Motivation

Motivation: Der Weg vom grossen 
Mythos hin zur täglichen Feinarbeit

Können Mitarbeitende motiviert werden? Oder gehört dies in das Reich der Mythen? Nein, aber die Aufgabe ist 
komplex. Äussere und innere Anreize müssen ausgewählt und abgestimmt werden. Allerdings motivieren nicht nur 
interessante Tätigkeiten. Eingebettet in einem grösseren Ganzen, wird auch Uninteressantes als motivierend erlebt.

Wie bringe ich mich selbst und andere dazu, etwas zu tun und anderes zu lassen? Wir alle kennen viele Tricks, uns zu überreden, unliebsame Arbeiten zu erledigen. Wir alle kennen aber auch das angenehme Gefühl, wenn wir etwas tun, in dem wir ganz aufgehen. Die Kunst ist, uns so zu motivieren, dass wir das Angenehme und Unangenehme genau in der Mischung tun, die nötig ist, damit wir die für uns wichtigen Ziele erreichen. Wie hilfreich es ist, diese Kunst zu beherrschen, hat der Psychologe Walter Mischel eindrücklich belegt. Seine Untersuchungen haben gezeigt, dass die Fähigkeit von Kindern im Kindergartenalter, Belohnungen aufzuschieben – beispielsweise eine angebotene Süssigkeit nicht gleich zu essen, wenn das Warten mit einem grösseren Geschenk zu einem späteren Zeitpunkt belohnt wird –, deren schulischen Erfolg und diverse kognitive und soziale Kompetenzen als Jugendliche vorhersagen kann.

Kompetenz und Autonomie bei der 
Arbeit sind ein Grundbedürfnis

Als Führende sind wir nicht nur bezüglich unserer eigenen Motivation, sondern auch im Hinblick auf die Motivation der Menschen, mit denen wir arbeiten, gefordert. Eine Standardaussage in vielen Führungskursen ist es, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden dazu zu motivieren hätten, ihren Teil zur Erreichung der Unternehmensziele zu leisten. Reinhard Sprenger hat dies den Mythos Motivation genannt und wird es nicht müde, in seinen Büchern darzulegen, dass wahre Motivation nur von innen heraus entstehen kann und äussere Anreize deshalb unwirksam sind oder sogar negative Auswirkungen haben, weil statt die Arbeit gut zu erledigen, die Arbeitenden versuchen, externe Belohnungen zu maximieren. Dies kann zum Beispiel passieren, wenn die Anzahl beratener Kunden und nicht die Beratungsqualität gemessen und belohnt wird. Die Leistung wird dann wahrscheinlich aus vielen kurzen und wenig hilfreichen Beratungsgesprächen bestehen.Es gibt somit immer einen Zusammenhang zwischen Motivation und Leistung, aber die Motivation kann fehlgeleitet sein, indem sie eine andere als die gewünschte Leistung hervorbringt.

Das Wechselspiel zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation hat der Psychologe Edward Deci über Jahrzehnte untersucht und daraus die Selbstbestimmungstheorie der Motivation entwickelt. Kernstück dieser Theorie ist die Annahme, dass intrinsische Motivation mit dem Erleben von Kompetenz und Autonomie einhergeht, was einem Grundbedürfnis entspricht. Kommen äussere Anreize ins Spiel, beispielsweise Belohnung und Bestrafung in Abhängigkeit von Arbeitsverhalten und -ergebnissen, dann wird das Verhalten als von aussen gesteuert erlebt, was die Selbstbestimmtheit und damit auch die intrinsische Motivation reduziert. Wie stark externe Kontrolle und damit Einschränkung der eigenen Autonomie wahrgenommen wird, hängt davon ab, ob die Ziele und Werte, denen die Tätigkeit dient, von der Person mitgetragen werden. Ein Krankenpfleger tut vieles, was in sich nicht motivierend ist, wie Patienten füttern oder waschen, zum Wohle der Patienten und gewinnt daraus Motivation und persönlichen Sinn.

