Die Anpackende
Brigitte Lüthi durchläuft bei der Schweizerischen Post diverse HR-Stationen, bevor sie beim Kernkraftwerk Leibstadt in die Personalentwicklung einsteigt. 2008 wird sie HR-Leiterin der rasant wachsenden Rehaclinic-Gruppe, wo sie ihr HR-Team mit viel Elan von drei auf 16 Personen ausgebaut hat.
«Wir sind nicht mehr eine kleine, überschaubare Familie, die spontan gemeinsam etwas unternehmen kann»: Brigitte Lüthi, HR-Leiterin, Reha-Clinic-Gruppe. (Bild: HR Today)
«Das Gesicht unseres Chefarztes war ein Bild für die Götter, als er mich eines Morgens bei der Visite in einer unserer Kliniken im Pflegedienst-Tenue erblickte», erzählt Brigitte Lüthi, HR-Leiterin und Mitglied der Geschäftsleitung der RehaClinic-Gruppe schmunzelnd. Die 49-Jährige will selbst erleben, wie sich die Arbeitsrealität an der Front anfühlt. Auch, wie es ist, in der Pflege im Nachtdienst zu arbeiten. In der Nachtschicht sei es einfach anders. So machen die Patienten tagsüber in der Rehabilitationsklinik einen fitten Eindruck, laufen herum und gehen in die Therapie. «Nachts läuft nichts. Da sind die Patienten leidender.» Wer dies nur vom Hörensagen kenne, könne nicht mitreden.
Brigitte Lüthi packt in den Kliniken auch in der Küche oder an der Reception an und cremt bei einem Seitenwechsel als stellvertretende Pflegeassistentin auch mal einem Patienten den Rücken ein. Eine Tätigkeit, die ihr im Berufsalltag dann physisch doch zu nahegeht. «Im HR habe ich Menschen mit verschiedenen Persönlichkeiten um mich herum, aber mit mehr Distanz, als im direkten Patientenkontakt», differenziert Lüthi. «Ich kümmere mich gerne um Menschen, kann sie in allen Facetten sehen, ihr Potenzial erkennen und mit ihnen etwas erreichen. Allerdings möchte ich mich nicht unmittelbar pflegerisch betätigen.»
400 Neueintritte pro Jahr
Die Fähigkeit, in Menschen Potenziale und Talente zu erkennen und diese zu fördern, kann Brigitte Lüthi bei ihrem Stellenantritt bei der Rehaclinic-Gruppe im August 2008 schnell in die Tat umsetzen: Eine neunmonatige Sanierung der Klinik in Braunwald steht an und damit auch eine Verlagerung des Personals. «Wir mussten die Klinik schliessen und bis zur Wiedereröffnung für über 50 Mitarbeitende eine andere Tätigkeit finden.» Während die Angestellten aus dem medizinischen Bereich vorübergehend in der damals neu eröffneten Klinik im Kantonsspital Glarus unterkommen, findet sie für die in der Hotellerie und im technischen Dienst Beschäftigten individuelle Lösungen.
«Da habe ich erstmals gemerkt, dass die Rehaclinic-Gruppe trotz ihrer starken Wachstumsstrategie und Grösse am Wohlergehen der Menschen wirklich interessiert ist und ihnen entgegenkommen will.» Umgekehrt beeindruckt sie auch die Loyalität der Mitarbeitenden, denn nicht wenige bieten bei der Umbauphase Hand und reduzieren freiwillig ihr Arbeitspensum.
Die Rehaclinic-Gruppe will in der Rehabilitation und Prävention Branchenleaderin werden und strebt mit dem Aufbau neuer Standorte schweizweit ein weiteres Wachstum sowie eine Vergrösserung des Marktanteils an. Während Brigitte Lüthi die damit verbundene Arbeit zunächst mit einem Kernteam von drei HR-Mitarbeitenden bewältigt, zählt das HR-Team mittlerweile 16 Köpfe. Das anhaltende Wachstum der Gruppe hinterlässt Spuren: «Im vergangenen Jahr hatten wir ungefähr 400 Neueintritte bei rund 1000 Mitarbeitenden», sagt Lüthi.
Damit geht auch ein Kulturwandel einher, der nicht allen Mitarbeitenden leicht fällt und eine grosse Veränderungsbereitschaft erfordert. Das gilt auch für Brigitte Lüthis HR-Team: «Wir sind nicht mehr eine kleine, überschaubare Familie, die spontan gemeinsam etwas unternehmen kann.» Bei 16 Teammitgliedern müsse alles viel stärker koordiniert und abgesprochen werden.
