«Sag nie nie!»
Die ehemalige Privatsekretärin Gerda Schwindt hat das HR-Handwerk als Quereinsteigerin von der Pike auf erlernt. Heute ist die Hobby-Eistänzerin Global Head HR von Glencore, dem zweitgrössten Rohstoffkonzern der Welt mit rund 200'000 Mitarbeitern und dem zweithöchsten Umsatz aller Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.
Gerda Schwindt. (Foto: HR Today)
Nach der Handelsmittelschule steigt Gerda Schwindt als Assistentin ins Berufsleben ein. Eine Schlüsselstelle war die Direktionsassistenz von Dr. Edgar Oehler, als er Mitte der 80er-Jahre Generaldirektor der Arbonia-Forster-Gruppe war. Bald nachdem er die Firma verlassen hat, arbeitet sie während mehreren Jahren als persönliche Privatsekretärin für den Ostschweizer Unternehmer und Nationalrat, den sie rückblickend als einen ihrer wichtigsten «Förderer» bezeichnet, um gleich anzufügen: «Eigentlich haben mich die meisten Vorgesetzten gefördert, weil sie sehr viel gefordert haben.» Mitte 1996 verlässt sie aus privaten Gründen die Ostschweiz und zieht vom Rheintal ins aargauische Zofingen.
HR-Quereinsteigerin in zweiter Karriere
Hier tritt sie einen Job als Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsassistentin bei einem internationalen KMU mit damals rund 200 Mitarbeitenden an, wo sie nebenher in der HR-Administration aushilft. «Die Firma war ein Sanierungsfall», erinnert sich Schwindt. Irgendwann habe sich der HR-Chef verabschiedet und die damals 30-jährige fand an der Vorstellung Gefallen, im Sinne «einer zweiten Karriere» in diese Aufgabe hineinzuwachsen. So habe sie nur ein Jahr nach Stellenantritt die Möglichkeit erhalten, «von Null auf Hundert» ins HR einzusteigen. Just zu einem Zeitpunkt, als der Verwaltungsrat entschied, das KMU in Einzelteilen zu verkaufen. «Auch wenn das jetzt seltsam tönen mag, aber ich glaube, man lernt im HR nie so viel wie in einem Sanierungsfall.»
Das war 1999. «Anfangs 2000 blieben dann nur noch der CEO, CFO und ich übrig», erinnert sich Schwindt. Im Oktober 2000 eröffnet sich eine weitere Chance: Sie findet in Aarburg eine Anstellung als HR-Verantwortliche für die Franke Schweiz AG mit rund 150 Leuten. Zwei Jahre später übernimmt sie die HR-Verantwortung für den gesamten Franke-Konzern mit damals 6500 Angestellten. «Das war ein Wahnsinnsschritt für mich.» Zu diesem Zeitpunkt schliesst sie ein Nachdiplomstudium zur Leiterin Personal ab.
Zur Person
Gerda Schwindt (48) wurde in München geboren und ist in Arbon (TG) aufgewachsen. Nach Abschluss einer Handelsmittelschule leitete sie als persönliche Assistentin unter anderem das Privatsekretariat für den Ostschweizer Unternehmer und ehemaligen Nationalrat Dr. Edgar Oehler, bevor sie rund 30-jährig bei einem sanierungsbedürftigen KMU als Quereinsteigerin ins HR «hineinrutschte» und sich parallel zur Abwicklung der Firmensanierung im HR-Bereich weiterbildete. Zuletzt absolvierte sie an der Fachhochschule Nordwestschweiz den MAS in HR-Management. Nach knapp neun Jahren als nationale und internationale HR-Verantwortliche beim Küchentechnik-Konzern Franke wechselte sie zu Glencore, wo sie seit 2009 die HR-Verantwortung für den Hauptsitz innehat. Nach der Begleitung des Börsengangs 2011 und der Fusion mit der Zuger Xstrata im Jahr 2013 kreiert, koordiniert und harmonisiert sie heute als Global Head HR die weltweiten HR-Prozesse und -Strukturen des Rohstoffkonzerns.
Wahnsinnsschritt
Frei nach ihrem Lebensmotto «Sag nie nie», wagt die damals 34-jährige den Wahnsinnsschritt: «Für mich stellte sich einzig die Frage, wie man so ein Konzern-HR aufbaut. Das hatte ich vorher ja noch nie gemacht.» Sie schmeisst den Laden zu zweit mit einer Mitarbeiterin, während sie weltweit rund 35 HR-Kollegen funktional vorgesetzt ist. «Ich habe diesen Job sechseinhalb Jahre lang gemacht. Irgendwann hatte ich das Gefühl, es gesehen zu haben, obwohl es im HR immer Möglichkeiten und Projekte gibt. Aber man muss die Möglichkeit auch realisieren können.» Während der Sommerferien 2008 beschäftigt sie sich intensiv mit der Frage, ob sie den Job aufgeben soll. «Kaum waren die Sommerferien vorbei, hat mich aus heiterem Himmel ein Headhunter mit einem Stellenbeschrieb, aber noch ohne Nennung von Glencore, angesprochen.»
