Neue Frauen braucht das Land: Weibliche Kader im Standby-Modus

Immer noch reicht eine Hand aus, um die Frauen auf der obersten Hierarchiestufe der Top-100-Firmen der Schweiz aufzuzählen. In Verbandsgremien sind Frauen häufiger anzutreffen. Eine angemessenere Frauenvertretung wäre möglich, da in vielen Branchen Frauen in den Startpflöcken stehen.

Bern (sda). Gerade mal vier Konzern-Chefinnen gibt es derzeit bei den 100 grössten Schweizer Firmen: Susanne Ruoff bei der Post, Jasmin Staiblin bei Alpiq, Susanne Thoma bei der BKW Energie und Philomena Colatrella bei der Krankenkasse CSS.

Aufbruchstimmung

In der Schweizer Wirtschaft wächst nach Ansicht des Topkadervermittlers Guido Schilling aber eine starke Generation an weiblichen Leadern heran. Sein Optimismus nährt sich daraus, dass von den Neuzugängen in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten 2016 gut ein Fünftel Frauen waren. Damit stieg der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der grössten Firmen in einem Jahr um 2 Prozentpunkte oder gleich stark wie in den gesamten zehn Jahren zuvor.

In der breiten Öffentlichkeit bekannt sind weibliche Talente allerdings kaum. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und aufgrund der helvetischen Zurückhaltung, Talente in den Vordergrund zu rücken, schrecken Verbände und Firmen oft davor zurück, konkrete Namen zu nennen.

Helvetische Bescheidenheit

In einer Umfrage der Nachrichtenagentur sda bei einem Dutzend Verbänden und ebenso vielen Grossunternehmen verzichteten die Migros, Swiss Life, Zurich und SIX ganz auf die Nennung von Namen aktiver und künftiger Kaderfrauen. "Nicht in der Öffentlichkeit über individuellen Einfluss und Karriereaussichten einzelner Mitarbeiterinnen spekulieren" wollen die Post, Novartis, Roche, Emmi, Adecco, Coop Schweiz und Swisscom.

Bereits bekannte erfolgreiche Frauen in den eigenen Reihen werden hingegen eher und zum Teil mit Stolz genannt. So verweist der Pharmakonzern Novartis auf eine "beträchtliche Zahl" weiblicher Führungskräfte in der zweithöchsten Führungsstufe direkt unter der Konzernleitung, etwa Monika Jänicke, die das Schweizer Pharmageschäft leitet, oder Sandoz-Chefin Rebecca Guntern Flückiger.

Für Frauenpower in der Konzernleitung des Basler Konkurrenten Roche sorgen Sophie Kornowski-Bonnet als Chefin von Roche Partnering und Personalchefin Cris Wilbur. Auch hier gibt es laut Konzernangaben zahlreiche Frauen in verantwortungsvollen und einflussreichen Positionen.

Einige Banken haben in den letzten Jahren das Führungspotenzial von Frauen entdeckt. Vor sieben Jahren wurde mit Marianne Wildi die erste weibliche CEO einer börsenkotierten Schweizer Bank, der Hypothekarbank Lenzburg, ernannt. Seit Juni ist Sandra Lienhart CEO der Bank Cler (ehemalige Bank Coop).

In der UBS-Geschäftsleitung sitzen Sabine Keller-Busse und Kathryn Shih. Keller-Busse ist COO und oberste Personalchefin der UBS und SIX-Verwaltungsrätin. Shih amtet als Präsidentin der Region Asien Pazifik.

Die nächsthöhere Hierarchiestufe erklommen haben ein Dutzend Frauen, etwa Christine Novakovic, Leiterin Corporate & Institutional Clients (CIC) und UBS Investment Bank Schweiz, oder Karin Oertli Küng, Leiterin Asset Management Schweiz und Region EMEA. Susanne Thellung ist als einzige Regionalleiterin der UBS für die Geschäftstätigkeit in der Zentralschweiz verantwortlich.

Erstaunlich wenig in der Öffentlichkeit präsent ist auch Anke Bridge, die den Bereich Digital Solutions & Delivery der Credit Suisse Schweiz leitet. Als Rising Stars der CS gelten auch Jin Yee Young, die den wichtigen Markt Singapur verantwortet, sowie Laura Barrowman, Chief Technology Officer.

