Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Gaunereien von den FKE-Fachleuten bewusst oder unbewusst unterstützt werden.
Den Leuten in den Unternehmen fehlt oft die Übersicht im Markt. Und es mangelt an kritischem Mitdenken. Wenn das obere HR die FK-Entwickler anweist, einen bestimmten Coach, zu dem Connections bestehen, zu engagieren – statt solche Aufträge systematisch auszuschreiben–, dann wird das meist ohne Widerstand ausgeführt. Diese Ausführenden sind häufig junge Psychologinnen frisch ab der Universität, die dankbar für ihren FKE-Job sind und sich nicht mit Höhergestellten anlegen wollen. Daneben gibt es auch an Korruption grenzende Handlungen, etwa PE-Leiter, die Kickbacks für Vermittlungen erhalten.
Wie lässt sich dagegegen vorgehen?
Ab einer bestimmten Honorarhöhe braucht es eine Second Opinion. Dazu gehören klare Kriterien und eine saubere Dokumentation.
Sie sind gegen die Psychologisierung der FKE, also gegen Psychologen in diesem Bereich. Warum?
Weil das zur Überbewertung des Assessment-Gedankens geführt hat: Junge Psychologen können mittels Assessments ihr Uniwissen umsetzen, aber mit Entwicklung haben sie wenig Erfahrung.
Gegen Assessments per se haben Sie aber nichts?
Nein, insbesondere Development Assessments sind sinnvoll. Aber insgesamt werden Assessments überbetont, gerade die selektierenden Assessments: Da prüft man die Kandidaten auf Herz und Niere, und hat dann ein Profil. Das Problem ist, dass aufgrund von solchen Profilen Leute neue Positionen erhalten, ohne wirklich Entwicklungsschritte gemacht zu haben. Führungskräfteentwicklung heisst aber nicht einfach nur Assessment, sondern Assessment plus Development. Das, was schon da ist, soll veredelt werden – zum Beispiel durch einen Auslandaufenthalt. Assessment ohne Entwicklung ist keine wertschöpfende FKE. Wobei man dazu sagen muss, dass diese Ideologie häufig von oben kommt.
Nämlich?
Jemand aus der GL fragt zum Beispiel bei der FKE-Abteilung nach einer Liste mit den Leuten, die sich in Assessments ausgezeichnet haben. Nach Lernfortschritten wird da nicht gefragt. Häufig favorisiert die betreffende Person ja auch schon einen bestimmten Kandidaten.
Soweit die Schwächen und Schwierigkeiten. Was ist denn nun ein guter Führungskräfte-Entwickler?
Das ist jemand, der das Business kennengelernt hat, bevor er in die FKE wechselte. Einer, der weiss, wo im Unternehmen das Geld gemacht wird, und der Managementerfahrung hat. Gruppen moderiert zu haben reicht nicht.
Was raten Sie dem HR?
Es soll sich öffnen für ein systematisches Qualitätsmanagement in der FKE, soll die FKE jährlich auf den Prüfstand stellen. Da wird man sich eventuell auch gegen die obersten Führungskräfte durchsetzen müssen. Nicht selten wollen diese kein Qualitätsmanagement, sondern möchten sich den Freiraum offenhalten, mitzuentscheiden, für wen im Unternehmen etwas getan werden soll, wer in die Pipeline für obere Führungspositionen soll. Sich hier durchzusetzen wäre also auch der Aufbau einer Machtposition des HR.
Qualitätsmanagement in der Führungskräfte-Entwicklung
- Auswahl eines externen Bedarfsbearbeiters (zum Beispiel Führungstrainer, FKE-Berater, Coach) immer durch zwei interne FKE-Mitarbeiter mit sequenzieller Evaluierung, konsensualer Entscheidungsfindung und schriftlicher Dokumentation der Evaluierung anhand expliziter Kriterien.
- Einbindung des Probleminhabers in der Linie in den Auswahlprozess von Bedarfsbearbeitern.
- Vergabe eines Auftrags ab einer bestimmten Auftragshöhe (zum Beispiel 35'000 Franken) nur unter Hinzuziehung einer externen Zweitmeinung.
- Unterjährige Erörterung der gesamten FKE-Arbeit mit einem hochrangig aus dem OFK besetzten Steuerkreis, um Evidenzen aus den Klientenkreisen zu erhalten. (OFK: Oberer Führungskreis, direkt der Geschäftsführung unterstellte Führungskräfte.)
- Jährliches Audit der FKE-Arbeit mit einer externen, unabhängigen FKE-Fachperson, die keine Projekte im Unternehmen durchführt.
- Durchführung sämtlicher FKE-Massnahmen mit einem Evaluierungsstrang.
- Begrenzte Verweildauer des Positionsinhabers in der FKE-Leitung, damit der Nachfolger jeweils die Fragen an die FKE-Arbeit stellt, die der langjährige FKE-Leiter nicht mehr stellt.
- Periodische Durchführung eines Treffens mit allen externen Trainern und Coaches, die in der FKE-Arbeit während einer Planperiode zum Einsatz kommen, um Feedback zu erhalten, das mit allen eingesetzten Experten diskutiert wird.
- Jährliches Audit der FKE-Mitarbeiter auf der Basis von FKE-strategiekonformen Kompetenzen, um die fachliche Qualifizierung an den Anforderungen der Abteilung auszurichten.
- Fachliche Qualifizierung der FKE-Mitarbeiter auf der Basis der Umsetzung der FKE-Strategie.
- Verfolgung konkreter Know-how-Transferprojekte, die entsprechend der formulierten FKE-Strategie beinhalten, dass der Einsatz externer Trainer und FKE-Berater auch dem Wissenserwerb der eigenen Mitarbeiter dient.
Quelle: Rolf Th. Stiefel
Zur Person
Rolf Th. Stiefel, Dr. rer. comm., hat die FKE-Abteilungen grosser deutscher und Schweizer Firmen beraten (Pharma, Banken etc.). Seit 1975 ist er selbständiger Management-Trainer und PE-Berater. 1986 gründete er die Dr. Rolf Th. Stiefel & Partner AG in St. Gallen, die sich auf die Entwicklung und Realisierung von strategieumsetzenden Lernsystemen spezialisiert hat.
Rolf Th. Stiefel ist Autor von über 20 Büchern, zum Beispiel «Führungskräfte-Entwicklung als Beruf und Leidenschaft» (Linde Verlag).
Seit 1979 gibt er vierteljährlich das Fachorgan «MAO» (Management-Andragogik und Organisationsentwicklung) heraus.
Literatur:
Rolf Th. Stiefel: Führungskräfte-Entwicklung – Die andere Wirklichkeit. Mythen, Kunstfehler und Trainingsgauner. Das Buch kann hier bestellt werden.