Selbstüberschätzung von Bewerbern kann erkannt und gemessen werden
Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Zürich wurde die so genannte Überkonfidenz in Bezug auf den Bewerbungsprozess untersucht. Die meisten der dazu befragten HR-Experten kannten zwar nicht den Begriff, wohl aber das Phänomen. Und diesem lässt sich mit relativ einfachen Mitteln auf die Spur kommen.
Überkonfidenz, engl. Overconfidence (OC), bezeichnet eine ungerechtfertigt positive Einschätzung der eigenen Kenntnisse, Möglichkeiten und Fähigkeiten. Eine überkonfidente Person ist sich beispielsweise der Vorhersage bestimmter Ereignisse zu sicher und schätzt die Grenzen des eigenen Wissens zu positiv ein.
Aufgefallen ist, dass praktisch alle befragten HR-Experten den Begriff Überkonfidenz nicht kannten, mit dem dahinterstehenden Phänomen jedoch vertraut waren. Zudem wurde deutlich, dass OC zwar vorwiegend mit negativen Attributen umschrieben wurde, überkonfidente Menschen jedoch zugleich mehrheitlich als sehr leistungsbereit und motiviert wahrgenommen werden.
Des Weiteren interessierte, wie OC in der Praxis reduziert werden kann. Die befragten HR-Experten waren sich einig, dass offene und klare Kommunikation sowie Feedback und der Führungsstil äusserst wichtige Instrumente sind, die zu einer Verringerung von OC beitragen können. Die Erfahrung der Experten deckt sich weitgehend mit Ergebnissen wissenschaftlicher Experimente zur Reduktion von OC, wonach das Bewusstsein über die Existenz von OC grundlegend ist und schnelles Feedback als adäquates Gegenmittel erkannt wurde.
Erkennen von Überkonfidenz
Der Kern der Arbeit bezieht sich auf das Erkennen von Überkonfidenz im Bewerbungsprozess, wobei die befragten HR-Experten vor allem auf folgende Punkte als Indizien für OC in den Bewerbungsunterlagen und im Bewerbungsgespräch hinwiesen (siehe Kasten).
Sechs der acht befragten HR-Experten berichteten, dass sie spezifische Fragen stellen, wenn sie es mit einem vermeintlich überkonfidenten Bewerber zu tun haben. Sie testen die Sprachkenntnisse, haken nach, lassen sich Schlagwörter sowie Fachbegriffe erklären und erkundigen sich nach Misserfolgen. Aufschlussreich seien zudem Fragen nach der Selbsteinschätzung, die auch in die Zukunft gerichtet sein können, etwa «Wie sehen Sie sich in fünf bis zehn Jahren?». Eine weitere Alternative zur Überprüfung sind situative Fragen, bei denen der Bewerber das eigene Verhalten anhand fiktiver Situationen umschreiben soll.
Messung von Überkonfidenz
Die bisherigen Messmethoden aus der Wissenschaft sind meist komplex und schwer auf den Personalbereich übertragbar. In Anlehnung an Arkes et al. (1987) wurde ein Quiz zum Metawissen entwickelt, anhand dessen OC von Bewerbern messbar gemacht werden soll. Das Metawissen beschreibt das Wissen über die Grenzen des eigenen Wissens und stellt ein geeignetes Messinstrument für allgemeine OC dar. Es wird jeweils eine allgemeine Wissensfrage und eine Frage zum Metawissen (wie sicher weiss man, was man zu wissen glaubt) gestellt. Eine Allgemeinwissensfrage könnte lauten:
Wie viele Menschen lebten Ende 2007 in Europa?
( ) 731 Mio. Menschen
( ) 680 Mio. Menschen
Wie sicher sind Sie sich Ihrer Antwort?
( ) 50 % ( ) 60 % ( ) 70 %
( ) 80 % ( ) 90 % ( ) 100 %
Der Schwierigkeitsgrad der Fragen in unserem OC-Test wurde eher hoch gewählt, da nur falsche Antworten Aufschluss über OC geben können. Weiss eine Person die Antwort nicht, so hat sie eine Chance von 50 Prozent, die richtige Antwort zu erraten. Eine überkonfidente Person würde angeben, zu mehr als 50 Prozent sicher zu sein, dass ihre Antwort stimmt. Da in unserer Gesellschaft Optimismus eine eher erwünschte Eigenschaft ist, ist es recht wahrscheinlich, dass eine Person eher dazu tendiert, 60 Prozent oder mehr anzugeben. Eine einmalige Überschätzung könnte jedoch Zufall sein. Aufschluss über eine systematische OC gibt die Differenz aus der durchschnittlich angegebenen Sicherheit, die richtige Antwort gegeben zu haben, und der durchschnittlichen tatsächlichen Korrektheit der Antworten. Bei einer weiteren Erhebung an der Universität Zürich wurden zahlreiche HR-Praxisexperten gefragt, ob sie denken, dass ein solches Quiz Aufschluss über OC bei Bewerbern geben könnte. Über zwei Drittel waren der Meinung, dass das vorgestellte Tool eine Möglichkeit darstellt, jedoch merkten sie an, dass zusätzlich fachspezifische Wissensfragen zur Testung von berufsspezifischer OC abgefragt werden sollten.
Fachleute bewerten OC weitestgehend negativ, obwohl dem Phänomen auch positive Attribute wie Pioniertätigkeiten zugestanden werden können. Unterstützend zur Intuition der Fachleute bezüglich des Erkennens überkonfidenter Bewerber wurde aufgezeigt, wie OC mit geringem Zeit- und Kostenaufwand näherungsweise bestimmt werden könnte.
Die präsentierten Ergebnisse bieten die Möglichkeit für weiter gehende Tätigkeiten, wobei es vor allem naheläge, den Vorschlag für ein Erfassungstool von OC innerhalb eines Bewerbungsgesprächs anhand allgemeiner und fachspezifischer Fragestellungen auszubauen und zu testen. Dies könnte die oft intuitiven Entscheide von Personalverantwortlichen unterstützen und in Kombination mit einer erhöhten Sensibilität zur besseren Kontrolle von OC beitragen.
Literatur:
- Arkes, Hal R./Christensen, Caryn/Lai, Cheryl/Blumer, Catherine; Two Methods of Reducing Overconfidence, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, 39(1987)1, S. 133–144.
Hinweise auf Overconfidence
Im CV:
- Protzige Gestaltung
- Auffälliges Foto
- Genannte Sprachfähigkeiten ohne Belege
- Übertriebene Auflistung von Fähigkeiten oder Hobbys
Im Motivations- oder Begleitschreiben:
- Allzu passende Beschreibung der eigenen Person zum Unternehmensprofil
- Allzu passende Beschreibung der eigenen Fähigkeiten auf die Stelle
- Unrealistische Selbsteinschätzung (der eigenen Fähigkeiten)
- Übertriebene Gehaltsforderungen
Im Bewerbungsgespräch:
- Lob der eigenen Fähigkeiten
- Wortwahl (z.B. Verwenden von Schlagwörtern)
- Hohe Salärforderung
- Wunsch nach steiler Karriere
- Schwelgen in vergangenem Erfolg
- Keine Berichte von Misserfolgen
- Abschieben von Fehlern auf andere