Auf dem Prüfstand
Immer mehr Unternehmen und Mitarbeitende erachten den traditionellen jährlichen Performance-Management-Prozess nicht mehr als zeitgemäss. Die voranschreitende Digitalisierung und Globalisierung der Arbeitswelt erfordern verstärkt kurzfristiges und schnelles Feedback. Das Beratungsunternehmen Deloitte gewährt einen Einblick, wie sie mit einem neuen Ansatz die gesamte Organisation auf die Arbeitswelt der Zukunft vorbereitet.
Viele Firmen befinden sich noch immer mitten in der Abwicklung des jährlichen Performance-Management-Prozesses: Zu Beginn des Jahres erhalten die Mitarbeitenden Zielvorgaben, am Jahresende wird deren Erreichung in langen Abstimmungen unter den Führungskräften diskutiert und zu Ratings verdichtet, auf deren Basis dann Boni verteilt, Saläre angepasst und Beförderungen veranlasst werden. Viele Mitarbeitende können diese komplexen Vorgänge nicht immer vollständig nachvollziehen. Da wir bei Deloitte anspruchsvolle Kunden in oft kurzfristigen Projekten beraten, wissen wir, dass eine jährliche Beurteilung der Leistung zu wenig dynamisch und echte Objektivität nur sehr schwer zu erreichen ist. Zudem haben psychologische Studien gezeigt, dass Leistungsbeurteilungen oft mehr über den Beurteiler aussagen als über den Beurteilten (sogenannter «idiosyncratic rater effect»)*.
In virtuellen, agilen und wechselnd zusammengesetzten Teams, wie wir sie in der Arbeitswelt von morgen noch häufiger sehen werden, muss das Performance Management aber hoch flexibel sein, damit es auf rasche Veränderungen ausserhalb des starren Jahresrhythmus reagieren kann. Nur so kann die Leistung des Einzelnen oder der Organisation tatsächlich analysiert und verbessert werden. Viele Unternehmen haben die Herausforderung erkannt: 72 Prozent der Organisationen in der Schweiz (74 Prozent global) sind dabei oder planen gemäss der Deloitte Global Human Capital Trends Studie, ihren Performance-Management-Prozess anzupassen.
Warum der Aufwand?
Bei Deloitte haben wir uns vor einigen Jahren ebenfalls die Frage gestellt, ob unser Ansatz den vielen Anforderungen noch gerecht wird. Zudem verbrachten unsere Führungskräfte etwa zehn Stunden pro Mitarbeitendem und Jahr damit, Performance-Formulare auszufüllen, in Meetings zu sitzen und über Ratings abzustimmen. Unsere Studie zeigt auch auf, dass über 60 Prozent der Mitarbeitenden mit dem Ergebnis nicht glücklich sind und Feedback erst zu spät erhielten, um noch etwas bewirken zu können. Warum also der Aufwand? Wir entschieden, dass wir künftig besser einen Teil dieser Zeit investieren, um sich mit unseren Mitarbeitenden auszutauschen und nicht hinter geschlossenen Türen über deren Leistung zu urteilen.
Bereits 2013 starteten wir bei Deloitte auf globaler Ebene mit Pilotversuchen in verschiedenen Phasen, im Sommer 2015 führte Deloitte Schweiz neben Grossbritannien als einer der ersten ausserhalb der USA den neuen Performance-Management- und Entwicklungsansatz auch ein. Zentraler Aspekt dabei: Es wird Abstand von Ratings oder erzwungenen Rankings, verpflichtenden Zielvereinbarungen sowie starren jährlichen Mitarbeitergesprächen genommen. Stattdessen basiert unser Modell auf fünf einfachen Elementen:
- Check-ins: Regelmässige, zukunftsorientierte und mindestens alle zwei Wochen stattfindende Gespräche zwischen Mitarbeitenden und operativen Führungskräften (meist die jeweiligen Projektmanager, nicht direkte Vorgesetzte), um Ziele für die nächsten Wochen zu definieren, Prioritäten und persönliche Entwicklungsziele abzugleichen und unmittelbares Feedback auszutauschen.
- Performance Snapshots: Kurze, vertrauliche Beurteilung der Leistung der Mitarbeitenden durch die operativen Führungskräfte (zwei bis vier pro Quartal). Mithilfe von vier Fragen sammeln wir Datenpunkte zur Leistung der Mitarbeitenden in verschiedenen Projekten und Teams. Dabei entsteht eine grafische Darstellung, die uns als Basis für Entwicklungsgespräche und Beurteilung dient.
- Coaching: Jeder unserer Mitarbeitenden kann sich Unterstützung von einem internen Coach einholen, der vornehmlich in einem anderen Team arbeitet und höher in der Hierarchie steht. In mindestens vierteljährlichen Gesprächen zwischen Mitarbeitenden und ihren Coaches helfen sie dem Mitarbeitenden, persönliche Stärken zu erkennen und einzusetzen und das Feedback aus Check-ins und Talent Reviews umzusetzen.
- Talent Reviews: Hierbei handelt es sich um halbjährliche, zukunftsorientierte Gespräche der direkten Führungskräfte über eine ausgewählte Gruppe ihrer Mitarbeitenden (zum Beispiel eine Hierarchiestufe, Neueinsteiger oder Kandidaten für Beförderung). Dabei erhalten sie einen umfassenden Überblick zum Entwicklungsstand der gesamten Gruppe sowie einzelner Mitglieder und leiten entsprechende Massnahmen ab. Führungskräfte, Projektleiter und Coaches nehmen an diesen Talent Reviews teil, um gemeinsam über Stärken und Entwicklungspotenzial der Mitarbeitenden zu sprechen.
