Die Neugierige
Wie sich eine Entlassung anfühlt, erlebt Leandra Moser, als ihre Stelle bei einem Start-up abgebaut wird. Dieser berufliche Tiefpunkt ist jedoch bald überwunden und Leandra Moser treibt ihre HR-Karriere umso zielstrebiger voran. Vor drei Jahren hat die mittlerweile 31-Jährige die HR-Gesamtleitung beim Technologieanbieter Netstream übernommen.
«An meinem Zügeltag hatte ich morgens um acht einen Termin im Büro meines Chefs. Fünf Minuten später stand ich mit der Kündigung in der Hand wieder draussen.» – Leandra Moser, HR-Leiterin, Netstream. (Bild: HR Today)
«Ich war völlig am Boden zerstört», schildert Leandra Moser ihren Zustand im Mai 2013, als sie beim Technik-Start-up Matis Schweiz AG nach knapp neun Monaten als Recruiting-Verantwortliche zum «ersten Mal im Leben» eine Kündigung erhält. Zuvor hatte das Unternehmen in Frankreich ein Grossprojekt und damit die nötigen Mittel verloren, um den Aufbau der Schweizer Niederlassung voranzutreiben.
Die Kündigung kommt für Leandra Moser überraschend: «Ich war gerade umgezogen. An meinem Zügeltag hatte ich morgens um acht einen Termin im Büro meines Chefs. Fünf Minuten später stand ich mit der Kündigung in der Hand wieder draussen. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden.»
Das Gefühl der Überrumpelung weicht bald einer positiveren Stimmung: «Im Nachhinein war es gut, in der Haut eines entlassenen Mitarbeitenden zu stecken. Ich weiss nun, wie es sich anfühlt, wenn man eine Kündigung erhält.»
Die darauffolgende Stellensuche dauert nicht lange. Im Juni 2013 tritt Leandra Moser bei der Helsana eine Stelle als HR Consultant und Social Media Specialist an und baut in den folgenden zwei Jahren das Social Media Recruiting sowie das Active Sourcing auf. Zeitgleich bildet sie sich weiter und absolviert an der ZHAW einen Master in Human Capital Management.
Nach einer Reorganisation mit Nominationsverfahren wird ihr eine weitere Rekrutierungsposition zugewiesen. Aber: «Das war mir nach meinem HR-Master zu wenig. Ich wollte mehr Verantwortung im HR übernehmen.»
Schiefer Haussegen bei Netstream
So springt die 28-Jährige im Oktober 2015 bei der Technologiefirma Netstream ins kalte Wasser, als sie die HR-Leitung ohne praktische HR-Führungserfahrung übernimmt. Als ganz so kalt erweist sich dieses Bad jedoch nicht: «Ich hatte ja eine klare Vorstellung davon, wie das HR und eine Firma funktionieren sollten und was meine Rolle dabei ist.» Auch an Selbstvertrauen fehlt es ihr nicht. «Ich wusste, dass ich diesen Job packe.»
Zu tun gibt es genug, denn der Haussegen hängt im 70 Köpfe zählenden Unternehmen etwas schief. «Die Geschäftsleitung wollte vieles kontrollieren und war dadurch überlastet. Das führte zu langen Warteschlaufen.» Auch die Kurzzeitabsenzen waren in die Höhe geschossen. Herausforderungen, denen Leandra Moser gelassen begegnet: «Ich habe mir zwei Jahre Zeit genommen, um die Zusammenarbeit und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.» Mittlerweile habe sie dieses Ziel erreicht.
Eine Aussage, die wir etwas genauer ergründen wollen. «Wir sprechen heute ganz anders miteinander», erklärt Moser. «Wenn ein Geschäftsleitungsmitglied mit etwas unzufrieden ist, wird nicht mehr einfach interpretiert, verurteilt und losgebrüllt. Stattdessen analysieren wir die Situation und versuchen herauszufinden, was die Ursachen sind. Etwa, weshalb jemand einen Durchhänger hat.»
Dieser Richtungswechsel habe viele Einzelcoachings der Geschäftsleitungs- und Kadermitglieder erfordert, in denen diese sich hinterfragt und sich die Frage gestellt haben, wo sie im Leben stehen, was sie antreibt, und welche Wertesysteme sie haben. Auch Leandra Moser hat ein grösseres Bewusstsein für sich entwickelt. «Je mehr man davon hat, desto mehr ruht man ich sich, hat Vertrauen zu sich, ins Leben sowie in die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet.» Kompetenzen, die ihr helfen, das Firmensystem zu irritieren, um alte Beziehungsmuster zu durchbrechen.