Ein Brief vom Headhunter
«Im Brief stand, dass die Position für mich ja wohl nicht von Interesse sei, aber ob ich vielleicht jemanden in meinem Netzwerk kenne, für den die Stelle interessant sein könnte.» So funktioniere halt die Headhunter-Standardansprache. «Ich habe mir das ein paar Tage lang gut überlegt und mich dann entschlossen, dass ich diesen Weg gehe – und das war gut.»
Und wie muss man sich ein Glencore-Assessment vorstellen? «Ich musste mit diversen Leuten von Glencore Interviews führen. Dabei habe ich verschiedene Department-Heads kennengelernt. Aber auch den damaligen VR-Präsidenten, den CEO und den CFO. Das war Assessment genug.» Bei Glencore arbeite man im Recruiting weniger mit Assessment-Tools, erklärt Schwindt. Stattdessen kultiviere man einen intensiven halb- bis ganztägigen Interviewprozess. «Das gibt ein sehr solides Feedback seitens Kollegen und Team.»
Wie hat eigentlich ihr Umfeld auf den Jobwechsel zu Glencore reagiert? «Als mein Umfeld erfuhr, dass ich zu Glencore wechsle, lautete die Antwort, ich müsse selber wissen, was ich mache», erinnert sich Schwindt und ergänzt: «Ich glaube, mein Umfeld hat nur beschränkt gewusst, wer Glencore ist. Ich sage einfach: Es gibt immer zwei Seiten. Es gibt die Seite der Medien und die Seite des Unternehmens, die nicht immer deckungsgleich sind.»
2009 übernimmt Gerda Schwindt also die HR-Verantwortung für den Glencore-Hauptsitz mit damals 440 Mitarbeitenden. Sie rapportiert dem CEO, Ivan Glasenberg, persönlich. In der Folge erlebt sie mit Glencore bewegte Zeiten: Sie ist in die Vorbereitungen für den Börsengang involviert, der 2011 realisiert wird. Kurz danach startet 2012 die Vorbereitung für die Fusion mit der in Zug ansässigen Xstrata Plc, die 2013 vollzogen wird. Während die Belegschaft am Hauptsitz Baar in den fünf Jahren seit ihrem Amtsantritt von 440 auf rund 760 Leute wächst, erweitert sich auch ihr HR-Team von ehemals zwei auf heute neun Leute – inklusive eines Kollegen, mit dem sie sich um das Konzern-HR kümmert.
Stille Schafferin statt Frontfrau
Insgesamt stehen bei Glencore heute rund 200 000 Angestellte in Brot und Lohn. Die absolut überwiegende Mehrheit davon machen die Arbeiter in den Minen aus. Jene Verantwortung liege aber beim Business vor Ort. «Insofern sehe ich mich nicht unbedingt als HR-Verantwortliche von 200 000 Mitarbeitenden», erklärt Schwindt. «Natürlich fühle ich mich verantwortlich – als Mitarbeiterin bei Glencore und als Mensch.» Insgesamt versuche sie zusammen mit ihren Kollegen das Beste, «indem wir einen koordinierten Approach fahren, wie man so schön sagt».
Worauf ist sie rückblickend auf ihre bisherige Arbeit bei Glencore besonders stolz? «Darauf, was ich bis heute bei der Glencore aufbauen konnte, von einem praktisch inexistenten Group-HR bis hin zu einer gut funktionierenden Abteilung.» Ein wirkliches HR-Management habe bei Glencore weder auf Konzernebene noch am Hauptsitz in Baar existiert, als sie es übernommen hatte. «Nach alter Philosophie war es ok. Aber in meinen Augen war halt relativ wenig vorhanden.» Das sehe heute anders aus.
«Ich denke, es war für alle ganz einfach eine Selbstverständlichkeit, dass ich das mache.» Umso mehr überrascht und verblüfft es sie, wenn sie mal ein «Merci» bekommt. «Die sind rar. Von unten und von oben. Wir sind in dieser Beziehung ziemlich bescheiden. Wir feiern weder Beförderungsfeste, noch haben wir irgendwelche Titel auf unseren Visitenkarten», erklärt Schwindt und zieht eine ihrer Visitenkarten hervor. «Theoretisch wäre mein Titel ‹Global Head HR›. In irgendeinem Dokument existiert ein Organigramm, aber ich weiss nicht einmal, ob dort ein Titel drin steht.» Das sei auch nicht so wichtig. «Wichtig ist das, was die Rolle hergibt, und das, was man daraus macht», erklärt Gerda Schwindt, die sich eher als «stille Schafferin» denn als «Frontfrau» betrachtet und zur Bestform aufläuft, «wenn man mir den Freiraum gibt, unternehmerisch unterwegs zu sein».
