Xavier Camby: «Drei bis vier Farben oder fünf bis acht Adjektive sollen zur Beurteilung eines Menschen ausreichen, gerade so, als ob man die Qualität einer Kartoffel bestimmen würde.»
Als ich Headhunter und Führungskraft war, habe ich die Unsinnigkeit sogenannter Persönlichkeitstests erkannt, welche häufig als ‹psychometrische Tests› bezeichnet werden, um ihnen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Nach den Sternen und den Sternzeichen, dem Handlesen und der Gestaltpsychologie, der Numerologie, Graphologie und Radiästhesie hat der moderne Rationalismus den Persönlichkeitstest als neue allwissende und prophetische Kristallkugel entwickelt.
So soll es über 40 000 dieser unsäglichen Tests geben, welche beanspruchen, die intimsten Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen, eines Bewerbers oder Mitarbeiters fehlerfrei erfassen zu können! Sehr empirisch, nur durch manchmal relevante, häufig aber zufällige Beobachtungen oder Extrapolationen legitimiert, sollen diese Tests das gesamte menschliche Verhalten erfassen, um es vorhersagbar zu machen.
Dazu wird es auf wenige stark vereinfachte Archetypen reduziert: Drei bis vier Farben oder fünf bis acht Adjektive sollen zur Beurteilung eines Menschen ausreichen, gerade so, als ob man die Qualität einer Kartoffel bestimmen würde. Das erste Problem dieser Persönlichkeitstests besteht in ihrer extremen Vereinfachung. Das wundervolle menschliche Mysterium auf mehr als enge Kategorien herunterbrechen zu wollen, ist ebenso sinnlos wie steril. Dies ist sogar gefährlich, da es das freie Denken, subtile Wahrnehmungen und die Erfassung einer komplexen Realität ausser Acht lässt.
Ich kenne Führungskräfte, die so sehr an diese Tests glauben, dass sie auf der Grundlage von Farben sowohl oberflächliche als auch lächerlich engstirnige Beurteilungen treffen, statt ihre Intelligenz einzusetzen.
Aber der zweite Vorwurf betrifft das eigentliche Übel. Viele dieser Tests werden in der Theorie dafür eingesetzt, um eine «richtige Entscheidung» zu treffen. In der Praxis sollen dadurch Fehlentscheidungen vermieden werden. Persönlichkeitstests, welche Menschen so stark vereinfacht darstellen, dass dies an eine Lüge grenzt, bedienen diese Illusion: Schon manche Führungskräfte haben mich kontaktiert und sich über einen Mitarbeiter beschwert: «Ich verstehe gar nicht, warum...sein graphologisches Resultat war doch hervorragend!» Anstatt den echten Menschen zu beurteilen, haben sie sich auf einen Test verlassen.
Allzu häufig sind Persönlichkeitstests bei der Rekrutierung oder Evaluierung von Personal eine Pflicht, statt ein Angebot. Viele Getestete erleben einen solchen Test als beängstigenden Eingriff. Umso mehr, da die Testenden anschliessend vergessen, den Getesteten ein adäquates Feedback zu geben. Dieser Zwangseingriff beschädigt deren Vertrauen.