«Noten sind überbewertet»
Viele Unternehmen beklagen sich darüber, dass sie keine geeigneten Lernenden finden. Doch inwiefern ist dies selbstverschuldet? Wir haben uns mit Employer-Branding-Spezialist Jörg Buckmann darüber unterhalten.
«Vielleicht gehen wir Erwachsenen einfach nur auf den Leim, wenn diese behaupten, der Lohn sei nicht so wichtig», sagt Jörg Buckmann, Employer-Branding-Spezialist. (Bild: 123RF)
Herr Buckmann, haben Firmen einfach zu hohe Ansprüche, wenn sie sagen, dass sie keine geeigneten Lernenden finden?
Jörg Buckmann: Es ist eine Scherenbewegung. Auf der einen Seite haben wir eine sinkende Zahl an Schulabgängern, auf der anderen Seite die Ansprüche der Arbeitgeber. Letztere haben sich der Arbeitsmarktsituation noch nicht angepasst. Zumindest noch nicht alle. Ihre Anforderungen sind tendenziell gestiegen. Das zeigt zumindest eine Studie in Deutschland, wonach Arbeitnehmende durchschnittlich 12,4 Anforderungen erfüllen müssen. Ausserdem wird immer noch relativ lustlos um junge Mitarbeitende geworben.
Wie meinen Sie das?
Viele Inserate und Websites sehen aus, als ob sie für 50-jährige Informatiker oder Führungskräfte erstellt wurden. Anstatt sich zu fragen, welche Zielgruppe man adressiert, werden alle Recruiting-Massnahmen über eine Leiste geschlagen. Vielfach wird dieses Verhalten nicht reflektiert. Und dann wundert man sich, dass sich ein 13-Jähriger mit nicht traut, einen Head of Human Resources anzurufen und seine Frage zu stellen. Weshalb bietet man nicht öfters niederschwelligere Angebote wie einen informellen Whatsapp-Chat?
Sind Noten überbewertet?
Sie sind dann überbewertet, wenn sich Recruiter bei der Auswahl nur darauf abstützen. Dabei geht vergessen, dass ganz andere Faktoren entscheiden, ob jemand im Job und im Team reüssiert und über die Lehre hinaus Erfolge verzeichnet. Das sind etwa sein Durchhaltewille, seine emotionale Intelligenz oder seine kommunikativen Fähigkeiten. Sinnvoller wäre, vermehrt Schnupperlehren anzubieten, sich damit weniger auf Noten abzustützen und verstärkt die Persönlichkeit der Lernenden einzubeziehen. Schnupperlehren sind sozusagen das «Vorzimmer» zur Lehre.
Arbeitgeber lernen Schülerinnen und Schüler kennen und können so besser auswählen. Auch der Sinn eines Bewerbungsschreibens sollte hinterfragt werden. Es gibt Berufsleute, die benötigen ganz andere Talente, als gut schreiben zu können. Weshalb beharrt man dann auf Bewerbungsschreiben, obwohl man viele passende Lernende damit abschreckt? Die Ursachen für die mangelnde Zahl an Bewerbungen werden noch zu oft bei anderen gesucht. Die Jungen seien zu verwöhnt oder wollen keinen handwerklichen Beruf erlernen, um nur einige zu nennen.
Es gibt doch auch Berufe, die einfach als «unsexy» gelten. Wie beispielsweise Metzger. Wie verkauft man Lernenden diese Stellen?
Solche Berufe gibt es tatsächlich. Für deren Verkauf habe auch ich kein Patentrezept. Metzger ist ein anstrengender Beruf – zumindest stelle ich mir das so vor. Das ist nicht jedermanns Sache. Im Wandel mit allen Tierschutzdiskussionen kommt noch ein Imageproblem hinzu. Das macht den Beruf noch weniger begehrenswert.
Bei unbeliebten Berufen oder vorurteilsbehafteten Arbeitgebern sollte deshalb überproportional häufig kommuniziert und der Dialog mit den Zielgruppen gesucht werden. An jedem Beruf gibt es schöne Seiten und die muss man so gut wie möglich hervorheben. Mir gefällt, wie der Metzgerverband auftritt und jungen Menschen die Berufe und die Branche auf vielfache Weise vorstellt.
Angenommen, ein Unternehmen ist in einer abgelegenen Region angesiedelt und dazu noch relativ unbekannt …
… dann wird’s nicht einfach. Jedoch: Firmen in abgelegenen Gegenden sind dafür meist lokal bestens vernetzt. Man kennt einander. Das ist ein Vorteil, denn in ländlichen Gegenden leben viele Leute, die dort stark verwurzelt sind. Ein zusätzlicher Pluspunkt: Ansässige müssen nicht pendeln und sparen damit Zeit und Geld.
Ist man nur wenigen bekannt, muss man vermehrt um Mitarbeitende oder Kunden werben. Meine Quartiersbäckerei sucht beispielsweise aktuell Bäckerlehrlinge. Um diese Nachricht zu verbreiten, hat das Familienunternehmen einige Flyer gedruckt und in der Filiale aufgelegt. Es ist wichtig, das lokale Netzwerk zu nutzen.
Womit überzeugt man Jugendliche?
Ich habe gerade zwei Gesprächsrunden mit Jugendlichen hinter mir und sie gefragt, weshalb sie ihren Arbeitgeber gewählt haben. Die Antwort lautete unter anderem auch ganz klar: der überdurchschnittlich hohe Lohn, das Geschäftsauto und die Aufstiegschancen. Vielleicht gehen wir den Erwachsenen einfach auf den Leim, wenn diese behaupten, der Lohn sei nicht so wichtig. Die Jugendlichen waren da ganz offen und ehrlich.
Am 28. Januar findet die zweite Lehrlingsmarketing-Tagung in Baden statt. Im April folgt ein weiterer Anlass für Berufserfahrene in Basel. Weshalb?
Das hat sich so ergeben, weil ich einige Leute aus Basel kenne und, ganz unter uns, die Basler ja bekanntlich nicht so gerne nach Zürich fahren (lacht). Dann muss man halt die guten Ideen nach Basel bringen, sagte ich mir. Für mich ist es eine grosse Befriedigung, eine Veranstaltung zu organisieren. Das ist zwar ein Knochenjob, bringt aber auch ein Glücksgefühl, wenn es schlussendlich aufgeht, das lernte ich in Baden mit dem Lehrlingsmarketing.
Service
Die Zweitausgabe der Lehrlingsmarketing-Tagung findet am 28. Januar 2019 in Baden statt (lehrlingsmarketing.ch). Am 25. März 2019 findet dann in Basel die erste TALENT BASEL (talentbasel.ch) statt. Diese Veranstaltung glänzt mit Toprednern aus Basel, der Schweiz und Deutschland. Ausserdem berichtet Massimo Ceccaroni vom Umgang mit jungen Talenten. Die Fussballlegende ist heute Nachwuchschef beim FC Basel.