Porträt

Die unkomplizierte Ästhetin

Lieber weniger Konzepte, dafür diese konsequent umgesetzt, und statt einem Reglement darf es auch einmal 
der gesunde Menschenverstand sein: Nadine Gembler, 
Leiterin Personal/Ausbildung national bei Coop, fühlt sich 
am wohlsten in einem ungezwungenen Arbeitsumfeld. 
Privat liebt sie Wasser, Wind und Tempo.

Mit dem Traumberuf ist es so eine Sache. Manche peilen ihn, noch jung, direkt an und kommen auch ans Ziel, andere suchen ein Leben lang danach, viele liegen irgendwo dazwischen.

Nadine Gembler kann zwei dieser drei Kategorien für sich beanspruchen, die erste und die dritte. Aufgewachsen im Basler Vorort Muttenz, wusste sie bereits in der Primarschule, dass sie Lehrerin werden wollte. Sie absolvierte das Gymnasium und das Lehrerseminar und war mit 22 Jahren ausgebildete Primarlehrerin. Doch dann kam das unangenehme Erwachen: Wie ein Traum fühlte sich der Beruf – sie unterrichtete die 1. bis 3. Klasse – nicht an.

«Ich machte meine Arbeit zwar gut, aber es war ein bisschen einsam», erinnert sich Nadine Gembler. «Als Lehrerin erhielt ich, ausserhalb des Schulzimmers, wenig Rückmeldungen und Anerkennung für besondere Leistungen – ich war wohl doch etwas ehrgeiziger, als ich geglaubt hatte.»

Es ging einen Moment, bis sich die Primarlehrerin eingestand, dass sie ihren Platz noch nicht gefunden hatte. Nach sechs Jahren Unterrichtstätigkeit und einem berufsbegleitend absolvierten Handelsdiplom begann sie, sich in der Privatwirtschaft zu bewerben. 1998 wurde sie HR-Fachfrau bei Coop, trotz wenigen Vorkenntnissen, aber dank einem guten Telefongespräch mit dem künftigen Chef. «Kaum hatte ich angefangen, da wusste ich: Das ist er, mein Traumberuf!» Danach ging es auf der Karriereleiter nur noch aufwärts: 2003 wurde sie Leiterin Personal Hauptsitz, 2010 schliesslich Leiterin Personal/Ausbildung national.

Zur Person

Nadine Gembler (1970), aufgewachsen in Muttenz, startete als Primarlehrerin ins Berufsleben. Dann sattelte sie um, stieg 1998 bei Coop als HR-Fachfrau ein und erklomm die Karriereleiter bis zur Leiterin Personal/Ausbildung national (seit 2010), erwarb dabei auch einen Executive MBA. Sie führt 150 Mitarbeiter und ist fachlich verantwortlich für die 300 Mitarbeiter in den regionalen Personalabteilungen. Ein Drittel ihrer Tätigkeit umfasst nicht-klassische HR-Aufgaben: Sie ist u. a. verantwortlich für die internen Dienste (Übersetzungsdienst, Telefon, Empfang) und Mitglied in diversen Gremien, ist etwa Präsidentin der Coop Ausgleichskasse sowie im geschäftsleitenden Ausschuss der Reka. Privat engagiert sie sich für einen Verein, der langzeitarbeitslose Menschen unterstützt.

Konsensorientierter «Auswertungsfreak»

Das HR geniesse eine hohe Akzeptanz, auch dank seiner Nähe zur Linie. Die Personalleiterin selbst ist zwar nicht in der Geschäftsleitung, doch hat sie mit allen sechs GL-Mitgliedern wöchentlich informellen Kontakt. Und gemeinsam mit ihrem direkten Vorgesetzten, Geschäftsleiter Joos Sutter, bringe sie jeweils ihre Anliegen durch.

Überhaupt sei dieses Unternehmen ideal, um sie zu Höchstleistungen anzuspornen: «Ich blühe auf in einem unkomplizierten Umfeld. Bei Coop werden weniger Konzepte und Folien produziert als anderswo, aber was wir beschliessen, wird konsequent und einheitlich umgesetzt.»

Aktuelle Themen im Coop-HR sind die Zusammenlegung zweier Logistikzentren sowie die Einführung von E-Learning und E-Recruiting. Und kürzlich hat Nadine Gembler mit vier Gewerkschaften den 99-jährigen Coop-GAV um weitere vier Jahre verlängert, wofür die Unia ihr ein Kränzchen windet.

Zu Nadine Gemblers Stärken zählt, auf gewinnende und kreative Weise verschiedene Seiten zusammenzubringen; nicht faule Kompromisse, sondern echten Konsens herzustellen – wie zum Beispiel im Rahmen der erwähnten GAV-Verlängerung. Geschätzt würde zudem, dass sie offen für Ideen, unkompliziert, verbindlich und sattelfest in ihren Dossiers sei. Andererseits bezeichnet sie sich als leicht chaotisch, und die Mitarbeiter hätten nicht immer Freude, wenn der «Auswertungsfreak» Nadine Gembler jeweils Zahlen fordere: «Wenn jemand ein Reglement fordert, möchte ich zuerst wissen, wie oft der entsprechende Fall vorkommt und was das kostet. Etwa, ob man auf den freien Tag für einen Umzug auch dann Anspruch hat, wenn er in den Mutterschaftsurlaub fällt.» Geht es nämlich um Einzelfälle, soll lieber der gesunde Menschenverstand entscheiden anstatt ein Reglement.

