ICT-Berufe haben ein Image-Problem
Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) besteht bekanntlich akuter Fachkräftemangel. Gleichzeitig ist der Frauenanteil in dieser Branche auffallend tief. Basierend auf einem zweijährigen Forschungsprojekt formulieren die Autorinnen nun fünf Handlungsempfehlungen.
«Erfolg vorprogrammiert»: ICT-Image-Kampagne der Stadt Zürich. (Bild: zVg)
Die mässige Attraktivität von ICT-Berufen liegt unter anderem daran, dass das Image der Branche für viele junge Frauen wenig attraktiv ist oder sie sich eine Ausbildung nicht zutrauen. Das Projekt «Attraktivität von ICT-Berufen für Frauen und Männer» ging deshalb der Frage nach, welche Vorstellungen über die ICT bestehen, warum diese für Frauen – aber auch für viele Männer – nicht interessant sind und wie das Image der ICT verändert werden müsste, damit es attraktiver wird.
Im HR-Management war Branding bisher nur im Rahmen des Employer Brandings bekannt, bei dem es darum geht, dass sich Organisationen im Rahmen des so genannten «War for Talent» um die knappen Arbeitskräfte bemühen. In der ICT ist aus diesem Fachkräftemangel nun ein «Rush for Talent» geworden.
Damit müssen die Überlegungen auf die Attraktivität der ganzen Branche gerichtet werden und bereits sehr früh starten, damit sich die im Rahmen des digitalen Wandels am Markt benötigten Talente überhaupt für eine Ausbildung – also eine Lehre und/oder ein Studium – interessieren.
Technik prägt das Image
In der Alltagsvorstellung dominiert ein Image der ICT-Berufe, in dem Technik und Programmieren das Bild der Profession prägen. Die Berufe der ICT sind allerdings in einem starken Wandel begriffen. Interviews mit Expertinnen und Experten zeigten auf, dass die Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Teamarbeit immer wichtiger werden.
Aufgrund der Verbreiterung der Anwendungsgebiete entwickeln sich die Berufe weg vom reinen Programmieren hin zu einem facettenreichen Arbeitsinhalt. Diese zusätzlichen Kompetenzen werden heute schon ausgebildet, allerdings stehen sie in den Beschreibungen und Bildern sowie auch im Selbstverständnis der Ausbildungen selbst eher im Hintergrund. Vielmehr wird das bisherige techniklastige Image in den Vordergrund gestellt. Dadurch erhält die ICT zwar ein hohes Prestige, ist aber für diejenigen, die sich bisher wenig für ICT-Berufe interessiert haben, nicht besonders attraktiv.
Dieser eher ausschliessende Effekt verstärkt sich, wenn die Fähigkeiten und das Interesse für diese ICT-Berufe als gegeben kultiviert werden. In dieser Kombination wird leicht das stereotype Bild des Nerds erzeugt, das für viele Jugendliche nicht attraktiv ist. Wenn das Ziel darin besteht, die Zugänglichkeit zu erhöhen, dann sollten die Inhalte des Studiums und der Ausbildungen, wie zum Beispiel das Programmieren, als lernbar und Interessen als entwicklungsfähig positioniert werden.
ICT-Profession braucht eine neue Identität
Mit den Studiengängen der Wirtschaftsinformatik an der FHNW wurde ein neues Branding der Studiengänge erarbeitet. Im Rahmen dieses Prozesses zeigte sich klar, dass es – wenn es wirklich um eine Entwicklung der tief verankerten Identität eines Ausbildungs- oder Studiengangs geht – nicht ausreicht, einfach nur eine neue Broschüre zu schreiben.
Vielmehr müssen auf Basis der Ergebnisse einer grundlegenden Analyse die bisherigen Identitäten diskutiert und damit einem neuen Verständnis zugänglich gemacht werden. Die relevanten Value Propositions müssen klar herausgearbeitet werden. Auf Basis der Rebranding-Prozesse und der Analyse können die folgenden Empfehlungen* für die Darstellung und die Überarbeitung der Identität der ICT-Profession gegeben werden.
1. Zielgruppengerechte Kommunikation gewährleisten!
Dies geschieht insbesondere durch die Vermeidung von ICT-spezifischen Fachbegriffen in Broschüren und Webseiten, die über die jeweiligen Ausbildungen und Studiengänge informieren. Ausserdem ist es zentral, dass statt abstrakter Sprache konkrete Beispiele verwendet werden. Nur so können sich Interessierte, die sich noch nicht vertieft mit dem Beruf auseinandergesetzt haben, etwas darunter vorstellen.
Gerade für Jugendliche ist es besonders wichtig, dass positive Emotionen in die Beschreibung integriert werden. Sie wollen sehen, dass ihnen solche eine Ausbildung Spass machen kann. Diese Ebene ist von besonderer Wichtigkeit, weil so das Interesse an den Ausbildungen auch bei denjenigen geweckt werden kann, die sich nicht schon immer dafür interessiert haben.
Im Bildmaterial sollte vermieden werden, zu viele Personen vor Bildschirmen zu zeigen, weil sonst das Stereotyp, wonach man in ICT-Berufen nur allein vor dem Computer sitzt, weiter verstärkt wird. Stattdessen sollte vermehrt darauf geachtet werden, Menschen in Interaktionssituationen zu zeigen, wie es der heutigen Berufsrealität der ICT entspricht.
