HR Today Nr. 5/2018: Debatte

Über Erkrankungen sprechen?

Personalberatungsinhaber Marc Thurner plädiert für mehr Transparenz, wenn die Arbeitsleistung durch eine Krankheit beeinträchtigt wird. Krankheiten sollten geheim gehalten werden, um den Selbstwert der Führungskräfte nicht zu gefährden, findet dagegen der Coach Urs R. Bärtschi.

Marc Thurner: «Eine Krankheit zu verheimlichen, 
ist keine Lösung. Stimmt etwas nicht, wird das schnell bekannt.»

Eine Krankheit zu verheimlichen, ist keine Lösung. Stimmt etwas nicht, wird das schnell bekannt. Egal, ob es sich um ein körperliches oder ein psychisches Problem handelt. Wenn jemand tageweise fehlt, wiederholt Termine nicht einhält oder ständig müde, abgekämpft und gereizt ist, sind das ernstzunehmende Hinweise.

Wer das Gespräch sucht, sagt meist: «Mein Chef reagierte viel besser als erwartet, mein Team trägt mich mit.» Es macht also durchaus Sinn, Chef und Arbeitskollegen mit ins Boot zu holen. Sie merken ja, dass etwas nicht stimmt, und machen sich Gedanken zu den Gründen – meist keine positiven. Krankheiten anzusprechen, ist nicht nur für Führungskräfte und Mitarbeitende ein heikles Thema, sondern auch für alle, die einen Job suchen. Grundsätzlich geht es den Arbeitgeber nichts an, wer welche Krankheiten hatte. Es geht ihn jedoch dann etwas an, wenn die künftige Arbeitsleistung teilweise oder sogar stark beeinträchtigt wird. Bei der Selektion von Fach- und Führungskräften ist deshalb folgende Frage wichtig: Was gebe ich zu welchem Zeitpunkt preis? Ehrlich währt am längsten – denn die Welt ist ein Dorf.

Aus meiner Praxis kenne ich zwei Varianten: Bei chronischen Beschwerden stellt sich die Frage, ob die Arbeitsleistung beeinflusst wird oder nicht. Wer regelmässig an Rücken- oder Rheumaschmerzen leidet, die ihn bei der Arbeit nicht einschränken, muss diese Tatsache in einem Bewerbungsschreiben oder im CV nicht erwähnen. Sobald jedoch die Leistung beeinträchtigt ist, ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, seinen künftigen Arbeitgeber zu informieren. Hand aufs Herz: Letzterer wird es sowieso merken – früher oder später. Diese Information gehört allerdings nicht ins Motivationsschreiben. Viel besser punkten Bewerber im Vorstellungsgespräch als Mensch mit Stärken, Fähigkeiten und Erfahrungen. Allfällige Beeinträchtigungen sind am Schluss zu erwähnen. Wie vieles im Leben hat das Vor- und Nachteile. Vielfach steckt in den vermeintlich negativen Lebenserfahrungen ein Geschenk für weiteres Wachstum.

Bei der zweiten Variante – bei längerer Abwesenheit durch Krankheit – stehen Bewerber vor dem Dilemma: Wie erkläre ich das in den Bewerbungsunterlagen? Ein Personaler entscheidet in der Regel innert Sekunden. Deshalb ist es ratsam, die Krankheit in den Bewerbungsunterlagen nicht zu erwähnen. Wird man im Vorstellungsgespräch auf die Lücke angesprochen, gilt es, Farbe zu bekennen. Wichtig ist, zu erzählen, was aus dieser Erfahrung gelernt wurde. Vielleicht hat die Krankheit wachgerüttelt und zu einer Veränderung des Lebensstils oder der Denkhaltung geführt. Etwa, weil man dankbarer und bewusster geworden ist und die Welt mit anderen Augen sieht. Vielleicht hat die Krankheit als Führungskraft sensibilisiert, Warnsignale des Körpers bei sich und den Mitarbeitenden früher zu erkennen und rechtzeitig Massnahmen einzuleiten.

