Interessante Perspektiven bei der Arbeitszeiterfassung
Das Arbeitsgesetz verpflichtet Arbeitgeber nicht nur zur Einhaltung von Arbeitszeitvorschriften. Die geleistete Arbeitszeit soll auch erfasst und dokumentiert werden. Diese Pflicht ist politisch umstritten und wird oft nicht eingehalten. Seit dem 1. Januar 2014 lassen sich Arbeitsverhältnisse in drei Kategorien einteilen, für die entweder keine, lediglich eine vereinfachte oder aber eine umfassende Pflicht gilt, die Arbeitszeit zu erfassen.
Heute prägt sich der Trend zu flexiblen Arbeitszeiten immer mehr und variantenreicher aus. (Illustration: Jonas Raeber)
Das Arbeitsgesetz (ArG) und seine Verordnungen regeln die Arbeitszeit mit hoher Detailtiefe. Es werden beispielsweise Höchstarbeitszeiten, Pausen und tägliche Ruhezeit, die Überzeitarbeit sowie Lohn- und Zeitzuschläge festgelegt. Die Nacht- und Sonntagsarbeit wird an eine Bewilligungspflicht gebunden und die Schichtarbeit reguliert. Die richtige Anwendung aller Arbeitszeitvorschriften ist eine Herausforderung. Dies umso mehr, weil das Arbeitsgesetz in einer Zeit entstand, in der starre Arbeitszeiten die Regel waren, während sich heute der Trend zu flexiblen Arbeitszeiten immer mehr und variantenreicher ausprägt.
Pilotprojekt im Bankensektor scheiterte
Die kantonalen Arbeitsinspektorate kontrollieren die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften – von Amtes wegen, aber auch auf Anzeige hin (Art. 54 ArG). Damit die Kontrollen durchgeführt werden können, wird von Arbeitgebenden die Erfassung umfassender Arbeitszeitdaten verlangt – beispielsweise die geleistete (tägliche und wöchentliche) Arbeitszeit inklusive Ausgleichs- und Überzeitarbeit sowie ihre Lage, die Lage und Dauer der Pausen von einer halben Stunde und mehr oder die nach Gesetz geschuldeten Lohn- und/oder Zeitzuschläge (Art. 73 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz, ArGV1).
Viele Unternehmen missachten ihre Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen, und bezeichnen diesen Umstand oft beschönigend als «Vertrauensarbeitszeit». Der «Tages-Anzeiger» schrieb am 12. September 2013, Statistiken zufolge würde ein Sechstel aller Arbeitnehmenden ohne Arbeitszeiterfassung arbeiten. Arbeitsrechtsprofessor Thomas Geiser wurde mit der Aussage zitiert, er sähe beim Vollzug des Arbeitsgesetzes einen «echten Notstand». Entsprechend fielen in den letzten Jahren verschiedene Initiativen auf, mit denen versucht wurde, in der Frage der Arbeitszeiterfassung die Interessen von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden besser aufeinander abzustimmen: Im Juni 2009 lancierte das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO das Pilotprojekt «Vertrauensarbeitszeit im Bankensektor», bei dem versuchsweise nur noch minimale Eckdaten zu erfassen gewesen wären.
Das Projekt scheiterte, weil die beteiligten Banken auch unter erleichterten Bedingungen keine Daten erhoben, die eine sinnvolle Auswertung zuliessen. Im Schlussbericht vom 21. Dezember 2011 hielt das SECO vielsagend fest: «In den beteiligten Banken zeigte sich, dass die Linienvorgesetzten für die Einhaltung der Arbeits- und Ruhezeiten eine zentrale Rolle spielen und dass es Strategien zum Abbau von Überzeiten braucht.» Zudem wurde eine Revision des Arbeitszeiterfassungsrechts eingeleitet. Am 5. Juli 2013 orientierte das SECO, eine Vorlage zur Revision des Arbeitszeiterfassungsrechts könne dem Bundesrat noch nicht unterbreitet werden, da die Positionen der Sozialpartner zu weit auseinanderliegen würden.
