HR Today Nr. 7&8/2018: Porträt

Die Unermüdliche

Monika Bütikofer erlebt eine Berg- und Talfahrt, als sie die Belegschaft des Küchenbauers Bruno Piatti durch den Konkurs begleitet. Wie fühlt es sich an, als Letzte die Firma zu verlassen und das Licht zu löschen?

In den Räumlichkeiten des renommierten Küchenbauers Bruno Piatti spielen sich am 14. September 2017 in Dietlikon dramatische Szenen ab: Noch bevor die Mitarbeitenden vom Konkurs erfahren, stürmen Beamte das Geschäftsgebäude, berufen innert Minuten eine Kadersitzung ein und entmachten die Geschäftsführung mit der Aussage: «Hiermit erklären wir den Konkurs über die Bruno Piatti AG.»

Danach ist nichts mehr so, wie es war. Eine Stunde später sind alle Mitarbeitenden über den Vorfall informiert. Auch jene, die noch auf den Baustellen unterwegs sind, um das prall gefüllte Auftragsbuch des Küchenbauers abzuarbeiten. «Das war eine verrückte Situation», erinnert sich Monika Bütikofer, die ihre Stelle als HR-Leiterin wenige Monate zuvor angetreten hatte. «Es 
waren auch Lehrlinge bei der Versammlung. Es war ein Schock für sie, zu hören, dass ihr Arbeitgeber nicht mehr existiert und sie damit keine Lehrstelle mehr haben.»

Wut, Trauer, Enttäuschung

Kurz nach der Informationsveranstaltung müssen die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz verlassen. Arbeiten dürfen sie nicht mehr. Wer ein Geschäftsauto hat, muss dieses räumen und seine Autoschlüssel abgeben. Die geschäftlichen Mobiltelefone müssen deponiert werden. Beim Verlassen des Gebäudes kontrollieren die 
Konkursbeamten alle Mitarbeitenden. Danach wird das Gebäude versiegelt. Wut, Trauer und Enttäuschung ist den Gesichtern der Mitarbeitenden abzulesen, die nun in Trauben vor dem Gebäude stehen.

Emotionale Berg- und Talfahrt

Monika Bütikofers Emotionen gehen heute noch hoch, wenn sie sich daran zurück erinnert: «Ich habe immer geglaubt, dass das HR in einer solchen Situation noch gebraucht wird.» Weit gefehlt. «Mir wurde mitgeteilt, dass meine Tätigkeit ab morgen auch beendet sei.» Das habe sie richtig sauer gemacht. «Ich habe mich quergestellt und die Beamten darauf hingewiesen, dass die Mitarbeitenden Lohnabrechnungen, Zeugnisse und eine Arbeitgeberbescheinigung brauchen.» Das sei nicht ihre Sache, hätten die Beamten verlauten lassen. «Danach durfte ich den Mitarbeitenden Kündigungen ausstellen.» Allerdings nur im Namen des Konkursamts, und nicht auf Bruno-Piatti-Briefpapier.

Als sie die Forderungseingaben der Mitarbeitenden für ausstehende Löhne erfassen soll, wendet sich das Blatt, denn alleine kann Bütikofer dies für 200 Leute nicht bewältigen. Auch das Konkursamt sei mit 200 Einzelgesprächen überfordert gewesen. «Sie haben mich regelrecht bekniet, diese Arbeiten zu erledigen.»

Danach handelt sie aus, zeitgleich alle weiteren HR-Formalitäten für die Mitarbeitenden zu erledigen. 14 Tage arbeitet Bütikofer zusammen mit zwei HR-Kolleginnen in den ungeheizten Büroräumlichkeiten, bis die letzten Arbeiten abgeschlossen sind.