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Urs R. Bärtschi: «Der wahre Grund, weshalb in der 
Führungsetage nicht über Krankheiten gesprochen wird, liegt in der Persönlichkeit der Führungspersonen.»

Viel Arbeit, wenig Schlaf und Dauerstress, so das Leben vieler im Reigen der Erfolgreichen. Seit den 50er-Jahren spricht man von «Managerkrankheiten» und bezieht sich auf die Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems infolge körperlicher und psychischer Überbeanspruchung. Diese werden als Schäden des modernen Lebens in Kauf genommen.

Erfolgsgeschichten gehören zum guten Ton, alles andere wäre unmittelbar mit Versagen gleichzusetzen. Und nichts könnte schlimmer sein als das. Die Scham des Gesichtsverlustes und die Zerstörungskraft im Selbstbild, die mit diesem Versagen einhergehen, sind zu vernichtend, als dass Führungskräfte über ihre Überforderungen sprechen würden. Sofern diese überhaupt als solche erkannt werden. Eine überhöhte Leistungsbereitschaft wird immer als «Stärke» verkauft.

Führungskräfte haben sich längst ein Wording angeeignet, das entsprechend überzeugend vorgetragen wird. Bis hin zum Kollaps oder bis Krankheiten den Menschen stoppen und aus der Bahn werfen. Handelt es sich dabei um «typische» Manager-Erkrankungen, so kann das Gesicht nach aussen gewahrt werden. Es wird vom Umfeld eher mit einer Spur Bewunderung wahrgenommen, dass der oder die so lange leistungsfähig war. Depressionen, Angststörungen und ähnliche psychische Krankheiten sind durchaus Folgen von Stress, die heute noch negativ gefärbt sind. Der Abstieg verläuft langsam, lange unbemerkt, mit dem Stigma des «es war zu viel für ihn oder sie» und wird mit Unfähigkeit gleichgesetzt. Erfolgreiche Menschen reden nicht über ihre Befindlichkeiten, weil sie diese meist nicht als negativ erkennen oder verdrängen, bis sie sich im Spital wiederfinden.

In einem anderen Fall begegnen wir einer Führungsperson, die durchaus realisiert, wie es um sie/ihn steht, aber aus Angst des Gesichtsverlusts und des Verlustes der eigenen Persönlichkeitsbasis schweigt. Dieser Typus neigt zu einem «überraschenden» Suizid. In beiden Gruppen ist die Angst, die eigenen Persönlichkeitsideale und Ziele zu verlieren, vorherrschend und handlungsweisend. Auf gar keinen Fall soll jemand bemerken, dass etwas nicht mehr stimmt.

Der wahre Grund, weshalb in der Führungsetage nicht über Krankheiten gesprochen wird, liegt in der Persönlichkeit von Führungspersonen. Ich plädiere deshalb für einen Umgang mit dem Thema, der den Betreffenden erlaubt, die Selbstachtung zu erhalten. Und hierzu gehört die Geheimhaltung einer nicht offensichtlichen Erkrankung. Gerade weil sich Führungspersönlichkeiten häufig selbst gefährden, sollte ein regelmässiges persönliches Coaching zum Job gehören. Wörter wie Selbstehrlichkeit, Selbsterkenntnis, positive Selbstführung und Achtsamkeit sollten dabei zwingend Eingang finden.

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Marc Thurner
 ist seit 16 Jahren Inhaber und Geschäftsführer der Personalberatungsfirma Almo Personal AG. Dass wir nicht anders können, als unserer Berufung zu folgen, und viel mehr können, als wir meinen, vermittelt er in Outplacements und Seminaren.

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Urs R. Bärtschi ist Coach und Gründer der Coachingplus GmbH und seit 25 Jahren als Berater und Coach tätig. Zudem unterrichtet er einen zehntägigen Studiengang für angewandtes Coaching und bildet zum betrieblichen Mentor FA aus.

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