- Pulse Surveys: Diese umfassen zehn Fragen, welche die Teamleitenden an ihre Teams stellen können. Dadurch können sie sich einen Überblick über die aktuelle Stimmung verschaffen und auf Basis der konsolidierten Ergebnisse zusammen mit dem Team Massnahmen zur Verbesserung entwickeln. Die Organisationsstruktur spielt hier keine Rolle, Teamleitende können sich im Software-Tool ihre Teams selbst aufsetzen.
- Als wir angefangen haben, unseren neuen Ansatz in grösseren Gruppen einzuführen, gab es auf dem Markt keine etablierte HR-Software, die ein flexibleres Performance Management abbilden konnte. Daher verwenden wir ein durch Deloitte USA selbst entwickeltes System, das Performance Snapshots, Pulse Surveys und die Erinnerung an Check-ins unterstützt.
Widerstände und Herausforderungen
Mit unserem neuen Performance-Management-Ansatz wollen wir unsere Mitarbeitenden mit häufigen, stärkenbasierten Feedbacks und individuellem Coaching kontinuierlich weiterentwickeln. Die Umstellung war herausfordernd und der Veränderungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Die überwiegende Mehrheit unserer Führungskräfte hat erkannt, dass der alte Ansatz den Anforderungen unserer Unternehmensstrategie und der Arbeitswelt der Zukunft nicht mehr gerecht wird. Dies war ein wesentlicher Schritt im Rahmen des Change Managements.
Gleichzeitig erfordert es in unserem zahlen- und datengetriebenen Umfeld einen Lernprozess, von schriftlichen Bewertungen abzusehen und das persönliche Feedback-Gespräch ins Zentrum zu rücken. Oft spielt hierbei auch Unsicherheit eine Rolle. Aus diesem Grund investieren wir auf allen Ebenen in die Ausbildung unserer Mitarbeitenden, um ihre Feedback- und Coaching-Fähigkeiten auszubauen.
«Unser Ziel ist es, dass Feedback Teil unserer DNA wird. Feedback braucht nicht viel Zeit. Es kann auch in zwei Minuten gegeben werden», erklärt Martina Bender-Scheel, Director und Head of Talent Strategy and Culture bei Deloitte. «Gleichzeitig wissen wir, dass es mindestens genauso so wichtig ist, seine Stärken zu kennen, wie sich über Entwicklungsfelder bewusst zu sein. Feedback erfordert ein gewisses Mass an Vertrauen. Daran arbeiten wir als Organisation und in den Teams kontinuierlich – das geht nicht von heute auf morgen.»
Eine weitere Herausforderung stellte die Bonusverteilung dar. Da Ratings nicht mehr zum Zuge kommen, mussten wir einen neuen Weg finden, um am Ende des Jahres eine gerechte Entscheidung zu treffen. Der Bonustopf wird nun aufgeteilt und liegt in der direkten Verantwortung der Führungskräfte. So geben wir den Führungskräften mehr Spielraum, um innerhalb gewisser Bandbreiten den Betrag gerecht zu verteilen. Diese Umstellung führte zunächst zu grossen Unsicherheiten bei Führungskräften und Mitarbeitenden und beherrschte die Diskussion über die Einführung des neuen Performance-Management-Ansatzes.
Rückblickend würden wir das Thema Bonus und Vergütung viel deutlicher von den Kernideen des neuen Ansatzes, nämlich dem Talent Development, trennen und den Fokus auf kontinuierliches Feedback und Entwicklung legen.
Fazit
Mehr als eineinhalb Jahre nach der Einführung sind eindeutig positive Veränderungen spürbar. Die Qualität und die Quantität der Gespräche haben sich deutlich verbessert. Zudem wird die offene Feedbackkultur noch intensiver gelebt, was entscheidend ist für die fortwährende Weiterentwicklung unserer Mitarbeitenden: Leistung ist nicht mehr nur ein Thema fürs Jahresende. Aufgrund von kontinuierlichen Gesprächen und des Austausches innerhalb der Talent-Review-Gruppen können wir Fortschritte viel früher erkennen und weiterverfolgen.
Somit eröffnet das Performance Management eine völlig neue Perspektive: weg von einem administrativen Prozess hin zu einem stärkeren Fokus auf die Mitarbeitenden – dem eigentlichen Kern unseres Geschäfts. Denn sie sind es, die unsere Kunden bestmöglich bei ihren komplexen Herausforderungen beraten und sich dabei ständig weiterentwickeln müssen. Unser Fazit lautet: Der neue Ansatz ist noch lange nicht vollständig implementiert. Eine Erneuerung des Performance-Management-Ansatzes bedingt einen Kulturwandel auf allen Ebenen der Organisation. Für diese Veränderung braucht es Unterstützung von der obersten Führungsebene, sichtbare und positive Vorbilder sowie ein umfassendes Change Management. Nur dann kann ein neues Performance Management zu einer Triebkraft für individuelle Entwicklung und nachhaltigen Unternehmenserfolg werden.
Mit der Einführung des neuen Performance Managements und Entwicklungsprozesses ist Deloitte Schweiz auf dem besten Weg, die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten.
Quelle:
* u. a. Mount/Scullen/Goff (2000): Understanding the latent structure of job performance ratings, Journal of Applied Psychology).