Herr Weidner, was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Der Beitrag «Scharfmacherinnen mischen in der Chefetage kräftig mit» trifft die Wettbewerbssituation und die Bedeutung von Business-Machtspielen auch heute noch präzise. Gerade auch bei weiblichen Führungskräften, welche die gläserne Decke nicht akzeptieren und Männern die Top-Jobs streitig machen.
Es geht hier ja nicht um das normale kollegiale Benehmen im Berufsalltag, sondern um Kräfte, die entfesselt werden, wenn es um Karrieresprünge geht.
Sie forderten von Frauen mehr Biss, um vorwärtszukommen ...
Ich komme gerade von einem Treffen mit den Direktorinnen eines grossen deutschen Geldinstituts, die sich härtere Bandagen zulegen wollen, um nun auch in der Vorstandsetage Einzug zu halten. Die wurde bisher nur mit Männern besetzt, die ihre Privilegien nicht kampflos aufgeben wollen.
Es gilt: Je höher Frauen aufsteigen möchten, desto wichtiger ist es für sie, die Spielregeln unter Alpha-Tieren zu durchschauen. Nicht, um sie zu kopieren, sondern um nicht darauf hereinzufallen.
2004 sagten Sie gegenüber HR Today, Frauen sollten Strategien anwenden wie jemanden gezielt auszubremsen, jemanden auflaufen zu lassen, wegzuloben oder in Vorgesprächen Mehrheiten zu finden. Halten Sie diese Kampfmassnahmen immer noch für angemessen?
Diese Kaderfrauen kommen mit 95 Prozent aller Mitbewerber fabelhaft und in fairem Dialog zurecht. Dann bleiben die fünf Prozent männlicher Giftspritzen, die sich alle Mühe geben, die Reputation und die Karriere-Optionen dieser Frauen zu zerstören.
Sich in diesen seltenen Situationen behaupten zu können, entscheidet über Karrieren. Wie Frauen sich in solchen Situationen behaupten können, lernen Sie in meinen Seminaren. Glauben Sie mir: Solche Massnahmen treffen nicht die Falschen.
Serie: 20 Jahre HR Today
HR Today wird 20 Jahre alt. Am 5. Juni 2018 feiern wir unser Jubiläum. Bis dahin blicken wir jede zweite Woche zurück auf den HR-Diskurs der vergangenen 20 Jahre. Dafür haben wir im Archiv gekramt, alte Artikel ausgegraben und uns auf die Suche gemacht nach den damaligen Protagonistinnen und Protagonisten sowie ehemaligen Chefredaktorinnen, um mit ihnen über die Entwicklungen im HR zu sprechen. Zur Übersicht
Eine Frage des fehlenden Bisses, dass so wenig Frauen in Führungsetagen anzutreffen sind?
Frauen haben Biss, fachliche Qualtät und Führungskompetenz. Was ihnen manchmal fehlt, ist das statushohe Netzwerk, in dem sich Frauen gegenseitig fördern. Männliche Kader legen sich ohne Probleme mit weiblichen Führungskräften an. Wenn sie aber mit einem Netzwerk - also vielen starken Frauen gleichzeitig konfrontiert sind, verzichten sie auf Machtspiele, weil sie gegen das Netzwerk nicht ankommen oder sich dabei zu viele blaue Flecken holen.
Sind Frauen, die es geschafft haben, bissiger geworden?
Nein. Die wissen zwar, wie «bissig sein» geht, sie mögen dies aber nicht. Das ist auch nicht nötig, denn als Chefinnen verändern sie die Spielregeln. Sie signalisieren ihren männlichen Mitarbeitern, dass diese ihren Status verlieren, wenn sie Ellbogen-Karrieristen mimen. Wer ihnen gegenüber nicht loyal und hinter ihrem Rücken agiert, droht dasselbe. Wer fleissig, kollegial und fair ist, wird gefördert. Männer verstehen derart klare Ansagen und richten sich nach den Vorgaben ihrer neuen Chefin. Weibliche Kaderkräfte fordern das selbstbewusst ein, weil sie die Definitionsgewalt haben.
Es wächst eine neue Generation heran, die vermehrt auf Kooperation pocht. Brauchts diese Bissigkeit bald nicht mehr?
Diese Generation ist wunderbar und wird im mittleren Management in den berühmten Sandwich-Positionen vielleicht ihren Weg machen. Nach ganz oben werden sie damit aber kaum kommen. Da wird mehr verlangt. Mit einer Ausnahme: Sie sind sie Firmen-Eigentümer und können sich verhalten, wie sie wollen.
Zur Person
Prof. Dr. Jens Weidner lehrt Kriminologie und Sozialisationstheorie an der Fakultät für Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Er arbeitete mit Gangschlägern in Philadelphia und behandelte zehn Jahre lang Kriminelle für die deutsche Justiz. Er entwickelte das Anti-Aggressivitäts-Training für Gewalttäter mit dem heute über 2000 Aggressive in vier Ländern behandelt werden und ist Miteigentümer des Deutschen Instituts für Konfrontative Pädagogik.
Gleichzeitig untersucht er seit zwei Jahrzehnten Machtspiele im Business und lehrte darüber am Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut für Wirtschaft und Gesellschaft. Heute doziert er für das London Speaker Bureau und arbeitet als Management-Trainer am Schranner Negotiation Institute in Zürich. Sein Spezialgebiet: die Förderung der Durchsetzungsstärke und positiven Aggression bei Führungskräften.