Konkurs trotz vollen Auftragsbüchern

War diese Entwicklung für die Firma absehbar? Im Sommer 2017 war die deutsche Muttergesellschaft Alno AG ins Trudeln geraten und hatte Nachlassstundung eingereicht. Dann folgte ein Küchenlieferstopp. «Wir konnten unsere Aufträge nicht mehr abschliessen und unsere Dienstleistungen nicht mehr in Rechnung 
stellen», sagt Monika Bütikofer. Und das trotz 
voller Auftragsbücher: «Wir standen vor einem Rekordjahr.»

Bei ihrem Stellenantritt im Juli 2017 ist 
Monika Bütikofer über diese Situation informiert. Dennoch sagt sie zu. «Mir war klar, dass es nicht einfach wird. Es hat mich gereizt, in eine so schwierige Situation hineinzugehen.» Schlaflose Nächte bereitet ihr das Ganze damals nicht. Dass eine Marke wie Bruno Piatti vom Markt verschwinden könne, habe sie nicht geglaubt. «Natürlich mussten wir Personal abbauen. Das hat mich schon belastet. Man funktioniert einfach in so herausfordernden Situationen.» Ein solches Risiko würde sie jederzeit wieder eingehen. «Einen Konkurs muss ich aber nicht mehr erleben.»

Allein für 400 Mitarbeitende

Herausfordernde und schwierige Situationen kennt Monika Bütikofer auch aus ihren vorhergehenden Tätigkeiten. 2007 richtet sie ihr Leben nach ihrer Scheidung neu aus. Sie gibt ihre Stelle als GL-Assistentin und Personalverantwortliche beim Winterthurer Stahlrohrhändler Kägi + Co AG auf, um Personalverantwortliche beim Oberflächentechnik-Unternehmen Galvaswiss zu werden.

Dort arbeitet sie in der Personalabteilung, bis zwei ihrer Mitarbeitenden «nullkommaplötzlich» ausfallen. «Eine hat gekündigt. Die andere wurde krank und kehrte nicht mehr zurück.» Fortan arbeitet Monika Bütikofer für drei. Sieben Tage in der Woche während zehn bis 14 Stunden pro Tag. Von der Lohnabrechnung über Bewerbungsgespräche bis hin zum Zeugnisausstellen erledigt sie für die 400 Mitarbeitenden alles in Personalunion.

Die temporäre Situation wächst sich zum Dauerzustand aus, der drei Jahre anhält. «Wir haben einfach keine passenden Mitarbeitenden gefunden», so Monika Bütikofer. Zwei Angestellte hätten das Unternehmen in der Probezeit wieder verlassen. «Ich wollte jemanden, der passt, denn der Kraftakt, den eine Einarbeitung erfordert, hätte mich über meine Grenzen hinaus gebracht.» Trotz ihrer hohen Arbeitsbelastung macht sie zeitgleich ein HR-Nachdiplomstudium beim SIB in Zürich. Dass sie dieses mit ihrer Arbeit unter einen Hut gekriegt hat, kann sie heute selbst kaum glauben: «Wenn man in einer herausfordernden Situation steckt und etwas erreichen will, ist vieles möglich. Es funktioniert immer irgendwie.» Diese Erkenntnis habe sie in ihrer Persönlichkeit gestärkt. Dennoch hinterlässt das gewaltige Arbeitspensum seine Spuren. «Ich war häufig gereizt und für mein Umfeld nicht mehr leicht zu ertragen.»

Sie vernachlässigt ihre Hobbys und reduziert ihre Vereinstätigkeit im Vorstand des kaufmännischen Verbands, des Vereins für Schweizer Sportpferde und des Schweizerischen Verbands für Pferdesport auf ein Minimum. Auch für ihr eigenes Pferd hat sie fast keine Zeit mehr. Den Schlusspunkt bei Galvaswiss setzt sie aber erst, als es zu Unstimmigkeiten im frisch aufgestellten HR-Team kommt und die erhoffte Rückendeckung ihrer Chefin ausbleibt: «Innerhalb der Firma gegeneinander zu kämpfen, statt miteinander zu arbeiten, wurde mir zu viel.» Monika Bütikofer wirft die Flinte ins Korn.

