HR Today Nr. 10/2022: Im Gespräch - Patti Basler

«Sprache kann Menschlichkeit nicht ersetzen»

Sie war noch niemals in New Work, liebt unattraktive Arbeitszeiten und ist für den Lehrberuf inzwischen völlig überqualifiziert. Ein ernsthaft-humoristisches Gespräch mit Satirikerin und Autorin Patti Basler.

HR = Human Resources. Für viele zwischenzeitlich ein störender Begriff, man sollte lieber von Human Relations reden. Was meint Sprachakrobatin Patti Basler dazu?

Patti Basler: Es wäre ein grosser Fehler, arbeitende Menschen nicht mehr als Ressource zu verstehen. Denn diese sind nicht unendlich, das weiss heute jedes Kind. Das merkt man jetzt in Zeiten des Fachkräftemangels ganz besonders. Beziehungen, Relations hingegen pflegt man nicht nur zu Angestellten, sondern auch zu allen anderen Stakeholdern. Sogar zur Konkurrenz, pardon, zu «Mitbewerbern» – ebenfalls eine ­grauenhafte Wortschöpfung, die gerne auf dem Kompost der unausgereiften Begrifflichkeiten entsorgt werden darf.

Ob HR-Begrifflichkeit oder gendersensible und inklusive Sprache: Die Korrektheit nimmt zu. Erst kürzlich veröffentlichte die ZHAW einen neuen Leitfaden, an den «man/frau» sich zu halten habe. Doch hilft das, wenn es an der Menschlichkeit mangelt?

Gerade wenn Fachkräftemangel herrscht, tut das HR gut daran, alle Menschen anzusprechen, die in Frage kommen, um die drohenden Lücken zu besetzen. Es wäre ja blöd, wenn sich diese absolut brillante ­IT-Persönlichkeit, eine Koryphäe ihres Fachs, von der Stellenanzeige nicht angesprochen fühlt, weil sie sich als Transgender identifiziert. Ich traue dem HR, diesen Human-Relations-Fachkräften, durchaus zu, eine Sprache zu finden, die niemanden ausschliesst. So wahnsinnig schwierig erscheint mir das nun wirklich nicht in einem Umfeld, in dem ­Wortkreationen wie «Candidate Experience», «Adaptive Blended ­Learning» oder «Bildungscontrolling» benutzt werden. Sprache kann Menschlichkeit nicht ersetzen. Doch sie ist Ausdruck der menschlichen Zivilisation, die uns von Tieren unterscheidet.

Patti Basler

Patti Basler ist Autorin, Satirikerin, schnellste Instant-Protokollantin der Schweiz, war Sekundarlehrerin und im Zweitstudium Erziehungswissenschaftlerin, Soziologin und Kriminologin. Sie ist Trägerin des Salzburger Stiers und des Prix Walo (Comedy) 2019, hostet zudem den satirischen Radio-Podcast «Die dargebotene Faust» und tritt regelmässig auf Bühnen und im TV auf.

Inwiefern lenken sprachliche politische Korrektheit und der teils «vernagelte» Fokus auf Diversity and Inclusion von den ­Problemen in Unternehmen ab?

Ein «vernagelter» Fokus? Wer schon an der Sprache scheitert, hat wohl tatsächlich grössere Probleme im Unternehmen. Wer die juristischen Wortklaubereien bei Verträgen oder Rechtsstreitigkeiten in Gross­unternehmen verfolgt und sich die gewaltigen Summen vor Augen führt, die für Anwältinnen und Vertragsspezialisten ausgegeben werden, damit sie jedes Wort genauestens prüfen, dürfte sich wundern, weshalb die Forderung nach sprachlicher Inklusion so viel zu reden gibt. ­Diversität und Inklusion sollten komplett nebenher und so elegant wie möglich implementiert werden, damit der Fokus auf die anderen Probleme gelenkt werden kann. Das Vernageln dürfen die HR-Personen dann gerne den Leuten mit Bestattungs- und Begattungs-Expertise überlassen.

Der Fachkräftemangel heisst neuerdings Arbeitermangel. Was hältst du von dieser Wortkreation?

Ich habe dazu keine Meinung. Wie wäre es mit dem Kompromiss: «Arbeitskräftemangel»? Oder sind es wirklich die «Arbeiter», die fehlen? Das klingt mehr nach 1950er-Jahre-Industrie-Gewerkschafts-Sprech als nach 2022.

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Patti Basler (Bild: Roland Tännler)

 «Wenn sich Vorgesetzte wahnsinnig lustig finden und erwarten, dass die Angestellten auch noch über ihre Witze lachen, dann sind sie entweder wahnsinnig mühsam oder haben denselben Beruf wie ich.»: Patti Basler. (Bild: Roland Tännler)

Auch in deinem ursprünglichen Berufsfeld (Lehrkräfte) fehlen Fachkräfte. Unter welchen Bedingungen würde Patti Basler an die «Front» zurückkehren?

An die Front zurückkehren würde ich höchstens für Privatunterricht mit Begattungs-Fachpersonen oder Backstage-Toyboys, um ihnen die Interpunktion und das Setzen von Punkten beizubringen. Ich selbst nenne mich ja «Hure des Systems». Allerdings prostituiere ich mich nur auf dem Gedanken-Strich. Und um zu etwas mehr Ernsthaftigkeit, aber nicht weniger Wahrheit zurückzukehren: Ich erteile immer wieder Slam-Poetry-Workshops. Das mache ich gerne und nach etwa drei Tagen weiss ich, weshalb ich die Jugendlichen so wahnsinnig liebe und diesen Beruf dennoch nicht mehr ausüben möchte. Als ­Erziehungswissenschaftlerin wäre ich ohnehin überqualifiziert. Dafür bin ich komplett unqualifiziert in der Kunst des Aufstehens vor zehn Uhr morgens. Wobei ich das frühe Aufstehen weniger als Kunst sehe, sondern mehr als Perversion.

