Heft Nr. 12/2015: Flexible Arbeitswelten

Der steinige Weg zur Flexibilität

Was kann das HR tun, um Unternehmenskultur, Führung und Technologie so zu gestalten, dass flexibles Arbeiten gefördert wird? Um diese Fragen zu beantworten, führte die Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW 2015 eine Interviewstudie in neun Schweizer Unternehmen durch. Exklusiv für HR Today benennen die Autoren Stolpersteine und Erfolgsfaktoren bei der Etablierung mobil-flexibler Arbeit und formulieren eine Checkliste für die Entwicklung einer Team-Charta.

Der Weg hin zur Etablierung mobil-flexibler Arbeitsformen ist alles andere als einfach. In einer Unternehmensbefragung der FHNW von 2014 zeigte sich, dass 90 Prozent der Unternehmen und Verwaltungen bereits Erfahrung mit flexibler Arbeit haben. Die Spannbreite ist allerdings enorm: vom kantonalen Amt, das hin und wieder unter besonderen Auflagen den Mitarbeitenden einen Home-Office-Tag gewährt bis hin zur hypermobilen IT-Consultingfirma, wo man fast ohne feste Büros auskommt. Die Befragung zeigte auch, dass sich ein Drittel der Unternehmen und die Hälfte der Verwaltungen in naher Zukunft weiterentwickeln wollen.

Doch was müssen Unternehmen ganz konkret tun, um Unternehmenskultur, Führung, Technologie und weitere Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass flexibles Arbeiten gefördert wird? Um diese Fragen zu beantworten, führte die Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW 2015 eine Interviewstudie mit 27 Einzel- und Gruppeninterviews in neun Schweizer Unternehmen durch. Partner und Auftraggeber für die Studie «Gestaltung mobil-flexibler Arbeit in grossen und mittleren Unternehmen» – GeMobAU – war die Work Smart Initiative.

Zum Forschungsprojekt GeMobAU

Das Forschungsprojekt «Gestaltung mobil-flexibler Arbeit in grossen und mittleren Unternehmen – GeMobAU» hatte zum Ziel, 
die organisatorischen Entwicklungsprozesse rund um die Gestaltung mobil-flexibler Arbeit zu verstehen. Daraus wurden Handlungsempfehlungen für Unternehmen abgeleitet, die flexibles Arbeiten einführen oder weiterentwickeln wollen. Auftraggeberin war 
die Work Smart Initiative – ein Zusammenschluss verschiedener Schweizer Unternehmen zur Förderung flexibler Arbeitsformen. 
Hauptträgerschaft: Microsoft Schweiz, Die Mobiliar, Die Schweizerische Post, SBB, Swisscom und Witzig The Office Company.

Bei der Auswertung konnten zunächst einige zentrale Herausforderungen identifiziert werden: Neben neuen individuellen Anforderungen an Mitarbeitende und Führungskräfte müssen auch die richtigen organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Eine grosse Herausforderung ist es, eine Unternehmenskultur für mobil-flexibles Arbeiten zu schaffen. Wenn diese fehlt, werden zum Beispiel Mitarbeitende im Home Office als «abwesend» wahrgenommen oder es herrscht Neid auf diejenigen, die mobil-flexibel arbeiten.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, so zeigte die Studie, sollten bestimmte förderliche Bedingungen gegeben sein: Neben Grundsätzlichem wie Technologie und Regelungen ergab die Studie auch, dass die Beteiligung der Mitarbeitenden im Veränderungsprozess ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Für Teams, die sich noch in der Einführungsphase mobil-flexibler Arbeit befinden («Einsteiger»), zeigte sich, dass eher eine Grundhaltung von Vorteil ist, in der Präsenz als Normalfall angesehen wird und das mobil-flexible Arbeiten als Ergänzung erlaubt wird. Für «fortgeschrittene» Teams, also solche, die mobil-flexibles Arbeiten weiterentwickeln wollen, gelten etwas andere Empfehlungen: Diese Teams profitieren von einer Grundhaltung, in der das mobil-flexible Arbeiten als Normalfall gilt und die gemeinsame Präsenz (für formelle Meetings wie für informellen Austausch) dafür stärker geplant und organisiert wird.

Von Einsteigern und Fortgeschrittenen

In der Studie konnten auch einige hinderliche Faktoren gefunden werden: Bei den «Einsteiger»-Teams zeigten sich insbesondere die Schwierigkeiten, die eine fehlende Kultur für mobil-flexibles Arbeiten mit sich bringt. In den «fortgeschrittenen» Teams waren dagegen Hindernisse eher in den Bereichen Technologie (z. B. wenn Kollaborationstools nicht genutzt werden) sowie Infrastruktur/Architektur (z. B. ein Multispace-Büroraum, der nicht zu den Tätigkeiten passt) zu finden.

