BGM-Special: Strategie

Wie reif ist Ihr Unternehmen?

Unterschiedliche Reifegrade erfordern unterschiedliche BGM-Massnahmen. Wir haben den Krankenversicherer Swica, die Fluggesellschaft Swiss, die Logistikbasis der Armee sowie das Wohn- und Pflegezentrum Zollikon zum Reifegrad ihres BGM und zu den Hintergründen der strategischen Einbettung befragt.

Als «Pionierunternehmen der ersten Stunde» bezeichnet Heinz Metzler, Leiter BGM bei Swica, seinen Arbeitgeber. Nicht zu Unrecht: So erarbeitete der grösste Krankentaggeldversicherer der Schweiz bereits 2006 zusammen mit anderen namhaften Wegbereitern wie der SBB, Alstom, Migros und dem Institut für Arbeitsmedizin einen BGM-Handlungsleitfaden und schuf damit die Grundlagen der Friendly-Work-Space-Zertifizierung. «Den Anstoss zur Ausarbeitung eines strategischen BGM-Konzepts hat die gehäuft intern auftretende und von Firmenkunden gestellte Frage nach der Messbarkeit der BGM-Massnahmen gegeben sowie deren Ratlosigkeit bei der Implementierung eines BGM», umreisst Heinz Metzler die Ausgangslage.

Dass Swica diese Vorreiterrolle einnehmen konnte, verdankt sie auch ihrem Gründer, Hans-Ueli Regius, «einem echten Patron». Dieser habe die Versicherungsgeschäfte bis ins Detail gekannt und das Unternehmen von anfangs 60 auf 1200 Mitarbeitende ausgebaut und sich dabei ein breites Gesundheitswissen angeeignet. Das habe die Kultur bei Swica massgeblich geprägt. Als Stiftungsratsmitglied von Gesundheitsförderung Schweiz setzt auch der aktuelle Swica-Chef Reto Dahinden weiterhin deutliche «Gesundheitszeichen».

Freiwillig oder nur nach Vorschrift?

Während im Krankenversicherungs-Unternehmen die Einführung des BGM schon früh auf freiwilliger Basis erfolgte, existieren in der Flugbranche seit Jahren zahlreiche Gesetze, die den Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements teilweise regulieren und Zwangsvorgaben setzen.

Als Beispiel solcher Gesetzesvorgaben nennt Reto Schmid, Head of Human Resources der frisch Friendly-Work-Space-zertifizierten Swiss die Arbeitsplatzsicherheit oder flugmedizinische Untersuchungen. Das habe im positiven Sinne zwar dazu geführt, dass die Swiss bereits in vielen Bereichen BGM betrieben habe. «Gefehlt hat aber die Klammer um all diese Massnahmen herum und die Übersicht, wo Handlungsbedarf besteht.» Weil so viele einzelne Bausteine existierten, hat die Swiss ihr BGM nun schrittweise weiterentwickelt. Zuerst mit der Anstellung eines BGM-Verantwortlichen, dann folgte die Einführung eines Case- sowie eines Absenzmanagements. Seit 2012 ist eine Steuergruppe aktiv, welche die Verantwortlichen der Arbeitssicherheit, des Case Managements, des HR und des BGM zusammenbringt und an die Geschäftsleitung rapportiert.

Den Kinderschuhen entwachsen

Diese fehlende BGM-Klammer  bewog auch die Logistikbasis der Schweizer Armee dazu, ihr BGM strategisch zu verankern: Zwar setzte sich die Organisation wiederkehrend mit der Arbeitsplatzsicherheit auseinander, hatte aber keine idealen Instrumente zur Hand, um der steigenden Fehlzeiten, die beispielweise mit psychischen Faktoren zu tun hatten, Herr zu werden, sagt Marco Leo, HR-Leiter der Logistikbasis der Schweizer Armee. Deshalb lancierte er zusammen mit dem Personalchef des Departements Verteidigung «sein» BGM-Projekt. Galt es anfänglich, die Führungskräfte im Umgang mit den neu geschaffenen BGM-Instrumenten zu schulen und das HR zu befähigen, den Linienvorgesetzten beratend zur Seite zu stehen, wurde zwischenzeitlich ein BGM-Budget gesprochen. Eine langjährige HR-Beraterin hat nun die BGM-Leitung übernommen und treibt das noch in den Kinderschuhen steckende Projekt voran.

BGM in der Pubertät

Auch Claudio Leasi, Leiter zweier Wohn- und Pflegezentren in Zollikon und Chef von rund 150 Mitarbeitenden, nennt steigende Fehlzeiten als Antrieb zu weiteren BGM-Aktivitäten. Der Einstieg ins BGM war aber nicht ganz freiwillig, wies doch der Krankentaggeldversicherer der Wohn- und Pflegezentren auf die sich verschlechternde Situation hin. «Prämienerhöhungen drohten»,  schildert Leasi die Situation. Die bevorstehende Standortzusammenlegung der zwei Wohn- und Pflegezentren habe den Handlungsdruck zur Einführung eines BGM zusätzlich erhöht, denn organisatorische Veränderungen ziehen oft  weitere Fehlzeiten nach sich.