Für Aufsehen sorgte im Juli der Wechsel der Chefin der schwedischen Grossbank SEB, Annika Falkengren, als Partnerin zur Genfer Privatbank Lombard Odier.

Erfolgreiche Unternehmerinnen

In der Konzernleitung der Post sitzen neben der Konzernchefin Susanne Ruoff Valérie Schelker als Personalchefin und Claudia Pletscher als Entwicklungschefin. 2016 hätten zehn Frauen im mittleren Kader gearbeitet, diese seien entweder schon einen Schritt weiter oder in einer guten Position, um Karriere zu machen, heisst es bei der Post.

Den Personalvermittler Adecco in der Schweiz führt Nicole Burth. Der Konzernleitung des Milchverarbeiters Emmi gehört Natalie Rüedi an. Auf Direktionsebene arbeiten bei Coop Schweiz derzeit vier Frauen.

Weniger Hemmungen einzelne Frauen hervorzustreichen, haben offensichtlich Verbände. Der Textilverband Schweiz verweist auf Caroline Forster, Co-Chefin der Forster-Rohner-Gruppe und PKZ-Chefin Manuela Beer. Newcomerinnen sind etwa die Gründerinnen des Zürcher Lingerie-Labels LYN Lingerie, Ramona Keller und Evelyn Bozzolini.

Selbst im Baugewerbe gibt es erfolgreiche Frauen. Daniela Spuhler-Hofmann, die Frau von Stadler-Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler, ist Verwaltungsratspräsidentin der Zürcher Baufirmen Esslinger und Barizzi. Seit Mitte 2016 ist Andrea Wucher Chefin der Berner Baufirma Weiss+Appetito.

In einer guten Startposition für eine erfolgreiche Karriere in der Baubranche sieht der Verband beispielsweise die Vizedirektorin des Walliser Baumeisterverbandes, Chiara Meichtry-Gonet.

Die einflussreichsten Frauen in der Branche sind laut dem Schweizer Brauerei-Verband neben den drei Frauen in der Feldschlösschen-Geschäftsleitung Gaby Gerber, Regina Wurz-Janssens und Silvia Keller, Claudia Graf, Geschäftsleiterin Sonnenbräu, und Anita Tremi, Geschäftsleiterin Brauerei Fischerstube.

Erfolgreiche Frauen gibt es auch bei den Mineralwasser- und Soft-Drinkherstellern, etwa die Managerinnen Claudia Bösch von Redbull-Schweiz, und Monika Christener, von Rivella. Bekannter ist die Chefin der Goba Mineralquelle und Manufaktur, Gabriela Manser.

Verbandsinterne Karrieren

Verbände scheinen Frauen durchaus gute interne Karrierechancen zu bieten. Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse liegen vier von fünf Geschäftsstellen sowie die gesamte operative Leitung in Frauenhand. Nur die Geschäftsstelle in Brüssel wird von einem Mann geleitet. Vorsitzende der Geschäftsleitung ist Monika Rühl.

Der Apothekerverband PharmaSuisse nennt als arrivierte Kaderfrau Martine Ruggli, Mitglied der strategischen Führung von PharmaSuisse, und Präsidentin der Eidg. Arzneimittelkommission. Als Newcomerinnen nach oben drängen in der Branche etwa Maria Hitziger, Gründerin ApoDoc, sowie Julie Schappler, Vizepräsidentin PharmaGenève.

Der Schweizerische Bauernverband (SBV) sieht Christine Bühler, SBV-Vizepräsidentin und Präsidentin des Schweiz. Bäuerinnen und Landfrauenverbandes, als einflussreichste Frau in der Landwirtschaft. Eva Reinhard ist stellvertretende Direktorin im Bundesamt für Landwirtschaft.

Seit einem halben Jahr ist Monique Bourquin Präsidentin des Schweizerische Markenartikelverband Promarca. Bourquin ist Emmi-Verwaltungsrätin und war bis 2016 bei Unilever tätig, wo sie vier Jahre das Schweizer Geschäft führte und zuletzt als Finanzchefin von Unilever in der DACH-Region amtete.

Präsidentin von Lignum Schweiz, dem Verband der Holzwirtschaft, ist SVP-Nationalrätin und Holzunternehmerin Sylvia Flückiger-Bäni.