Unternehmenskultur

«Lasst uns shoppen gehen» – Unternehmenskultur einkaufen?

Vieles ist käuflich rund um die Unternehmenskultur: Kompetenz, Methode, Erfahrung und Konzept. Damit sich eine Kultur etabliert, braucht es aber Zeit, Überzeugung, Durchhaltevermögen und Ehrlichkeit. Und das muss von innen kommen.

Sie befinden sich gerade in einem Foto-Fachgeschäft und interessieren sich für eine Kamera. Der Verkäufer zeigt Ihnen die verschiedenen Modelle und informiert Sie über deren Vor- und Nachteile. Er hört während des Gesprächs aufmerksam zu und kann deshalb ihre Bedürfnisse erkennen und darauf eingehen. Sie finden die perfekte Kamera. Der Verkäufer zeigt Ihnen vor Bezahlung kostenlos die Funktionen der Kamera, instruiert Sie und gibt Ihnen Tipps mit auf den Weg.

Eine Woche später erscheinen Sie wieder im Fotofachgeschäft und wollen Ihr Geld zurück. «Was stimmt nicht mit der Kamera?», will der Verkäufer wissen. Worauf Sie antworten, dass die Bilder nicht schön sind und Sie deshalb mit der Kamera unzufrieden sind.

Aus Sicht des Verkäufers ist schnell klar, dass das Problem nicht die Kamera, sondern das Motiv oder der Fotograf ist. Sie sind mit Ihren eigenen Resultaten unzufrieden. Der Einkauf einer Kamera macht noch lange keinen Starfotografen.

Viele Unternehmer benehmen sich beim Thema Unternehmenskultur wie der geschilderte Konsument: Ich kaufe mir eine Unternehmenskulturanalyse ein und erwarte für diese Investition ein entsprechendes Resultat. Also gute Ergebnisse, die bestätigen, dass wir alles im Griff haben. Einen Berater, der uns dafür lobt und lediglich in einem Punkt, etwa dem der Agilität, mehr verlangt. Aber selbst in diesem Punkt versichert er bestätigend: Bei fast allen Unternehmen ist die Agilität noch nicht auf dem erforderlichen Niveau.

Für schöne Bilder musste bisher noch eigener Aufwand, z.B. bezüglich des Weichzeichnens, betrieben werden. Moderne Kameras bieten bereits von sich aus Vorschläge für alternative Bilder an, sollte das Original nicht zusagen. Das ist viel einfacher und schneller, als schöne Bilder aus der Realität mit einer klassischen Kamera zu erzeugen.

Bilder ohne Retusche erfordern eine vorangegangene eigene Entwicklung, Talent, Übung, Geduld, Passion und die Akzeptanz der Tatsache, dass auch ein Starfotograf mehrere Anläufe braucht, bis er tatsächlich das einzigartige Bild hat, welches die bestehende Qualität zeigt, die es nun umfassend und im Weiteren herauszuarbeiten gilt.

Auch Unternehmenskultur muss sich mit den Menschen der Unternehmung entwickeln und die Menschen in der Unternehmung entwickeln sich mit der Unternehmenskultur. Die Top-Führungskräfte sind dabei besonders prägend für die Unternehmenskultur.

Kultur ist nicht käuflich

Gute Resultate sind das Ergebnis von innerer Einstellung, eigener Leistung und aufrichtigem Verhalten. Die Annahme, dass wir unsere gewünschte Unternehmenskultur einfach einkaufen können, ist ein Trugschluss.

Unsere Einstellungen basieren auf unserem Menschenbild, auf Annahmen und Erwartungen, Erfahrungen, Glaubenssätzen und Gewohnheiten. Unser Verhalten spiegelt die Einstellung wider und wird durch die Qualität von Wahrnehmung, Selbstreflexion sowie Lern- und Entwicklungsbereitschaft geformt.

Geschönte Analyseergebnisse

Wohl lassen sich Unternehmenskulturanalysen so erstellen, dass sie das Bild liefern, das der Auftraggeber gerne hätte. Es ist einfach, Berichte so auszurichten, dass sie dem Käufer gefallen und ihn in einer vermeintlichen Sicherheit wägen.

Der im Beispiel erwähnte kleine Mangel im Hinblick auf Agilität ist dabei unschädlich: Er ist ja schliesslich kein Makel der Führung, denn alle Unternehmen sind ähnlich betroffen. Eine solche Bestätigung der Erwartungen sichert Folgeaufträge. Fraglich ist der tatsächliche Nutzen, denn der Kunde wird in seinem herkömmlichen Handeln zu weiten Teilen bestärkt.

Der Einkauf der passenden Ergebnisse verhindert, dass Verantwortung für Entwicklungen aus der Vergangenheit übernommen werden muss und eine Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet. Legitimiert wird Veränderung in einem anzustrebenden, anscheinend völlig neuartigen Punkt und sein Einüben an den Berater delegiert. Insgesamt wird so oft kaum Zeit, Raum und Energie im Unternehmen aufgebracht. Es muss schnell gehen. Eben: Kamera kaufen und gleich schöne Bilder schiessen.