In deiner Kolumne im NZZ Magazin «Zu wenig Lehrkräfte? Sepp Blatter hätte doch bestimmt Zeit!» würdest du selbst Sepp Blatter und weitere Politik-Prominenz unterrichten lassen. Gäbe es noch andere geeignete Promis aus Wirtschaft und Cervelat-Prominenz?

Ueli Maurer sucht was Neues. Aber er hat wohl keine Lust. Für Deutschunterricht wäre Angela Merkel wohl geeigneter. Schliesslich sind es die vier Merkel-Merkmale, die den möglichen Personal-Pool für das HR erweitern: Frau, Quereinsteigerin, Seniorin, Deutsche.

Fast niemand will mehr «unattraktive» Berufe ergreifen, bei denen man am Wochenende oder nachts arbeitet, sich die Hände ­schmutzig macht oder sich mit streitbaren Kundinnen und Kunden oder Eltern auseinandersetzt. Was rätst du Firmen mit «unattraktiven» Berufen?

Ich arbeite oft und gerne nachts und am Wochenende. Ich streite mich mit Nationalrätinnen, Bundesräten, mit Online-Hetzerinnen und Hatern. Wo ich auftauche, nehmen Eltern ihre Kinder ins Haus und Ehemänner ihre Ehefrauen oder umgekehrt. Allerdings bekomme ich auch viel Anerkennung, Applaus und Apéro riche. Ausserdem viel ­Selbstbestimmung, beheizte Backstages und gute Beziehungen zu «Mitbewerbenden». Und anständige Gagen. Die Apéros sind dann auch das Einzige, was in meinem Beruf schmutzige Hände gibt. Das hilft alles. Es hilft, die Unattraktivität des Berufs durch attraktive Angebote zu mindern. Gleitende Arbeitszeit (wenn möglich), grosszügige Krankheits- und Ferienregelungen, Elternzeit, Kinderbetreuung, gute ­Pensionskasse, Kündigungsschutz, gute Löhne. Das angenehme Betriebsklima gibt es möglicherweise fast gratis obendrauf.

HR-Fachkräften fehlt es vielerorts noch am nötigen Selbstbewusstsein. Sie können sich vielfach nicht durchsetzen – wen wundert es, sitzen nach wie vor auch nicht alle in Geschäftsleitungen. Was sagt die Erziehungswissenschaftlerin dazu?

Einfach mal CEO und CFO entlassen? Oder zumindest gepflegt ins Burn-out treiben? Ist nicht das charmante Feuern eine der Kernkompetenzen der HR-Abteilung? Und natürlich sitzen die HR-Leute nicht in den Geschäftsleitungen. Das würde ja die Männerquote empfindlich senken. Es stünde zu befürchten, dass bei Geschäftsleitungsausflügen nicht nur an Stripperinnen, sondern auch an die Bedürfnisse der weiblichen Strippenzieherinnen gedacht werden müsste. Das wäre das Resultat des fast eisprunghaften Anstiegs an weiblichen Geschäftsleitungsmitgliedern – und nein, Hans-Peter, Mitglieder muss man nicht gendern, es heisst «das» Mitglied, das ist nicht männlich oder weiblich, sondern ein Neutrum, fast so neutral wie die Schweiz.

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Zum Thema unattraktive Berufe sagt Patti Basler, dass attraktive Angebote umso wichtiger seien. (Bild: Oskar Alessio.)

Alles ruft nach New Work. Bisschen remote, bisschen Agilität, bisschen Diversität, bisschen … Was ist New Work eigentlich für eine Satirikerin?

Ich war noch niemals in New Work …

Mit Humor arbeitet es sich leichter. Wie bringt man verbissene Chefs zum Lachen?

Ich hätte gerne etwas verbissenere Chefinnen und Chefs gehabt. Wenn sich Vorgesetzte wahnsinnig lustig finden und erwarten, dass die Angestellten auch noch über ihre Witze lachen, dann sind sie entweder wahnsinnig mühsam oder haben denselben Beruf wie ich. Dauergrinsende, gutgelaunte Leute mit Colgate-Gartenzaun gerade in den Gaumen gestecktem, geblecktem Gebiss erträgt ohnehin niemand lange. Da möchte man dann doch eher mal gepflegt eine reinhauen.

Drei Tipps ans HR?

Nur einen: Stellt mich als Instant-Protokollantin für eure nächste Tagung an. Das bringt euch nichts, aber mir. Im besten Fall eine anständige Gage, einen Apéro riche und eine nette Betreuung im Backstage. Und vielleicht entlocken wir den verbissenen Vorgesetzten ein Lachen. Denn als Satirikerin bin ich das Feigenblatt und die Hofnärrin, ich darf ­aussprechen, was alle anderen nur denken. Wenn die Geschäftsleitung dann immer noch nicht über sich selbst lachen kann, dann lach ich gerne mit dem HR-Personal. «Human Resources» sollte man ohnehin in «Humour Resources» umbenennen – und dann übernehmen wir den Laden.

«Nachsitzen»

Kabarett-Programm «Nachsitzen» mit Bühnenpartner Philippe Kuhn

  • 11. November 2022, Casino Zug
  • 19. November 2022, Arena Root
  • 14./15./17. Dezember 2022, Theater am Hechtplatz, Zürich

Weitere Auftritte: pattibasler.ch

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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