Leadership

Wir brauchen einen Hofnarren

Markus Marthaler würde jedem Vorgesetzten einen Hofnarren an die Seite stellen. Nein, keinen Berater. Einen Hofnarren.

Wunderbar funkelt der Thron des Königs. Der Herrscher trägt würdig das Zepter der Macht. Dicht zu seiner Linken: der Schatzmeister. Der Adjutant weist die Kuriere zur Ordnung, die Fürsten lassen sich genüsslich an der reichen Tafel nieder. Die Ritter prahlen von ihren Taten. Einzig der Hofnarr zieht sich in seine Ecke zurück und lauscht, während der Koch die Speisen anpreist und die Hofdamen anweist, sich zu entfernen.

Die heutigen Chefetagen mögen nicht mehr ganz so prunkvoll eingerichtet sein – und doch zeugen auch sie noch immer von Einfluss und Macht. Auffallend ist weniger der Sessel als vielmehr die Uniform. Jeder will anders sein und doch ist man eins. Eleganter Anzug, schmucke Krawatte und eine auffallend teure Uhr.

Aus dem Schatzmeister ist der CFO geworden, aus dem Adjutanten der auf Perfektion bedachte Logistiker. Von den Kämpfern an der Front ist vielleicht noch das fürstliche Gehalt übriggeblieben. Der HR-Verantwortliche, dem das Wohl aller am Herzen liegt, hat sich über die Kunst des Kochens hinaus entwickelt – und wie damals geleitet er die Empfangsdame mit dem leeren Servicetablett aus den heiligen Hallen. Einzig die Ritter – die Marketingverantwortlichen – sind nicht müde geworden, die laufenden Aktionen anzupreisen.

Haben Sie das Fehlerhafte in den beiden bildlichen Darstellungen erkannt? In der zweiten Betrachtung fehlt sie, diese Figur, die ich so vielen Vorgesetzten wünschen und an ihre Seite stellen würde. Ein Hofnarr! Nein, keinen Berater. Einen Hofnarren. Das sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Gestalten. Während sich beim einen die Wahrheit als Märchen entpuppt, schöpft der andere aus der Märchenwelt das Wahre. Man irrt, wenn man den Hofnarren auf die Stufe des Laien – wörtlich Idioten – stellt. Intelligent, mit der Sicht fürs Ganze, steht er dem König zur Seite. Symbolisch verkörpert er den «blinden Fleck», jenen Aspekt des Königs, welcher dieser verdrängt und nicht wahrhaben will.

Ist das nicht gerade, was uns noch fehlt, um «Ganz» zu sein? Am Ende stünde ein weiser König, der in der Entwicklung mit seinem gesellschaftlichen Aufstieg Schritt gehalten hat. Ein Mensch, dem man vertrauen kann. Einer, der weniger redet und mehr tut. Weniger verspricht und mehr hält. So wie er es vom Hofnarren gelernt hat, erteilt er keine Ratschläge, verfängt sich in keine Vorurteile. Was ihn auszeichnet, ist das Fragen. Es ist jene Fähigkeit, die uns im Laufe der Zeit verlorengegangen ist, weil wir glauben, auf alles eine Antwort haben zu müssen. Gerade weil solche Stimmen bei vielen Managern heute lauter geworden sind, ist es ist es ruhiger geworden. Die Narrenkleider sind verschwunden und viele Clowns bevölkern die Flure.

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Markus Marthaler, ehemals HR Direktor- und Vicepresident, unterstützt aktuell im unternehmerischen als auch persönlichen Bereich VR / CEO's in kulturellen Entwicklungsprozessen. Als Notfallpsychologe leistet er Einsätze in verschiedenen Kriseninterventionsteams und begleitet zudem Projekte im Rahmen von Change Prozessen. Er ist Autor verschiedener Sachbücher und Inhaber der Firma Marthaler-Partner GmbH. Er bloggt für HR Today.

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