Blick in die Praxis
«Jedes Jahr finden bei uns rund zehn Paare ihre Liebe», erklärt Marcel Sonderer, Personalleiter bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), freimütig. Als potenzielle «Single-Kontaktbörse» hat das Finanzinstitut allerdings einige Massnahmen getroffen: «Bei uns sorgen Verhaltens-Guidelines dafür, dass ungute Situationen gar nicht erst entstehen. Wenn sich ein Paar findet und ein Interessenskonflikt im Raum steht, sind die Betroffenen angehalten, den nächst höheren Vorgesetzten darüber zu informieren. Insbesondere, wenn es sich um Vorgesetzte-Mitarbeiter-Beziehungen handelt oder bei Beziehungen innerhalb eines Teams, wo sich andere benachteiligt fühlen könnten.» In der Regel stellten Paarbeziehungen bei der ZKB aber kein No-Go dar. Bei rund 5000 Mitarbeitenden gäbe es auch immer Möglichkeiten, in eine andere Abteilung zu wechseln. Dann «hat man am Abend auch mehr zu diskutieren, als wenn man den ganzen Tag so nahe beieinander verbringt», meint Marcel Sonderer. «Verstecken spielen» sei jedenfalls nicht ratsam, meint er.
Wenn man offen mit dem Thema umgeht, könne man sich unter Kollegen in der Kaffeepause auch mal erzählen, was man Wochenende gemacht hat. «Nicht unbedingt gleich nach dem ersten Date, aber wenn die Beziehung eine gewisse Festigkeit hat.» Wie offen die Bank mit dem Thema «Liebe am Arbeitsplatz» umgeht, illustriert auch das Mitarbeitermagazin «Tresor», welches unlängst eine ganze Ausgabe der Thematik widmete, worin fünf Paare über Ihre «ZKB-Lovestory» Auskunft gaben (die auszugsweise auch den vorliegenden Artikel illustrieren). Übrigens: Sollte dem Glück doch keine lange Dauer beschieden sein, bietet die ZKB ebenfalls Hilfestellung. So haben alle Mitarbeitenden auch bei privaten Problemen Anspruch auf externe Unterstützung.
Das Buch zum Thema
Olaf Geramanis und Kristina Hermann (Hrsg.): Organisation und Intimität. Der Umgang mit Nähe im organisationalen Alltag – zwischen Vertrauensbildung und Manipulation. Carl-Auer Verlag, 310 S.
Was haben Organisationen mit Intimität zu tun? Wie viel Nähe und Emotionalität ist für das Funktionieren von Organisationen wünschenswert? In diesem Buch wird das Begriffspaar «Organisation und Intimität» aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Verschiedene Gastautoren beleuchten die diversen Aspekte von Nähe und Distanz in Unternehmen.
Von der (geheimen) Liebesbeziehung in die Selbständigkeit
Eric und Heike Rudolf von Rohrs Geschichte beginnt über Irrungen und Wirrungen und mit einer Kollegschaft, die eigentlich gar keine ist: Eric Rudolf von Rohr: «Ich war als Geschäftsführer der schweizerischen Niederlassung einer Unternehmensberatung dafür verantwortlich, diese aufzubauen und hatte als Neuling natürlich viele Fragen. So haben Heike und ich viele Male telefoniert, bevor wir uns das erste Mal in Dänemark trafen. Ich wollte unbedingt mehr über Heike erfahren, die damals in München lebte. Sie hat aber überhaupt gar nicht reagiert.» Mit Hartnäckigkeit, Charme und Wertschätzung nutzt Eric Rudolf von Rohr von da an jedes berufliche Treffen, um Heike Rudolf von Rohrs Herz zu erobern. Von den Kollegen hat niemand gemerkt, dass es zwischen ihnen gefunkt hat, beteuern beide. Oder zumindest beinahe. «Es war richtig kribbelig», meint Heike Rudolf von Rohr. «Ich habe mich bei jedem beruflichen Treffen gefreut wie auf die nächste Schulreise», schmunzelt er. «Offensichtlich wurde es erst, als wir
beim Händchenhalten erwischt wurden.»
Thematisiert haben die beiden die Beziehung am Arbeitsplatz nie. «Wir arbeiteten ja nicht am selben Ort oder im selben Team. Einen Rollen- oder Machtkonflikt gab es deshalb nicht», so Heike Rudolf von Rohr. «Ausserdem existierten keine Regelungen betreffend Umgang mit Beziehungen am Arbeitsplatz.» Das Private vom Beruflichen haben Eric und Heike Rudolf von Rohr schon immer getrennt. Seit sie sich mit dem Outplacement-Unternehmen TGC – The Gotthard Concept* gemeinsam selbständig gemacht haben, gilt dies umso mehr: Die Klientenvertraulichkeit ist zu wahren.
Und wie erleben sie ihre Zusammenarbeit? «Wir waren überzeugt, dass wir erfolgreich selbständig sein würden. Gemeinsam Lösungen zu finden, Höhe- und Tiefpunkte zu durchleben und sich gegenseitig wieder hochzuziehen, macht enorm stark. Wir wissen, dass wir aufeinander zählen können. Und dass wir am selben Strick ziehen. Uns kann eigentlich nichts passieren», gibt sich Eric Rudolf von Rohr überzeugt. Wer eine Beziehung am Arbeitsplatz eingehe, sollte sich jedoch die Konsequenzen vor Augen halten und nicht andere entscheiden lassen oder sich zum Gesprächsthema machen, schränkt Rudolf von Rohr ein. Oftmals sei es auch ratsam, einen Stellenwechsel einzukalkulieren und zu überlegen, wer den ‹höherwertigen› Job hat. «So hat alles seinen Preis», meint er abschliessend. «Authentisch zu sein, ist nicht immer einfach.» (cpa)