HR Today Nr. 10/2018: Debatte

Wie verlässlich sind Persönlichkeitstests?

Es gibt Tausende von Persönlichkeitstests, die von HR-Managern zur Personalrekrutierung oder Kaderentwicklung eingesetzt werden. Ihre Aussagekraft ist jedoch umstritten.

Daniel Held: «Persönlichkeitsfragebogen hängen 
eng mit der Qualität der Tools und der 
Kompetenz des Auswertenden 
zusammen.»

Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich mit zunehmend komplexeren Themen in der Talententwicklung, dem Leadership Development, der Strategieentwicklung sowie organisatorischen Umstrukturierungen. Seit mehreren Jahren mache ich jedoch fast nichts mehr, ohne dass ich nicht zuvor mit allen betroffenen Führungspersonen und Kaderleuten einen Persönlichkeitsfragebogen ausgewertet habe.

Weshalb? Weil Akteure wie Führungskräfte und Berater damit die Möglichkeit haben, Veränderungen mit grösstmöglichen Erfolgschancen zu besprechen, indem die individuellen Talente jedes Einzelnen wertgeschätzt und unnötige Risiken vermieden werden. Ausserdem können so verschiedene Wahrnehmungen abgeglichen werden und es kann festgestellt werden, was in der Organisation erreichbar ist und was nicht. Zudem können Kaderleute befähigt werden, Umstrukturierungen selbst angehen zu können.

Diese Begeisterung hege ich natürlich nicht für Tools, die in einem komplexen Umfeld nicht erfolgreich eingesetzt werden können. Ich spreche übrigens von Tools oder Persönlichkeitsfragebogen und nicht von Persönlichkeitstests, denn die Persönlichkeit lässt sich nicht testen – da man nicht per se wissen kann, was gut oder schlecht ist.

Um zu erkennen, ob ein Tool geeignet ist, sollte man folgende Aspekte prüfen: die wissenschaftliche Genauigkeit bei seiner Entwicklung und Aktualisierung, seine Fähigkeit, unterschiedliche kulturelle Eckwerte zu berücksichtigen, seine Relevanz , seine Zuverlässigkeit, seine Validität  und sein Beitrag zu einem echten Dialog. Diese Fragen sollten Sie auch den Fragebogenentwicklern stellen.

Sie werden überrascht sein, wie viele Tools dabei durchs Raster fallen. Die Qualität des Persönlichkeitsfragebogens ist eine Sache. Die Kompetenzen und die Ausbildung der Auswertenden darf man dabei aber auch nicht vergessen. Die Auswertung eines Persönlichkeitsprofils ist alles andere als eine triviale Aufgabe.

Dazu muss man die Resultate sowie die Indikatoren im jeweiligen Kontext analysieren  und das Tool verwenden, um Talente, mögliche Fehler, Risikobereiche, aber auch Verhaltensschemata einer Person aufzudecken. Anschliessend müssen mit dem Bewerber geeignete Schlussfolgerungen gezogen werden. Möglicherweise entsteht durch die Akzeptanz der Resultate ein Barnum-Effekt – die Neigung, alle Resultate als auf sich zutreffend anzusehen, obwohl diese nicht zutreffen. Die Aussagekraft von Persönlichkeitsfragebogen hängt daher eng mit der Qualität der Tools und der Kompetenz des Auswertenden zusammen.

Xavier Camby: «Drei bis vier Farben oder fünf bis acht Adjektive sollen zur Beurteilung eines Menschen ausreichen, gerade so, 
als ob man die Qualität einer Kartoffel 
bestimmen würde.»

Als ich Headhunter und Führungskraft war, habe ich die 
Unsinnigkeit sogenannter Persönlichkeitstests erkannt, 
welche häufig als ‹psychometrische Tests› bezeichnet werden, um ihnen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Nach den Sternen und den Sternzeichen, dem Handlesen und der Gestaltpsychologie, der Numerologie, Graphologie und 
Radiästhesie hat der moderne Rationalismus den Persönlichkeitstest als neue allwissende und prophetische Kristallkugel entwickelt.

So soll es über 40 000 dieser 
unsäglichen Tests geben, welche beanspruchen, die intimsten 
Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen, eines Bewerbers oder Mitarbeiters fehlerfrei erfassen zu können! Sehr empirisch, nur durch manchmal relevante, häufig aber zufällige Beobachtungen oder Extrapolationen legitimiert, sollen diese Tests das gesamte menschliche Verhalten erfassen, um es vorhersagbar zu machen.

Dazu wird es auf wenige stark vereinfachte Archetypen reduziert: Drei bis vier Farben oder fünf bis acht Adjektive sollen zur Beurteilung eines Menschen ausreichen, gerade so, als ob man die Qualität einer Kartoffel bestimmen würde. Das erste Problem dieser Persönlichkeitstests besteht in ihrer extremen Vereinfachung. Das wundervolle menschliche 
Mysterium auf mehr als enge Kategorien herunterbrechen zu wollen, ist ebenso sinnlos wie steril. Dies ist sogar gefährlich, da es das freie Denken, subtile Wahrnehmungen und die Erfassung einer komplexen Realität ausser Acht lässt.

Ich kenne Führungskräfte, die so sehr an diese Tests glauben, dass sie auf der Grundlage von Farben sowohl oberflächliche als auch lächerlich engstirnige Beurteilungen treffen, statt ihre Intelligenz einzusetzen.

Aber der zweite Vorwurf betrifft das eigentliche Übel. Viele dieser Tests werden in der Theorie  dafür eingesetzt, um eine «richtige Entscheidung» zu treffen. In der Praxis sollen dadurch Fehlentscheidungen vermieden werden. Persönlichkeitstests, welche Menschen so stark vereinfacht darstellen, dass dies an eine Lüge grenzt, bedienen diese Illusion: Schon manche Führungskräfte haben mich kontaktiert und sich über einen Mitarbeiter beschwert: «Ich verstehe gar nicht, warum...sein graphologisches Resultat war doch hervorragend!» Anstatt den echten Menschen zu beurteilen, haben sie sich auf einen Test verlassen.

Allzu häufig sind Persönlichkeitstests bei der Rekrutierung oder Evaluierung von Personal eine Pflicht, statt ein Angebot. Viele Getestete erleben einen solchen Test als beängstigenden Eingriff. Umso mehr, da die Testenden anschliessend vergessen, den Getesteten ein adäquates Feedback zu geben. Dieser Zwangseingriff beschädigt deren Vertrauen.

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Daniel Held ist 
Gründer und CEO von PI Management, Empowering for Change. 
Als Experte für Leadership Evaluation und Leadership Development ist er für sein Fachwissen im Bereich Persönlichkeitsfragebogen bekannt.

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Xavier Camby ist der Gründer von Essentiel Management Conseil. Er tritt für ein neues HR- und Performance-Management ein, das durch einen sicheren Managementstil gekennzeichnet ist.

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