Der Rhein bedeutet Heimat

Nadine Gemblers Tage sind lang. Sie zählt die Stunden nicht, aber: «Ich arbeite in einer Tieflohnbranche, eine Verkäuferin verdient bei uns im Schnitt zwischen 4000 und 4500 Franken, und ich fände es unfair, wenn ich für meinen Lohn nur 41 Stunden arbeiten würde», so die HR-Leiterin. Dabei kommt ihr entgegen, dass sie gut abschalten kann und neben dem Job wenig Verpflichtungen hat.

«Ich fühle mich verwöhnt vom Leben», sagt Nadine Gembler. Sie wuchs zwar in bescheidenen Verhältnissen auf, bewohnte mit den Eltern und der älteren Schwester eine 60-Quadratmeter-Wohnung. Doch habe sie eine harmonische Kindheit gehabt – «und die bewusste Bescheidenheit meiner Eltern hat mich positiv geprägt.» Heute lebt sie in einer Eigentumswohnung in Oberwil in der Agglomeration Basel, zusammen mit ihrem Partner, und dessen 16- und 18-jährige Kinder verbringen mehrere Tage pro Woche bei ihnen.

Ein klassisch häuslicher Typ ist Nadine Gembler nicht. «Ich bin weder praktisch noch geschickt, und auch Kochen ist nicht meine Spezialität, ich beherrsche nur vier einfache Rezepte, zum Beispiel Älplermagronen», erzählt sie. Sport ist schon eher ihr Thema. Die HR-Leiterin bewegt sich gern, spielt im Sommer Beachvolleyball und geht im Rhein schwimmen, im Winter sind Joggen und Tennis angesagt. Und sie liebt Spazieren. Für drei Stationen das «Drämmli» zu benützen, kommt nicht in Frage.

Wenn sie draussen ist, dann oft in der Nähe des Rheins, der für die Baslerin Heimat bedeutet. Im Sommer isst sie häufig im Rhybadhysli Breite, das Restaurant und Badi in einem ist, und auch Meetings macht sie manchmal hier.

Ausser Dienst

Das kann ich gut: Ich habe einen Sinn für Schönes. Für Kleider, Accessoires, Einrichtung. Eine rote Zahnbürste in einem blauen Badezimmer geht gar nicht.
Das möchte ich gerne können: Kraulen.
Das ärgert mich: Egoismus. Und wenn Leute nicht daran interessiert sind, täglich zu wachsen, beruflich wie privat. Im Sinn von «Werde, der du bist».
Das macht mich traurig: Die vielen kleinen Sorgen und Nöte der Menschen.
Das bringt mich zum Staunen: Alles Schöne. Kunst, Gedichte, Musik, Filme und auch die Menschen, die diese Werke schaffen.

Ein Leben ohne Hupe

Neben Wasser mag Nadine Gembler auch Wind und Tempo. In ihrer Garage stehen eine rote Vespa und ein Coop-oranges Cabrio Cooper. Ihr Firmenauto dagegen, ein Audi A3, ist grau. Fährt sie am Unternehmenssitz in Basel längere Zeit mit diesem vor, wird das registriert: «Hast du deinen Mini etwa nicht mehr?», fragen dann die Männer. «Es ist spannend, wie viele Kollegen mich und meinen Mini für unzertrennlich halten», schmunzelt die Personalleiterin.

Im Auto kommt eine ihrer zentralen Eigenschaften sehr klar zum Vorschein: ihre Ausgeglichenheit. Berufshalber fährt die 43-Jährige wöchentlich mehrere Stunden Auto, von Basel nach Bern oder Zürich, und über andere Autofahrer nervt sie sich dabei nie. Sie habe auch noch nie die Hupe benutzt. Das hat sowohl mit ihrem Charakter zu tun als auch mit dem halbjährigen Praktikum, das sie als Zwanzigjährige, nach der Matura, in einer Institution für schwerstbehinderte und schwersterziehbare Jugendliche absolvierte. Eines Tages nämlich brach eine Gruppe zu Fuss zum Schwimmbad auf. Einige der Jugendlichen gingen voraus. Als die Betreuer beim Schwimmbad eintrafen, wiesen sämtliche davor parkierten Autos beträchtliche Blechschäden auf. «Im Vergleich zu den Herausforderungen, wie ich sie in solchen Situationen bei diesem Praktikum erlebt habe, relativieren sich viele Coop- und Alltagssorgen.»

Wütend wird sie äusserst selten. Zum letzten Mal passierte das, als sie in den Ferien gesehen hat, wie jemand Abfall aus dem Autofenster warf. «Ich bin eine Ästhetin, habe es gern schön. Vandalismus und Littering gehen mir extrem gegen den Strich», so die HR-Leiterin.

Und noch etwas bringt sie aus der Fassung: Musik. Nadine Gembler liebt es, in Singer-Songwriter-Stücken zu schwelgen, sich in die skurrile Liedwelt der deutschen Band Element of Crime hineintragen zu lassen oder sich den melancholischen Weisen einer Sophie Zelmani hinzugeben: «Musik hat eine intensive Wirkung auf mich. Sie vermag mich zu Tränen zu rühren.»

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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