Demokratisch geführte Unternehmen

Wo Mitarbeitende ihr Gehalt selbst bestimmen

Bei der demokratisch geführten Digital-Agentur Elbdudler aus Hamburg entscheiden die Angestellten, wie viel Geld in ihrer Lohntüte landet. Wunschkonzert? Kuschelkultur? Mitnichten, meint Elbdudler-Chef Julian Vester im Interview.

Herr Vester, derzeit ist Elbdudler in den Medien sehr präsent, weil die Mitarbeitenden ihre Gehälter selber festlegen. Wie funktioniert so etwas im Unternehmensalltag?

Julian Vester: Grundsätzlich heisst das, dass man Lohntransparenz schaffen muss. Viele erachten das als heikel und haben Angst davor, dass die Mitarbeitenden oder Kollegen die Höhe ihres Gehalts nicht akzeptieren könnten. Diese Angst ist aus meiner Erfahrung jedoch unbegründet. Wenn ich mit Argumenten untermauern kann, weshalb ich verdiene, was ich verdiene, akzeptieren dies die Mitarbeitenden oder Kollegen sehr wohl. Verdient jemand hingegen unberechtigterweise zu viel, dann ist es auch gut, wenn dies zur Sprache kommt. Klar, gab es auch bei uns Diskussionen darüber, wer wieviel verdient. Die meisten Unstimmigkeiten entstanden aber, weil den Mitarbeitenden nicht alle Informationen zur Verfügung standen. Im Falle einer neuen Mitarbeiterin war beispielsweise nicht bekannt, dass diese auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet hatte, um bei Elbdudler zu arbeiten. Nachdem dies geklärt war, hatte keiner mehr ein Problem mit der Höhe ihres Lohns.

Wie haben Sie für die Lohntransparenz Akzeptanz geschaffen?

Wir haben ganz einfach eine Excel-Liste erstellt, auf der alle 35 Mitarbeitenden ihr aktuelles Gehalt und ihren Wunschlohn eingetragen haben. Jeder Mitarbeitende hat sich dann zwei bis fünf Kollegen gesucht und in einer Peer-Review die Lohnhöhe festgesetzt. Manchmal passten deren Kommentare dann auch nicht ganz zu den Wunschgehältern. Das wurde ausdiskutiert und die Gehaltsvorstellungen nicht nur nach oben angehoben, sondern in Einzelfällen auch nach unten korrigiert. Danach haben wir überprüft, ob wir die Gesamtsumme an Wunschgehältern überhaupt bezahlen können. Das hat jeden gefordert, sich zu hinterfragen, was er überhaupt an Geld braucht, wie viel der Kollege in einem ähnlichen Aufgabengebiet verdient, was der Markt hergibt und was das Unternehmen bezahlen kann. Wir haben uns anschliessend gemeinsam überlegt, wie wir den erforderlichen Mehrumsatz erzielen können. Wir wollten ja alle dasselbe Ziel erreichen und das hat uns erst richtig Schub gegeben. Weil sich jeder konstant gefragt hat, was er besser machen könnte, haben wir unser gemeinsam definiertes Umsatzziel auch innerhalb weniger Monate erreicht.

Ist es jedermanns Sache, alle Dinge auszudiskutieren?

Man kann es sich nicht mehr einfach in seiner Komfortzone bequem machen und sich auf den «blöden Chef» beziehen oder sagen «das haben wir schon immer so gemacht.» Den Problemen aus dem Weg zu gehen, ist in einem solchen Umfeld nicht ganz einfach, zum Beispiel, wenn andere mit der Leistung nicht mehr zufrieden sind und das offen ansprechen. Das kann weh tun. Man wird oft mit Gefühlen konfrontiert wie beispielsweise mit Neidgefühlen in der Lohndiskussion. Dann muss man einfach darüber reden und das ausdiskutieren. Wem diese Form der Zusammenarbeit nicht behagt, der wird das Unternehmen früher oder später wieder verlassen.

Wer führt wen bei Elbdudler?

Die Führungsrollen sind je nach Situation anders verteilt. So habe ich kürzlich in meiner Funktion als Geschäftsführer ein Projekt im Bewegtbildbereich in grosser Runde vorgestellt und mich erkundigt, ob jemand etwas gegen die Umsetzung dieses Projekts hätte. Es kann aber jeder andere zu einem beliebigen Thema die Führung übernehmen. Hat jemand Lust auf ein neues Projekt, dann darf er das machen, sofern er Leute findet, die sich daran beteiligen und Kunden, die das Produkt kaufen. Stört sich hingegen jemand an etwas, erwarte ich, dass dieser Mitarbeitende einen Lösungsvorschlag einbringt und damit auch die Verantwortung für «sein» Thema übernimmt. Wenn sich dieser Mitarbeitende drei Monate lang über etwas aufregt, aber nichts unternimmt, dann hat er aus meiner Sicht drei Monate lang etwas falsch gemacht.

Gibt es Grenzen der Beteiligung?

Die Mitarbeitenden haben  alle Beteiligungsmöglichkeiten, auch wenn ich an gewissen Rahmenbedingungen nicht rütteln lasse: zum Beispiel an der Art und Weise, wie wir arbeiten. Grundsätzlich machen die Menschen aber deutlich mehr, als sein müsste. Das merkt man auch an der Leidenschaft und der Freude, mit der sie die verschiedenen Projekte angehen.

Elbdudler

Die Hamburger Digitalagentur «Elbdudler» ist die Idee der beiden ehemaligen Studenten Julian Vester und Jonas Wegener. Diese hatten die Chancen und das Potenzial von digitalem Marketing für Unternehmen erkannt, lange bevor diese den Nutzen von Social Media-Plattformen für sich entdeckt hatten. Die angehenden Unternehmer brachen ihr Studium ab und gründeten mit «Elbdudler» ein Unternehmen, das ohne Hierarchie, Stechuhr-Struktur oder festgelegten Arbeitszeiten auskommt. Mittlerweilen hat sich Elbdudler mit rund 35 Mitarbeitenden vom Startup zur etablierten Digitalagentur entwickelt. Seit 2013 führt Julian Vester das Unternehmen ohne seinen Mitbegründer.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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