Checkliste

Bossing: Mobbing vom Chefsessel

Gemäss neueren Forschungsergebnissen waren fast bei der Hälfte aller untersuchten Fälle von Mobbing die Chefs die Verursacher – die Geburtsstunde der Wortkreation Bossing oder anders ausgedrückt des systematischen Psychoterrors von der Chefetage.

Was ist Bossing?

Mobbing ist ein Indiz für eine ungesunde Betriebskultur, und wenn der Ausgangspunkt dazu von der Führung ausgeht, sprechen wir von Bossing.

Bossing ist also – hierarchisch gemeint – eine «höhere» Art des Mobbing und bedeutet eine systematische Schikane durch Vorgesetzte mit Auswirkungen, die oft verheerend sein können:

  • das Arbeitsklima wird top-down vergiftet
  • die Produktivität sinkt
  • es kommt zu unverhältnismässig hohen Krankheitsabsenzen und Abgängen mit unabsehbaren Folgen

Laut Schätzungen beträgt der jährliche Betriebs- und Gesamtverlust durch Mobbing und Bossing in der Schweiz zwischen drei und sieben Milliarden Franken – Grund genug, etwas dagegen zu unternehmen.

Bossing auch in der S​chweiz

Lange Zeit wurde Bossing in unserem Land «unter der Decke» gehalten. Aber der Psychoterror auf der Chefetage ist kein Kavaliersdelikt, wie nachfolgende Beispiele zeigen:

  • Kündigung von Arbeitsverhältnissen nach Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub aus „wirtschaftlichen Gründen“
  • Mitarbeitende, die sich kritisch verhalten, werden auf eine „Abschussliste“ gesetzt.
  • Das vom Vorgesetzten in Aussicht gestellte Qualifikationsgespräch wird unter fadenscheinigen Gründen immer wieder hinausgezögert bis der Mitarbeitende schliesslich entnervt aufgibt und die Kündigung einreicht.
  • Wichtige Sitzungen werden absichtlich in die Freizeit der betreffenden Mitarbeitenden verlegt, um diese von Schlüsselinformationen fernzuhalten.

Solche «sanften» Methoden sind schwierig zu beweisen und einem eigentlichen Psychokrieg gleichzusetzen – für die Verlierer mit unvorhersehbaren Folgen, die zu eigentlichen Katastrophen führen können. Solche Tragödien können sich auch dann ereignen, wenn der Tatbestand von Bossing juristisch nicht erfüllt ist, das heisst von den Betroffenen «nur» gefühlt, also subjektiv erlebt wird (zum Beispiel durch konsequentes Nichtbeachten ihrer Leistungen).

Unmissverständlich wird Mobbing vom Bundesgericht als systematisches, feindliches und über eine längere Zeitspanne andauerndes Verhalten bezeichnet. Damit sollen die Betroffenen am Arbeitsplatz isoliert, „aussortiert“ und schliesslich entfernt werden. Wie bereits eingangs erwähnt wurde, handelt es sich dann um Bossing, wenn Mobbing von Vorgesetzten betrieben wird.

Wie und warum kommt es zu Bossing?

Dort, wo Missgunst und rücksichtsloser Ehrgeiz die Unternehmenskultur prägen, entsteht der Nährboden für Mobbing und Bossing. Dort, wo Konflikte nicht offen ausgetragen werden, und wo ein Klima der Angst herrscht, sind oft Vorgesetzte mit zu wenig sozialer Kompetenz die Ursache. Im Zuge der gewachsenen Führungsanforderungen sind solche – ausschliesslich rational denkenden – Macher nicht mehr gefragt; diese verhindern eine Teambildung, züchten Ängstlichkeit und Frustration. Dadurch sinkt die Produktivität, und es kann zu folgenschweren Bossing-Fällen kommen.

Bossing kann zu beträchtlichen gesundheitlichen Schäden der betroffenen Mitarbeitenden führen, wie etwa Bluthochdruck, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, aber auch Depressionen und Angstzuständen. Deshalb befassen sich Universitäten, Arbeitspsychologen, Psychotherapeuten und Ärzte mit dessen Folgen als «extremer Form von sozialen Stressoren». Bossing kann aber auch zur Lähmung von ganzen Arbeitsteams und beträchtlichen Leistungseinbussen führen.

Nachhaltige Prophylaxe statt Feuerwehrübungen

Es sei blanker Unsinn, einen gefühlsarmen Firmenboss zwei Tage lang in einen Kurs zu schicken, um ihm Sozialkompetenz beizubringen. Bei solchen Feuerwehrübungen könne kein Return on Investment erwartet werden. Bei der Vermittlung emotionaler Fähigkeiten sei Nachhaltigkeit gefragt, denn es gehe dabei um Verhaltensänderungen. Diese Aussagen des Bestseller-Autors Daniel Goleman stammen aus seinem weltweit beachteten Werk «Emotionale Intelligenz». Was will er damit sagen?

Top-Fachwissen allein reicht nicht (mehr) aus für eine Führungskraft; auch der emotionale Bereich – man spricht in diesem Zusammenhang vom emotionalen Quotienten (EQ) – muss stimmen. So bildet zum Beispiel die Motivations- und Teamentwicklungsfähigkeit einen enorm wichtigen Teil der Managementverantwortung.

Doch im Gegensatz zur Wissensvermittlung kann fehlende Sozialkompetenz nicht „per Knopfdruck“ und auch nicht an einem Wochenendseminar erworben werden – dies sagt Goleman, der «Entdecker» der emotionalen Intelligenz, deutlich. Vielmehr bedürfe es dazu der Nachhaltigkeit, das heisst der nicht nachlassenden Übung am Arbeitsplatz und der Einsicht zur Verhaltensänderung.

Emotionale Intelligenz statt Bossing auf der Chefetage

Die emotionale Intelligenz in den Führungsgremien ist somit die richtige Antwort auf Bossing. Zusammenfassend stehen folgende Komponenten im Vordergrund:

  • Selbstreflexion: Die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und deren Auswirkungen auf sich selbst und andere zu erkennen. Sich den Spiegel vorhalten, um sich selbst zu sehen.
  • Einsichtsfähigkeit: Die Kompetenz, eigene Stärken und Defizite realistisch beurteilen zu können.
  • Einfühlungsvermögen: Sich in die Sichtweisen anderer Menschen einfühlen können; sich für ihre Anliegen interessieren.

Emotionale Intelligenz kann durchaus auch Ethik genannt werden. Hier ist beharrliche Arbeit an sich selbst angesagt – vor allem «learning by doing». Ergänzende Weiterbildungsangebote von Universitäten, Fachhochschulen und anerkannten privaten Institutionen können wertvolle Impulse für die Umsetzung im Alltag vermitteln. Dann haben Bossing und Mobbing in Ihrem Unternehmen keine Chance!

 

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Alex Müller war nach längeren Auslandaufenthalten als Personalverantwortlicher bei einer grösseren Bank und später als HR-Leiter einer psychiatrischen Universitätsklinik tätig, wo er reiche Erfahrungen in allen Sparten des Personalmanagements sammeln konnte. Heute arbeitet er als freier Fachautor und Publizist sowie als selbstständiger Berater von Führungskräften. Fachbuch: Vom Outplacement zum Newplacement, Spektra Media Verlag (Dossier Nr. 24).
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