Für Vorgesetzte heisst das, dass sie sehr wohl zur Motivation ihrer Mitarbeitenden beitragen können. So weit möglich sollten sie die Tätigkeiten ihrer Mitarbeitenden so gestalten, dass sie Nutzung und Erweiterung von Kompetenzen ermöglichen. Dazu gehört auch, den Mitarbeitenden Freiräume zu schaffen, ihre Tätigkeiten selbst mitzugestalten im Sinne eines «job crafting». Es wird aber immer auch Tätigkeiten oder Teile von Tätigkeiten geben, die wenig interessant sind. Hier sind Vorgesetzte gefordert, Bedeutung und Sinn dieser Tätigkeiten in einem grösseren Zusammenhang aufzuzeigen und Verknüpfungen zu den persönlichen Zielen und Werten der Mitarbeitenden herzustellen. Selbst in sich grösstenteils einfache und wenig herausfordernde Tätigkeiten können als Berufung mit hoher Motivationskraft erlebt werden, wie eine Studie über Tierpfleger in zoologischen Gärten kürzlich gezeigt hat.

Externe Anreize: Keine reinen 
Disziplinierungsmassnahmen

Die Bereitstellung von externen Anreizen ist aber ebenfalls eine Führungsaufgabe, denn die Arbeitswelt verlangt einiges, dem weder Herausforderung noch ein tiefer liegender Sinn abzugewinnen sind. Diese Anreize sollten so beschaffen sein, dass sie nicht oder zumindest nicht nur als Disziplinierungsmassnahme erlebt werden. Dies gelingt am ehesten, wenn Anreize persönliche Anerkennung und Wertschätzung ausdrücken und eine konstruktive Rückmeldung über die eigene Kompetenz und Leistung beinhalten. Am einfachsten lassen sich diese Bedingungen am derzeit vieldiskutierten Leistungslohn verdeutlichen.

Immer mehr Unternehmen setzen auf Lohnsysteme, die eine leistungsabhängige Komponente des Lohns beinhalten. Und einige Untersuchungen, die gezeigt haben, dass die Produktivität durch Einführung von Leistungslohn steigt, scheinen ihnen recht zu geben. Wesentliche Voraussetzung ist, dass die Leistungsbeurteilung als angemessen und die Beziehung zwischen Leistung und Lohn als transparent und gerecht erlebt wird. Nur dann ist der erhaltene Lohn Ausdruck von Wertschätzung einer erbrachten Leistung. Oftmals sind diese Bedingungen aber schwer herzustellen oder werden sogar bewusst missachtet. Für Letzteres bietet die Debatte um Boni im Bankensektor reichlich Anschauungsmaterial.

Um angemessene Leistungsbeurteilungen zu erreichen, ist das gewählte Leistungsmass entscheidend, das heisst, Arbeitsergebnisse und/oder Arbeitsverhalten. Arbeitsergebnisse sind grundsätzlich einfacher und objektiver messbar, aber oftmals nur begrenzt direkt beeinflussbar. Verkaufszahlen hängen nicht nur vom Einsatz der Verkäuferin ab, sondern auch von der Marktlage, der Qualität des Produkts usw. Arbeitsverhalten ist immer direkt beeinflussbar, aber nur subjektiv messbar und nicht immer direkt mit Arbeitsergebnissen verknüpft. Oftmals wählen Unternehmen eine Mischung aus beidem, um die Vor- und Nachteile auszugleichen. Das Resultat ist oft eine schwer nachvollziehbare Beurteilung, die Unterschiede zwischen Mitarbeitenden nivelliert. Eigenwillig erscheint auch die häufig verwendete Bewertungsskala, bei der hundert Prozent Leis
tung mit Mittelmass gleichgesetzt wird, das nicht speziell zu belohnen ist. Wie aber kann ein Mensch mehr als alles geben? Und welchen Motivationswert hat das Wissen, dass alles geben nicht gut genug ist?

Bei der Beziehung zwischen Leistung und Lohn ist eine zentrale Frage die Gewichtung von Einzel- und Gruppenleistung. Immer dann, wenn das Arbeitsergebnis durch die Zusammenarbeit von mehreren erreicht wird, sollten sie auch gemeinsam dafür belohnt werden. Eine zweite Frage ist die Höhe des leistungsbezogenen Anteils im Lohn. Ein niedriger Anteil bedeutet viel Aufwand für letztlich wenig Anreizwirkung, ein sehr hoher Anteil wirkt eher als individuelles Risiko denn als Anreiz. Bei beiden Fragen ist auch zu berücksichtigen, dass damit starke Signale gesendet werden, welche Art von Mitarbeitenden ein Unternehmen bevorzugt werden: konkurrenzorientierte Einzelkämpfer oder risikofreudige «team players».