«Es war also einiges los in den letzten fünf Jahren», resümiert Schwindt und lacht. Wie viel sie arbeite? «Sicher genug, um einen guten Job zu machen», sagt sie und tätschelt vieldeutig ihren Blackberry. Entspannung finde sie im Sport beim Biken, Joggen, Skifahren und Eistanz, den sie seit Kindsbeinen mit leidenschaftlichem Ehrgeiz verfolge.
Auch wenn es sehr fordernd war, in diese Position hineinzuwachsen, so sei es gleichzeitig auch ein schleichender Prozess gewesen. «Im Unterschied zu meiner vorherigen Arbeit bei Franke, wo ich ‹nur› für das Konzern-HR zuständig war – ohne operative Aufgaben – habe ich hier bei Glencore beides: Ich habe zwar die Verantwortung für das Konzern-HR, aber ich habe nach wie vor eben auch das operative HR am Standort Baar unter mir», erklärt Schwindt. Dazu gehöre die operative Verantwortung für «zugewandte Bereiche wie die Reception, das Postbüro, die Archivierung, die Verpflegung oder Bauerweiterungsprojekte». Diese verantwortet sie bis heute. «Damit behalte ich zum Glück die Füsse am Boden und nicht im Elfenbeinturm.»
Sieht sie sich insofern auch ein wenig als «Mama von Baar»? «Nein, die Mama von Baar bin ich nicht. Das sind hoffentlich meine Assistentinnen», entgegnet Schwindt. Infolge der rasanten Veränderungen in den letzten Jahren mussten diese auch immer mehr Aufgaben übernehmen.
Glencore
Glencore ist als zweitgrösster Rohstoffhändler der Welt der zweitumsatzstärkste Konzern der Schweiz. Im Jahre 1994 aus der 1974 gegründeten Marc Rich&Co. AG entstanden, befand sich das Unternehmen bis zum Börsengang 2011 im Privatbesitz des Managements und einiger Mitarbeiter. 2013 erfolgte die Fusion mit der in Zug ansässigen Xstrata Plc. Glencore ist weltweit – unter anderem mit eigenen Minen – in neun Haupt-Rohstoffsparten tätig und beschäftigt heute ca. 200 000 Mitarbeitende, davon rund 760 am Hauptsitz in Baar (ZG).
Von Governance und Medienmache
Momentan bestünden die Herausforderungen im Nachgang der Fusion darin, die HR-Prozesse und -Strukturen weiter zu harmonisieren, erklärt Schwindt, um gleichzeitig einzuschränken: «Harmonisieren ist ein grosses Wort.» Es habe mit «einfachen Sachen» angefangen, wie etwa überhaupt einmal Policies und damit eine HR Governance zu kreieren. «In den letzten fünf Jahren war nur beschränkt ein Bedürfnis nach einer Global HR Governance vorhanden.»
Apropos Governance: Spricht man Gerda Schwindt auf die Kritik an, die gegenüber Glencore immer wieder betreffend Menschenrechte, Steuermanipulation, Korruption und Umweltverschmutzung laut wird, reagiert sie etwas ungehalten: «Ein Teil der Kritik ist sicher Medienmache. Vor allem das Thema Menschenrechte. Was die Umwelt anbelangt wissen wir, wo wir unsere Schwachstellen haben, und das sagen wir auch immer.» Dabei sei ihr durchaus bewusst, dass es auch um das Reputationsmanagement geht. «Da arbeiten wir dran, indem wir den Dialog mit den Anspruchsgruppen pflegen.»
Blick in die Zukunft
Könnte sie sich vorstellen, in ihrem Leben, in fünf oder zehn Jahren noch einmal etwas völlig anderes zu tun? «Ich könnte mir vorstellen, irgendwo in einer Hilfsorganisation zu arbeiten. Ich weiss nicht, ob ich es ertragen würde, aber vorstellen kann ich es mir.»
Und wo sieht sich Gerda Schwindt in 15 Jahren? «In 15 Jahren?» (lacht) Hoffentlich im Tessin am Kochen und Geniessen. Das ist mein Lieblingsort, wo ich am besten mit meinem Partner und Freunden bei einem guten Glas Wein und Essen entspannen kann.»