Ohne Enttäuschungen geht es nicht

Wer ein reales Abbild der bestehenden Unternehmenskultur will und wirklich verändern und gestalten möchte, benötigt eine aufrichtige Einschätzung. Es braucht ein hohes Durchhaltevermögen und wird nicht ohne einzelne Enttäuschungen von statten gehen. Unternehmer tun deshalb gut daran, Entwicklungsprozesse dann einzuleiten, wenn sie wirklich davon überzeugt sind.

Entwicklungsprozesse einleiten

Folgende Punkte sind dazu erforderlich:

1. Zeit, Raum und Durchhaltevermögen für den Entwicklungsprozess aufbringen

Das heisst ... 

  • das gewünschte und in der Organisation mögliche Resultat vor Augen zu haben.
  • die Bereitschaft und das Durchhaltevermögen aufzubringen, in kleinen Schritten die notwendigen Massnahmen und Veränderungen einzuleiten und umzusetzen.
  • sich täglich Zeit für Reflexion und Betrachtung des Vorhabens und Umsetzens zu nehmen, um die eigenen und unternehmerischen Schritte bewusst anzugehen.

2. Ehrliche Resonanz über Entwicklung einfordern und geben

Das heisst ...

  • einen Berater zu engagieren, der sich durch sein ehrliches Wort auszeichnet und weniger durch den Wunsch um Folgeaufträge.
  • dem Austausch mit Beratern zu nutzen, und ehrliche von Gefälligkeitsfeedbacks in der Belegschaft zu unterscheiden.
  • dem Austausch mit Mitarbeitenden und Kader hohe Priorität einzuräumen und konstruktives Feedback für den Prozessverlauf und die Prozessentwicklung einzuholen.

3. Einstellung und Verhalten reflektieren

Das heisst ...

  • mit ruhiger Hand zu führen und sich und den eigenen Führungsstil kritisch zu betrachten.
  • die eigene Einstellung kontinuierlich zu überprüfen und mit dem Verhalten und der Wahrnehmung der Menschen in der Unternehmung zu vergleichen.
  • sich Gewissensfragen zu stellen zu Verantwortung, Rolle, Kompetenz, Konfliktfähigkeit und Vertrauen.

4. Vertrauensvorschuss an Mitarbeitende leisten, gerade auch an kritische Geister und Querdenker

Das heisst ...

  • den Wunsch nach unmittelbarer Selbstbestätigung zu überwinden.
  • in Vertrauen zu investieren im Wissen, dass Unternehmenskultur aus der Summe aller beteiligten Beziehungen besteht.
  • den Kontrollwunsch im Zaum zu halten.

Kulturveränderung ist ein Marathon

Die Veränderung von Unternehmenskultur ist nicht nur Sprint, sondern vor allem Marathon. Schnelle Ergebnisse sind gut, um die Motivation für Veränderung aufrechtzuerhalten und Zeichen zu setzen.

Die tatsächliche Veränderung ist dennoch ein langwieriger und letztlich nie endender Prozess. Ein langer Atem zeichnet sich unter anderem durch folgende Führungstugenden und Glaubenssätze aus:

  • Wer ein Versprechen gibt, erzeugt Hoffnung.
  • Wer sich an ein Versprechen hält, überredet nicht, sondern überzeugt und schafft Vertrauen.
  • Wer Unternehmenskultur gestalten will, geht beharrlich und konsequent diesen Weg im Wissen darum, diesen zu verlassen ist genauso kulturprägend, wie ihn zu gehen.
  • Führung muss sich verbindlich, konsequent und fair im Umgang mit sich selbst und anderen zeigen.

Scheitern als Lernprozess

Ohne hinzufallen und immer wieder aufzustehen, lernt kein Kind das Laufen. Ohne 1000 Bilder gelingt dem Fotografen nicht dieses eine Bild, das einzigartig ist. Ohne Versuch und Fehler kann keine Kultur entstehen, welche das Lernen mit, in und an der Organisation anstrebt. Zwischenzeitliches Scheitern gilt es als Lernprozess anzuerkennen und nicht als Niederlage zu brandmarken. Es gilt, sich und anderen Fehler zuzugestehen, ohne direkt Sanktionen zu ergreifen.

Kompetenzen einkaufen

Der Unternehmer entscheidet, welche Unternehmenskultur er haben will. Er pflanzt den Samen der Pflanze, die zunehmend die gesamte Belegschaft giesst. Die Führung ist verantwortlich für Konsequenzen des eigenen Handelns und Unterlassens. Wenn Unternehmer nicht über Ihre Zukunft nachdenken, haben Sie keine.

Eingekauft werden können die Leistungen von Personen, die mit Kompetenz, Methode, Erfahrung und Konzept die Analyse und Gestaltung von Unternehmenskultur unterstützen. Den anspruchsvollen Entwicklungsweg können nur die Organisationsmitglieder mit einer Beziehung auf Augenhöhe, Kraft und Freude gestalten.

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Manuela Broz ist Gründerin von Human Ethik Label, welches Firmen auf dem Weg zu einer wertschätzenden Unternehmenskultur begleitet und auszeichnet. www.ethiklabel.com

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Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock ist Leiterin des Kompetenzbereichs Leadership und Personalmanagement an der FHS St. Gallen. Forschungsschwerpunkte sind u. a. Personal- und Karriereentwicklung sowie nachhaltiges Human Resources Management.

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Ulrike Gminder, Mitglied Prüfungskommission Human Ethik Label.

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