Mitarbeiterbefragungen bringen mehr als Zufriedenheitseinschätzungen

Das bisher Gesagte einfach zusammengefasst: Motivation entsteht, wenn persönlich wichtige Ziele durch eigenes Handeln erreicht werden können. Im Arbeitsalltag bedeutet dies, dass immer wieder eine Feinabstimmung zwischen Zielen, Erwartungen und Möglichkeiten der Mitarbeitenden einerseits und des Unternehmens andererseits vorgenommen werden muss. Gelingt diese Feinabstimmung, entsteht ein tragfähiger psychologischer Vertrag, der gleichzeitig ein Garant für hohe Motivation ist. Denn er schafft optimale Bedingungen für die persönliche Zielerreichung. Inhalte des gegenseitigen Gebens und Nehmens im psychologischen Vertrag können materieller und immaterieller Natur sein. Neben handfesten Dingen wie der Teilnahme an Weiterbildungen, Übernahme eines Projekts im Ausland oder der Bereitschaft, über längere Zeit Überstunden zu leisten, gehören meist auch Wertschätzung und Loyalität zu den wichtigen Bestandteilen.

Wie Mitarbeitende die Erwartungen und Angebote des Unternehmens erleben und welche Erwartungen und Angebote sie selbst an das Unternehmen haben, kann im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen erhoben werden. Die Antworten auf solche spezifischen Fragen sind weit informativer als die allgemeinen Zufriedenheitseinschätzungen, mit denen meist die entsprechenden Fragebogen gefüllt sind. Zusätzlich sollten bilateral zwischen Mitarbeitenden und ihren direkten Vorgesetzten die gegenseitigen Erwartungen und Angebote angesprochen, verglichen werden. Und wenn nötig sollten daraus konkrete Massnahmen ihre Umsetzung finden. Dies kann im formalen Mitarbeitergespräch und/oder in informellen Gesprächen erfolgen.

Enttäuschte Erwartungen durch eine offene Kommunikation verhindern

Um die mitarbeiterseitigen Erwartungen und Angebote sowie ihre Motivationslage besser einschätzen zu können, ist aber auch ein genauerer Blick auf die Zufriedenheitseinschätzungen hilfreich. (Un-)Zufriedenheit entsteht aufgrund des Vergleichs eines persönlich angestrebten Soll-Zustands mit dem in der Arbeitssituation zu einem gegebenen Zeitpunkt vorhandenen Ist-Zustand. Wenn Soll und Ist sich decken, kann die Motivation darauf ausgerichtet sein, diesen Zustand zu erhalten. Es können aber auch die eigenen Ansprüche erhöht und damit die Motivation auf etwas Neues gerichtet werden. Im Falle einer Diskrepanz zwischen Soll und Ist werden meist entweder Anstrengungen unternommen, die Arbeitssituation in Richtung der eigenen Ansprüche zu verändern, oder aber das Anspruchsniveau wird gesenkt, was zu höherer Zufriedenheit, tendenziell aber zu geringerer Motivation führt.

Für Mitarbeitende und Vorgesetzte ist es essenziell, diese Dynamik zu erkennen und in einem positiven Sinn zu beeinflussen. Wenn durch offene Kommunikation der Möglichkeiten und Grenzen in den gegenseitigen Angeboten Enttäuschungen vorgebeugt und auf dennoch enttäuschte Erwartungen schnell reagiert wird, kann die Motivation – wieder – auf das Erreichbare gerichtet werden.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Gudela Grote ist 1960 in Wiesbaden (D) geboren. An den Universitäten Marburg und Berlin studierte sie Psychologie. Die Professorin forscht an der ETH Zürich im Bereich integrativer Arbeits- und Organisationsgestaltung. Anwendung finden ihre Ergebnisse etwa in der Teamarbeit.
 

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