Was müssen Unternehmen also tun, damit förderliche Bedingungen entstehen können und hinderliche vermieden werden? Organisationen in der «Einsteiger»-Phase müssen sich vor allem um detaillierte und firmenweit einheitliche Regelungen kümmern. In der «Fortgeschrittenen»-Phase sollten Regeln dagegen eher als Leitplanken mit Spielraum für individuelle Entscheidungen der Führungskräfte eingesetzt werden. Essenziell ist auch die Zusammenarbeit verschiedener Stabsfunktionen (insbesondere IT, HR und Facility Management) sowie die gezielte Durchführung von Pilotprojekten und Evaluationen.

Auf der Ebene der einzelnen Führungskraft zeigte sich insbesondere, dass die Klärung der gegenseitigen Erreichbarkeit hohe Relevanz hat. Für «Einsteiger»-Führungskräfte liegt der Fokus eher auf dem Regulieren, Beschränken und Überwachen mobil-flexibler Arbeit. Diese detaillierte Steuerung ist wichtig für den Aufbau von Vertrauen und einer «FlexWork-freundlichen» Kultur. Für «fortgeschrittene» Führungskräfte ist es dagegen empfehlenswert, den Mitarbeitenden mehr Freiraum zu lassen. Gleichzeitig wird es umso wichtiger, die Auslastung der Mitarbeitenden bewusst im Blick zu halten, da bei einer mobil-flexiblen Arbeitsweise schneller einzelne Mitarbeitende in eine Überlastungssituation kommen können.

Auf der Ebene Team ist vor allem die Steuerung der physischen Präsenz wichtig sowie der richtige Einsatz von Kommunikationstools. Hierfür sollte sich das Team selber Regeln setzen.
Die Studie «GeMobAU» zeigt somit auf, wie komplex und vielschichtig der Weg hin zur Etablierung mobil-flexibler Arbeit ist. Allgemeingültige Empfehlungen sind schwierig abzuleiten, da jedes Team andere Voraussetzungen und Bedürfnisse hat. Letztlich kommt kein Team daran vorbei, für sich selbst eine Vielzahl von detaillierten Absprachen und Regelungen zu finden. Am besten kann dies gelöst werden, indem gemeinsam eine Team-Charta formuliert wird, in der die wichtigsten Fragen behandelt und teamspezifische Lösungen festgehalten werden. Die Erkenntnisse dieser und früherer Studien und Projekte haben wir daher genutzt, um eine Checkliste für die Entwicklung einer Team-Charta zu formulieren.

Flexible Arbeit spielerisch simulieren

Unternehmen, die mobil-flexible Arbeitsformen einführen, sollten ihre Mitarbeitenden 
für die damit verbundenen Herausforderungen sensibilisieren. Die Hochschule Luzern (HSLU) entwickelte mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) im Rahmen des Forschungsprojekts i-MOW das Simulationsbrettspiel «Work a Round», das die Firmen bei dieser Managementaufgabe spielerisch unterstützen soll. In den vergangenen drei Jahren haben die HSLU und die FHNW drei Instrumente entwickelt, um Unternehmen bei der Implementierung von mobilen und flexiblen Arbeitsformen zu unterstützen.

Nebst dem Simulationsbrettspiel «Work a Round» entstand das Analyseinstrument «Profiler». Dieses dient Unternehmen dazu, innerhalb des Betriebs das Potenzial für mobiles und flexibles Arbeiten zu erfassen und abzuklären, wo diese Arbeitsform allenfalls gefördert werden könnte und sollte. Als drittes Werkzeug bauten die Forschenden eine Wissensdatenbank namens «Mobile Work Directory» auf. In dieser werden für die Projektpartner Best-Practices und -Daten zum flexiblen und mobilen Arbeiten hinterlegt. Das Forschungsprojekt 
i-MOW wurde von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes unterstützt. Projektpartner waren RBS Group, SBB, Siemens, Swisscom und Vitra.

Weitere Informationen: www.hslu.ch/imow

 

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Dr. Johann Weichbrodt ist Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Ange­­wandte Psychologie FHNW und Dozent im CAS Work Smart Management. Sein Forschungsthema ist mobil-flexible Zusammenarbeit, insbesondere die nötigen Veränderungsprozesse bei Individuen und in Organisationen.

Weitere Artikel von Johann Weichbrodt

Prof. Dr. Hartmut Schulze ist Dozent und Leiter des Instituts für Kooperations­forschung und -entwicklung ifk der Hochschule für ­Angewandte Psychologie FHNW.

Weitere Artikel von Hartmut Schulze

Prof. Dr. Andreas Krause ist Studiengangsleiter des CAS Betriebliches Gesundheitsmanagement und Dozent für Angewandte Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Weitere Artikel von Andreas Krause

Das könnte Sie auch interessieren