Brigitte Lüthi im Video-Porträt
Unternehmenskultur vernachlässigt
Dass die Kulturveränderung in der Belegschaft noch nicht richtig angekommen ist, bringt auch die Mitarbeitenden-Zufriedenheitsmessung im Herbst 2016 zu Tage. Während die Auswertung der Rehaclinic-Gruppe im Vergleich zu anderen Gesundheitsinstitutionen herausragende Anstellungsbedingungen bescheinigt, sind die Mitarbeitenden nicht in allen Belangen zufrieden mit ihrer Arbeitgeberin. Ursachen hierfür ortet Lüthi darin, dass das Unternehmen in den vergangenen Jahren wegen der Wachstumsstrategie zwar viel in die Organisation, Struktur und Strategie investiert habe, dabei aber die Unternehmenskultur vernachlässigt habe. «Man dachte, das läuft schon, und hatte irgendwie auch kaum Zeit, sich bewusst mit Kulturbelangen auseinanderzusetzen. Nun merken wir, dass die Kultur, die wir vor 20 Jahren hatten, einfach nicht mehr adäquat ist.»
Gemeinsamkeiten fördern
Mit der neuen CEO Denise Bundi, die ihre Stelle im Januar 2017 antritt, rückt das Thema Unternehmenskultur auf der Traktandenliste nach oben, wobei sich Lohn, Führung, Transparenz und Kommunikation als Brennpunkte erweisen. Daran knüpft das Programm «RehaCulture» an, das Brigitte Lüthi leitet und mit dem sich die Gruppe auf die Kernwerte Menschenorientierung, Verantwortung, Gemeinsamkeit und Vernetzung sowie Professionalität besinnen will.
Trotz harmonisierender und wegweisender Anpassungen sollen die unterschiedlichen Kulturen an den verschiedenen Standorten weiterhin gelebt werden. «Überall alles gleich zu machen, ist nicht das Ziel und wäre schlicht unmöglich.» Dafür sei die Ausgangslage in den verschiedenen Kliniken und Organisationseinheiten der Unternehmensgruppe viel zu unterschiedlich.
Um dennoch gruppenweit Gemeinsamkeiten zu fördern, unternimmt Lüthi viele Anstrengungen. Etwa mit Einführungsveranstaltungen am Hauptsitz der Unternehmensgruppe in Bad Zurzach, Kulturevents oder Dankeschön-Aktionen wie Dreikönigskuchen- oder Osterhasen-Aktionen, die zeitgleich an allen zehn Standorten verteilt werden. «Wir wollen sichtbar machen, dass wir ein Unternehmen sind.» Daneben zeigen Brigitte Lüthi und ihr HR-Team an den Aussenstandorten regelmässig Präsenz, «um Verbindungen zu den Menschen zu knüpfen» – auch wenn dies teilweise mit mehrstündigen Reisen verbunden sei.
Dabei hat das HR-Team von Brigitte Lüthi nicht nur die Folgen des anhaltenden Unternehmenswachstums zu bewältigen und die Kultur neu mitzugestalten, sondern erbringt seit kurzem auch HR-Dienstleistungen für Partnerunternehmen wie das Thermalbad Bad Zurzach und verschiedene Hotels in Bad Zurzach, die wie die Rehaclinic zur Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach + Baden gehören.
Zur Person
Brigitte Lüthi (49) wächst im ländlichen Aargau an der deutsch-schweizerischen Grenze auf. Ihre Berufslaufbahn startet die heutige HR-Leiterin der Rehaclinic-Gruppe bei der Schweizerischen Post als Betriebsassistentin.
Innerhalb der Kreispostdirektion Aarau durchläuft sie verschiedene HR-Funktionen und wird mit 29 Jahren Leiterin Ausbildung Nordwestschweiz. Es folgt ein Wechsel zu Post-Mail, wo sie knapp 30-jährig die Leitung des Ausbildungsstützpunkts Aarau übernimmt und Mitglied der Geschäftsleitung wird.
2005 wechselt sie die Branche und verantwortet als Personalentwicklerin beim Kernkraftwerk Leibstadt innerhalb der Axpo ein neues Personalentwicklungsprogramm für den Bereich Kernenergie. Nach zwei Jahren verlässt sie den Energiedienstleister, um wieder eine HR-Führungsfunktion zu übernehmen. Diese Chance ergibt sich im August 2008 bei der Rehaclinic-Gruppe, wo sie seither als HR-Leiterin wirkt.