2. Kompetenz- und Tätigkeitsfelder ausgeglichen darstellen!
In den heutigen und zukünftigen Berufen der ICT geht es nicht mehr ausschliesslich darum, zu programmieren oder PCs auseinanderzunehmen – viele Laien glauben das aber weiterhin. Wenn sich also auch diejenigen für ICT-Ausbildungen interessieren sollen, die ein breiteres Interessensspektrum haben, dann müssen die verschiedenen Kompetenz- und Tätigkeitsfelder auch in der Beschreibung ausgewogen gewichtet werden. Dafür sollten die relevanten sozialen und kommunikativen Kompetenzen definiert und auch als herausfordernd beschrieben werden. Entsprechend ist es zielführend, die interaktiven Arbeitssituationen offensiv darzustellen, damit das Bild des allein vor dem Bildschirm sitzenden Nerds aktiv zerstört wird.
3. Technik als lernbar und zielgerichtet positionieren!
Selbstverständlich sind auch weiterhin technische Kompetenzen und Tätigkeiten wichtig für ICT-Berufe. Allerdings dürfen diese, damit auch bisher wenig affine Zielgruppen sich dafür interessieren, nicht als Selbstzweck dargestellt werden. Der Nutzen, den die Technik im jeweiligen Kontext entfalten wird, muss klar beschrieben werden. Heutzutage ist die Technik in praktisch allen Gebieten ein unverzichtbares Kernelement, um die Herausforderungen von Unternehmen und Gesellschaft zu bewältigen – etwa in der Medizin oder im Umweltschutz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Mit digitaler Technik wird die Zukunft der Menschen gestaltet. Dies sollte auch in den jeweiligen Beschreibungen der Ausbildungen und Studiengänge in den Vordergrund treten. Gleichzeitig lohnt es sich, aufzuzeigen, dass die notwendigen Fähigkeiten im Laufe des Studiums und der Ausbildung erworben werden können: Sie müssen unbedingt als lernbar positioniert werden. Interessierte sollten aufgrund der Beschreibungen ermutigt werden, dass sie das Studium und die Ausbildung mit dem dafür notwendigen Engagement bewältigen können.
4. Die berufliche Zukunft konkret beschreiben!
ICT-Berufe sind Berufe, die im Rahmen der Digitalisierung die Zukunft der Gesellschaft mitgestalten. Zudem sind es Berufe, deren Zukunftsaussichten auf dem Arbeitsmarkt (basierend auf einer fundierten Ausbildung und bei konstanter Weiterbildung) hoch bleiben werden. Auf diese Zukunftsfähigkeit sollte in den Beschreibungen der Berufe und der Profession geachtet werden.
5. Das männlich geprägte Image durch integratives Rebranding auflösen!
Insgesamt gilt es also, für eine Erhöhung der Attraktivität von ICT-Berufen bei Frauen und Männern nicht nur darauf zu achten, dass eine geschlechtergerechte Sprache verwendet wird und auf Bildern auch Frauen gezeigt werden. Vielmehr geht es auch darum, das männlich geprägte Image der Profession durch verschiedene Ansätze aufzulösen. Unser Projekt konnte aufzeigen, dass diese Prägung durch vielfältige Verknüpfungen gesellschaftlich und kulturell verankerter Verständnisse geschieht. Somit geht es nicht darum, dem Beruf ein weibliches Image zu verpassen, sondern das implizit männlich geprägte Image auch für Frauen und andere, die sich bisher nicht dafür interessiert haben, zugänglich zu machen. Dafür braucht es allerdings statt einzelner Massnahmen einen integrativen Zugang. Namentlich Ausbildungen und Studiengänge, die sich nachhaltig verändern wollen, müssen sich auf eine grundlegende Reflexion ihres Images einlassen.
Künftige Herausforderungen
Gerade die aktuelle Berichterstattung zur herrschenden Kultur in der ICT-Branche – etwa die negativen sexistischen Machenschaften bei Uber oder Google – zeigt, dass sich die Fachkultur in der ICT ändern muss, wenn man für diese Berufe eine breitere Zielgruppe ansprechen will. Um eine Frühfluktuation von Frauen und so genannten «Untypischen» auch mittel- und langfristig zu verhindern, lohnt es sich zu überlegen, wie diese auch in den Organisationen gehalten werden können. Aktuell ist an der FHNW eine neue Studie in Vorbereitung, die sich mit Retention und damit auch mit den Fachkulturen im ICT-Bereich beschäftigt. Denn wenn die Digitalisierung eine solch grosse Veränderung bedeutet, dann müssen auch die HR-Fachpersonen diese auf Arbeitnehmendenseite aktiv mitgestalten und integrative Konzepte aktiv vorantreiben.
Attraktivität von ICT-Berufen
Das Projekt «Attraktivität von ICT-Berufen» ging der Frage nach, wie das Image der Berufe so gestaltet werden kann, dass es auch für diejenigen Frauen und Männer attraktiv wird, die sich bisher nicht für Technik interessiert haben. Die Umsetzung der Erkenntnisse – etwa die ausgewogene Darstellung relevanter Kompetenzen – ist besonders bei der Gestaltung von Inseraten für Lehrberufe wichtig. Das Projekt wurde zwischen August 2015 und März 2017 am Institut für Personalmanagement und Organisation der FHNW unter der Leitung von Dörte Resch durchgeführt.
Zum Download des vollständigen Syntheseberichts und einer Checkliste für Organisationen