicap. Compasso steht unter dem Patronat des Arbeitgeberverbandes.

Für Roland Müller, Direktor des Arbeitgeberverbandes, stellt das Tool einen Meilenstein dar. REP sei ein «nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor im Kampf gegen den wachsenden Fachkräftemangel», wird Müller in der Mitteilung von Compasso zitiert.