Die Wirtschaftliche Perspektive reicht nicht
Nebst der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit führe Diversity Management zu höheren Absatzmöglichkeiten, steigere die Kundenzufriedenheit durch besseres Marketing und Kundenverständnis, fördere die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Mitarbeitenden durch gegenseitiges Lernen und gegenseitigen Wissensaustausch und erhöhe so auch die Chancen, auf einem erweiterten Arbeitsmarkt qualifiziertes Personal zu finden.
Nicht zuletzt profitiere das Unternehmen durch sein Engagement von einem besseren Unternehmensimage. Werde Diversity Management einzig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, würden «Gleichbehandlung, Antidiskriminierung und damit auch Inklusion zur Nebensache». Gemäss Jent schrecken Arbeitgeber vor einer Anstellung von Menschen mit Behinderung zurück, weil sie diese als Leistungseingeschränkte wahrnehmen und die äusserst unterschiedlichen Behinderungsarten kaum auseinanderdividieren. Gefragt werde, «was nicht geht», statt zu klären, was ein Behinderter besonders gut könne, möglicherweise sogar besser als ein durchschnittlicher Nichtbehinderter.
«Ein bisschen Inklusion» funktioniert nicht
So hätten etwa Menschen mit Asperger-Syndrom oft ausserordentliche Befähigungen im Bereich von IT-Routinen, die weit über jene üblicher IT-Fachkräfte hinausgehen. Diese sogenannten komparativen Kompetenzen könne ein Unternehmen im Zusammenspiel mit vorhandenen Muss-Kompetenzen gezielt einsetzen. Etwa, indem Behinderte und Nichtbehinderte gemäss dem «Working Partnership Model» des Centers for Disability and Integration der Universität St. Gallen ihre diametral verschiedenartigen Befähigungen in einer Arbeitspartnerschaft so einbringen, dass sich deren Vorteile kumulieren, während sich die Nachteile aufheben.
«Ein bisschen Inklusion» funktioniere jedoch nicht, diese müsse auch gelebt werden. Das bedeute, gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu erarbeiten. «Nur sie können ihre Bedürfnisse und ihre teils speziellen Befähigungen realistisch einschätzen und wiedergeben», so Jent. Inklusion bedeute, dass «alle Gesellschaftsmitglieder in gleichwertigem Miteinander auf gleicher Augenhöhe konstruktiv zum Nutzen aller mitwirken».
Damit Inklusion in der Arbeitswelt gelinge, müssten bauliche, infrastrukturelle und administrative sowie informationstechnologische Barrieren abgebaut werden und vor allem müsse ein Wertewandel stattfinden. Letzterer ziele darauf ab, den defizitorientierten Blickwinkel zum ressourcenorientierten zu lenken. «Gelingt es, den Fokus auf die vorhandenen Fähigkeiten der behinderten Menschen zu richten, ist man auch in der Lage, die Arbeitsstrukturen anzupassen, damit ihre Stärken und Fähigkeiten zum Tragen kommen und sie einen wertvollen Beitrag leisten können», so Jent. Kosten, die durch diese Anpassungen entstehen, «sind nicht den Menschen mit Behinderungen anzukreiden, die sich als Arbeitskräfte einbringen möchten». Vielmehr seien diese «notwendige Aufwendungen zur Beseitigung von Altlasten, Versäumnissen und Diskriminierungen der Vergangenheit».
Zur Person
Prof. Dr. Nils Jent ist seit einem Verkehrsunfall in seinem 18. Lebensjahr blind sowie sprech- und körperbehindert und verwendet einen Rollstuhl. Er studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen und promovierte 2002 zum Thema «Learning from Diversity: Die Überwindung der Gleichsetzung von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit durch heterogen zusammengesetzte Arbeitspartnerschaften». In der Folge trat er dem Institut für Führung und Personalmanagement (IFPM-HSG) bei, wo er das Diversity Center aufbaute. Nils Jent ist Professor für Diversity und Ability Management sowie Direktor des Kompetenzzentrums für Diversity und Inklusion und der angewandten Forschung am Center for Disability and Integration. Ferner ist Jent Gesellschafter und Co-Geschäftsführer der Innocuora GmbH.