Wenn die Versuchung lockt

Es folgt der Wechsel zur ZZ Wancor als HR-Leiterin. Es sollte eine längere Station bleiben, doch es locken auch andere Angebote: «Kurz nachdem ich meine neue Stelle angetreten hatte, wurde ich vom Alterszentrum Schönbühl angefragt, ob ich dort die HR-Verantwortung und die Stellvertretung der Geschäftsleitung Finanzen und Administration übernehmen wolle.» Der Versuchung gibt Monika Bütikofer zunächst nicht nach, obwohl ihr die Leute vom Schönbühl ein Jahr lang «Avancen machen».

Irgendwann wird sie doch schwach. Sie folgt dem Ruf und wechselt zum Alterszentrum. Die schönen Worte erweisen sich als zunehmende Enttäuschung. Anstelle des HR wird ihr die Leitung des Qualitätsmanagements übertragen. Ein erneuter Richtungswechsel ist knapp ein Jahr später angesagt – zum Küchenbauunternehmen Bruno Piatti AG.

Die Rückkehr zur ZZ Wancor ergibt sich beinahe zufällig, als Monika Bütikofer ihrem ehemaligen Chef «per Äxgüsi» nach dem Konkurs ihres Arbeitgebers mitteilt, dass sie wieder zu haben sei. Es folgen Gespräche mit der Geschäftsleitung und ihrem ehemaligen Chef, um die Dinge zu klären. «Ich musste mir klar werden, ob ich tatsächlich zurückkehren will», sagt Monika Bütikofer. Ihre Entscheidung hat sie bisher nicht bereut. «Der Kreis hat sich für mich geschlossen. Es fühlt sich für mich an, als sei ich länger in den Ferien gewesen und soeben an meinen Arbeitsplatz zurückgekommen.»

Zur Person

Monika Bütikofer (48) wächst zusammen mit einem 355 Tage älteren Bruder in Frauenfeld auf und besucht dort die Schule. Ihre Fähigkeit, Menschen zu führen und anzuleiten, entdeckt sie während ihrer KV-Lehrzeit, die sie bei der Helvetia Versicherung verbringt. Zum HR kommt sie 24-jährig bei der Publicitas, wo sie 1995 als GL-Assistentin und Personalverantwortliche angestellt wird. 2005 wechselt sie in derselben Funktion zum Winterthurer Stahlrohrhändler Kägi + Co AG, als sich bei Publicitas ein Chefwechsel abzeichnet und ihre Ehe kriselt. «Ich wollte mein Leben komplett verändern.» 2007 folgt ein weiterer Wechsel zum Industrie­unternehmen Galvaswiss,  bei dem sie die Stelle als Personalverantwortliche übernimmt und sich damit auf HR-Tätigkeiten konzentriert. Nach einem Personalausfall erledigt sie die Arbeit für drei Personen in Personalunion und absolviert gleichzeitig ein HR-Nachdiplomstudium an der SIB. Die mittlerweile 45-Jährige verlässt den Betrieb nach internen Unstimmigkeiten und wechselt in der Funktion als HR-Leiterin zum Bauzulieferanten ZZ Wancor. Es folgt ein Abstecher als Leiterin Qualitätsmanagement beim Alterszentrum Schönbühl, bevor sie HR-Leiterin beim Küchenbauunternehmen Bruno Piatti wird. Nach dessen Konkurs kehrt Bütikofer im März 2018 zur ZZ Wancor AG zurück.

ZZ Wancor

ZZ Wancor mit Sitz in Regensdorf ist ein Bauzulieferant und bietet Dach-, Wand- sowie Fassaden- und Dämmungslösungen an. Das Unternehmen gehört zur österreichischen Wienerberger Gruppe, dem Weltmarktführer für Backsteine, Sichtsteine, Dachziegel und Keramikrohre. Der Konzern ist weltweit an 204 Produktionsstandorten in 30 Ländern vertreten, davon drei in der Schweiz mit rund 170 Mitarbeitenden in den Werken, im Verkauf und in der Verwaltung.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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