Mitentscheidend für die rasche Einführung des BGM sei jedoch gewesen, dass die Bereichsleitende HRM soeben ein Masterstudium in Prävention und Gesundheitsförderung absolviert hätte und somit ihr aktuelles Fachwissen ins Projekt einbringen konnte. Heute verkörpert das Betriebliche Gesundheitsmanagement eine Grundhaltung und im Unternehmen wurde eine neue Stelle «Projekte und Entwicklung» geschaffen, die das HR bei der Weiterentwicklung unterstützt. «Noch befindet sich unser BGM aber in der Pubertät», sagt Leasi schmunzelnd. Während steigende Fehlzeiten oft der Auslöser für die Implementierung eines BGM sind, unterscheiden sich die Ansätze, wie diese angepackt werden, teilweise erheblich.

So hat die Swica aufgrund regelmässiger Mitarbeiterbefragungen Rückkehrgespräche von Wiedergenesenden als wichtigste Ansatzhebel identifiziert, um Fehlzeiten zu reduzieren, und deshalb Führungskräfte in der Gesprächsführung geschult. Damit konnten die Ursachen der Fehlzeiten systematisch ermittelt und adäquate Massnahmen ergriffen werden. Gleichzeitig wurde jede Führungskraft auch für die Fehlzeiten ihrer Mitarbeitenden verantwortlich gemacht. Sogar eine Höchstquote an Fehlzeiten pro Team wurde in den Jahreszielvereinbarungen festgehalten. Das hat im Laufe der vergangenen drei Jahre dazu geführt, dass die Fehlzeiten beinahe um die Hälfte gesunken sind und intern das Bewusstsein für das Thema Gesundheit weiter gewachsen ist. «Der achtsame Umgang mit Mitarbeitenden trägt einen wesentlichen Teil zu diesem Erfolg bei», sagt Heinz Metzler. Es seien in der Regel kleine Dinge, die man ansprechen müsse: «Beispielsweise wenn jemand zunehmend mehr Flüchtigkeitsfehler macht, viel mehr Kaffee trinkt oder dauernd übermüdet ist.»

Mitarbeitende informieren

«Bei Swiss hat das Friendly-Work-Space-Assessment Ende letzten Jahres aufgezeigt, wo noch Handlungsbedarf besteht», sagt Reto Schmid. Da die BGM-Jahresplanung  zu diesem Zeitpunkt allerdings schon abgeschlossen gewesen sei, habe sich aus dem Audit die Entwicklung eines BGM-Cockpits aufgedrängt, mit dem nun strukturiertere Reportings möglich seien. «Damit werden wir künftig noch gezielter messbare BGM-Massnahmen umsetzen können.»

Der Leiter der Wohn- und Pflegezentren, Claudio Leasi,  wählte eine andere Taktik: «Bei der Implementierung des BGM haben wir mit der Entwicklung eines Handbuchs zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement und zum Fehlzeitenmanagement auf Kaderstufe begonnen.» Dabei scheute sich der Leiter des Wohn- und Pflegeheims nicht, auch externe Experten beizuziehen. Es folgten Kaderworkshops und Übungen zur Gesprächsführung über die verschiedenen Stufen hinweg, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, wie Fehlzeitengespräche zu führen sind. 

Später wurde eine Arbeitsgruppe Gesundheit gegründet, die Belastungen und Ressourcen der einzelnen Bereiche ermittelte und mögliche Massnahmen ausarbeitete, die dann einer BGM-Steuergruppe zur Umsetzung übergeben wurde. «Innerhalb der Geschäftsleitung ist das BGM jedenfalls angekommen und ein regelmässiges Thema», sagt Leasi. Zu optimieren sei noch die interne Kommunikation, denn: Das Betriebliche Gesundheitsmanagement wird von der Basis nicht immer genügend wahrgenommen.» Weiter sei eine Neuauflage der Mitarbeiterbefragung geplant, die mit einem reduzierten Fragesatz die wichtigsten Brennpunkte ermitteln soll.

Kein Königsweg

Die Erfahrung, dass an der Basis nicht immer ankommt, was unter Betrieblichem Gesundheitsmanagement zu verstehen ist, hat auch Marco Leo gemacht. Er hat Gegensteuer ergriffen und mit der Kampagne «Sicherheit am Arbeitsplatz» Strukturen geschaffen, um die interne Kommunikation zu vereinheitlichen: «Das wird sich nun als hilfreich erweisen, um den Mitarbeitenden den Start des BGM-Projekts näherzubringen», erläutert Leo die kommunikative Neuausrichtung. Im Fokus des HR-Leiters steht aber auch die Neugestaltung der Absenzmanagementprozesse: «Die Vorgesetzten waren nicht klar instruiert, wie sie beispielsweise im Umgang mit Langzeiterkrankten vorgehen sollten und wie das Zusammenspiel der unterstützenden Institutionen funktioniert.» Im Mai 2015 erfolgt nun der offizielle Startschuss zum BGM-Projekt: «Als Erstes werden wir die Leitsätze des BGM erarbeiten, in denen sich die Führungskräfte und die Mitarbeitenden wiedererkennen.»

Die verschiedenen BGM-Reifegrade der betrachteten Unternehmen zeigen, dass ein BGM nicht nach starren Vorschriften eingeführt werden kann, sondern unterschiedliche Herangehensweisen erfordern. Einen Königsweg dazu gibt es allerdings nicht.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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