Neue Möglichkeiten für Arbeitgeber
Die Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen, lässt sich in drei Kategorien einteilen:
Kategorie 1 – Keine Erfassungspflicht: Das Arbeitsgesetz regelt zahlreiche Ausnahmen von seinem Anwendungsbereich und gilt zwar für eine grosse Mehrheit, aber nicht für alle Arbeitnehmenden. Die Arbeitszeitvorschriften sind beispielsweise nicht anwendbar auf «Verwaltungen des Bundes, der Kantone und Gemeinden» (Art. 2 Abs. 1 lit. a ArG) oder auf «höhere leitende Angestellte» (Art. 3 lit. d ArG). In letztere Kategorie fallen gemäss SECO «in der Regel nur Top-Manager (CEOs, Geschäftsleitungsmitglieder und dergleichen)» (SECO-Weisung vom Dezember 2013).
Kategorie 2 – Vereinfachte Dokumentationspflicht: Im Dezember 2013 erliess das SECO gegenüber den kantonalen Arbeitsinspektoraten eine Weisung, die am 1. Januar 2014 in Kraft trat (Referenz 2013-10-23/381). Die Weisung sieht für gewisse Arbeitnehmerkategorien (Kaderpersonal, Projektleiter und andere Mandatsträger mit Ergebnisverantwortung) unter gewissen Bedingungen eine vereinfachte Dokumentationspflicht vor. Eine der Bedingungen ist eine entsprechende schriftliche Vereinbarung. Bei der vereinfachten Dokumentationspflicht muss nur noch die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit erfasst werden und nicht mehr der gesamte Datenkatalog gemäss Art. 73 ArGV1. Die neue Arbeitnehmerkategorie, die unter die «vereinfachte Dokumentationspflicht» fällt, scheint vielen schwer interpretierbar. Zudem behält sich die SECO-Weisung ausdrücklich vor, die neuen «Vorgaben anzupassen, insbesondere falls aufgrund der Rechtsprechung Korrekturen erforderlich werden.» Viele Fachleute sind der Ansicht, es wäre besser, die erleichterte Dokumentationspflicht an eine klar definierte (hohe) Lohngrenze zu binden, statt an unscharf definierte Arbeitnehmerkategorien.
Kategorie 3 – Umfassende Dokumentationspflicht: Zur umfassenden Arbeitszeiterfassungspflicht gemäss Art. 73 ArGV1, die für die restlichen Arbeitnehmenden gilt, schreibt das SECO, die Arbeitszeiterfassung müsse «nicht anhand einer Stempeluhr geschehen, sondern es gibt andere bewährte und unbürokratische Möglichkeiten, die Arbeitszeiten zu erfassen, die nach wie vor zulässig bleiben (IT-Login als Zeitpunkt des Arbeitsbeginns, Definition eines allgemeinen Arbeitsmodells und nur Erfassen der individuellen Abweichungen davon, von Hand geführte Excel-Tabellen, fixer Schichtplan, …)». Dieser Hinweis eröffnet neue Perspektiven. Dabei sticht vor allem die Möglichkeit heraus, ein «allgemeines Arbeitsmodell» zu definieren. Sie scheint reichlich Interpretationspotenzial zu bergen.
Unternehmen ist zu raten, sich mit den neuen Perspektiven der SECO-Weisung vom Dezember 2013 auseinanderzusetzen – insbesondere mit den Möglichkeiten «unbürokratischer» Zeiterfassungsmethoden, die das SECO anspricht. Gemäss SECO-Weisung wird Arbeitgebenden zudem eine Übergangsfrist bis Ende April 2014 zugestanden, um schriftliche Vereinbarungen mit Mitarbeitenden zu treffen, die unter die «vereinfachte Dokumentationspflicht» fallen.