Neben einer kaufmännischen Grundbildung hat Brigitte Lüthi verschiedene HR-Weiterbildungen abgeschlossen und verfügt über einen Master of Business Administration der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Gelassenheit dank China-Aufenthalt
Trotz der vielen Arbeit bleibt Brigitte Lüthi gelassen. Eine Gelassenheit, die sie sich nicht zuletzt während ihres MBA-Studiums und des dazugehörigen CAS in internationalem Management angeeignet hat. Diese Studienvertiefung führt sie im Jahr 2013 nach China, wo sie drei Wochen im Shanghai East Hospital arbeitet und der Klinikdirektion das Gesundheitswesen der Schweiz näherbringt. Das riesige Gefälle zwischen Arm und Reich sowie die für Schweizer kaum fassbare Kultur und Grösse von China beschäftigen sie bis heute: «Es gab im Shanghai East Hospital Stationen, wo die Patientenbetten im Gang standen, und Zimmer, in denen Angehörige die Patienten betreuen und pflegen mussten, während zwei Stockwerke weiter oben reichen Chinesen exklusive Räumlichkeiten mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten zur Verfügung standen.» In einer riesigen Halle stösst sie hinter Vorhängen auf alte und sterbende Menschen, die keinen Pflegeplatz haben, während im Eingangsbereich Patienten vollautomatisch einchecken und ihr Blut gleich selbst abnehmen. «Das ist einfach unvorstellbar, wenn man das schweizerische Gesundheitswesen kennt und als selbstverständlich nimmt.» Auch das HR habe es in Shanghai wenig gemütlich gehabt: «Die Mitarbeitenden sassen zu acht in einer fensterlosen Abstellkammer, die wir hier wohl nicht einmal für unseren Drucker benutzen würden.»
Etwas zurückgeben
Brigitte Lüthi ist sich ihrer privilegierten Situation bewusst und engagiert sich deshalb ehrenamtlich für weniger Privilegierte. Etwa im Aargauer Mentoring-Programm «Tandem 50 Plus». Angefragt von der kantonalen Projektleiterin, die händeringend Mentoren im Gesundheitswesen sucht, begleitet Lüthi seit anderthalb Jahren über 50-Jährige bis zu vier Monate lang bei der Stellensuche. Nebst der Vermittlung von Kontakten gehöre es auch dazu, Trost zu spenden, wenn «eine motivierte Person die 80. Absage erhält, weil sie als ‹zu alt› abgestempelt wird».
Kein Hundefan
Ganz reibungslos gehe das Mentoring jedoch nicht immer vonstatten: «Ich hatte eine Frau als Mentee, die sich etwas sperrig verhielt und überall Schuldige für ihre Situation sah, sich selbst aber nicht reflektierte», erinnert sich Lüthi. «Ich musste ihr erklären, dass nicht ihr Alter eine Anstellung verhindere, sondern ihre Einstellung.» Das habe ihr die Frau ziemlich übelgenommen und sich einige Tage nicht gemeldet. Doch nach einer Weile habe sie wieder Kontakt aufgenommen, ihre Erwartungen und Forderungen etwas heruntergeschraubt und siehe da: Es klappte mit einer Festanstellung.
Auch heute stehe sie mit ihr noch in Kontakt. «Sie wollte mir etwas zurückgeben. Deshalb hat sie mich zu einem Hundetraining mit ihrem grossen Hund eingeladen, damit ich meine Angst vor den Vierbeinern ablege.» – Ein Hundefan sei sie zwar nicht geworden, «aber immerhin kann ich nun ohne Anflug von Panik an ihnen vorbeispazieren».
Rehaclinic-Gruppe
Die Rehaclinic-Gruppe mit Hauptsitz in Bad Zurzach zählt 1100 Mitarbeitende, die in 30 verschiedenen Berufen arbeiten. Die Gruppe bietet 60 Ausbildungs- und Praktikantenstellen und beschäftigt 56 Lernende. Der Leistungsbereich der RehaClinic-Gruppe umfasst die Bereiche Prävention, stationäre, ambulante sowie mobile Rehabilitation, Reintegration und Kuren. Zur Gruppe gehören neben neun Kliniken mit eigenem Leistungsangebot auch ambulante Rehabilitationszentren sowie eigenständige Tochterunternehmen wie die beiden Kliniken für Schlafmedizin in Bad Zurzach und Luzern. 2016 zählte die Gruppe 5979 stationäre sowie 17 572 ambulante Patienten und verfügte über 470 Betten.