Leandra Moser im Video-Porträt
Flexiblere Strukturen
Von diesen Kompetenzen kann sie gar nicht genug haben, denn das Unternehmen befindet sich gerade in einer Umbruchphase und will agiler werden. Mitarbeitende sollen besser mit neuen und komplexen Situationen umgehen, um so flexibler auf Marktveränderungen zu reagieren.
«Menschen verändern ihre Haltung nicht, nur weil sich die Strukturen verändern», betont Leandra Moser. Für sie sind Holacracy oder Scrum nur bedingt zielführende Methoden, um ein Unternehmen agiler zu gestalten. «Sie funktionieren nur solange, bis sich Menschen anders verhalten müssen. Dann kommen Holacracy oder Scrum merklich an ihre Grenzen, weil sie eine Haltung der Menschen voraussetzen, welche diese aus anderen Unternehmen nicht kennen.»
Statt an Strukturen wolle Netstream deshalb vermehrt «am Menschen arbeiten.» Das bedeute, die Haltung der Geschäftsleitung, des Kaders sowie der Mitarbeitenden zu verändern sowie Mitarbeitende zu befähigen, ihr Potenzial besser am für sie passenden Ort zu nutzen.
Menschen sind keine Maschinen
Dass sich mittlerweile etwas an der inneren Haltung der Menschen verändert habe, merke sie vor allem an der Haltung der Geschäftsleitung und am CEO, «der vermehrt Aufgaben abgibt und nicht mehr überall involviert sein will. Er begegnet anderen Mitarbeitenden auf Augenhöhe, glaubt an ihre Fähigkeiten und vertraut ihnen, dass sie im Sinne des Unternehmens handeln.» Ausserdem könne sie Themen ansprechen, die noch vor kurzer Zeit «abgeschmettert wurden.»
Etwa die Einführung der 40-Stunden-Woche: «Bevor wir Anfang Jahr innerhalb von fünf Minuten entschieden haben, diese einzuführen, haben wir davor jahrelang darüber diskutiert, ob Mitarbeitende in diesem Fall nur noch 96 Prozent arbeiten, aber 100 Prozent verdienen.»
Doch einen Menschen könne man nicht wie eine Maschine behandeln, der auf Knopfdruck Teile produziert. «In zweieinhalb Stunden liefert niemand automatisch mehr Resultate.» Wichtig sei doch zu erkennen, dass vor den finanziellen Ergebnissen ein leistungsfähiger und motivierter Mitarbeitender stehe und nicht umgekehrt. «Die Zahlen sind das Ergebnis aller vorgängigen Bemühungen und nicht die Ausgangslage. Viele Unternehmen verwechseln das.»
Zur Person
Leandra Moser (31) wächst mit einem zwei Jahre älteren Bruder im zürcherischen Bonstetten auf und besucht dort die Schule. Ihr Flair fürs Recruiting entdeckt die knapp 23-Jährige im Jahr 2010 beim Start-up Academics4business. Dort bewirbt sie sich für eine Stelle im Marketing – und bekommt stattdessen eine im Recruiting angeboten.
Eine Chance, die Leandra Moser packt, obwohl sie nach einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung mit Rekrutierungen bisher nichts am Hut hat. Nach nur einem Jahr wird sie von Page Personnel für eine Rekrutierungsposition über XING abgeworben. Sie zögert nicht lange und sagt zu: «Ich war begeistert, dass man mich anspricht und mir eine Stelle anbietet.»
Beim internationalen Personalvermittler erhofft sie sich, «das Recruiting von der Pike auf zu lernen.» Sie findet Kandidaten über Social Media und Active Sourcing, führt «massenhaft» Interviews und lernt die Methoden eines Matchings kennen. Nach einem Jahr hat sie genug von der Sales-getriebenen Kultur und kündet.
Es folgt der Schritt zur Matis AG, welche die 25-Jährige im Juli 2012 anheuert, um den Schweizer Sitz aufzubauen und hierfür hochspezialisierte Ingenieure zu rekrutieren.
Nachdem sie aufgrund der finanziellen Engpässe des Unternehmens gekündigt wird, tritt sie bei der Helsana eine Stelle als Recruiting Specialist an und baut dort das Social Media Recruiting und das Active Sourcing auf. Als sie ihren Master in Human Capital Management abgeschlossen hat, übernimmt sie 2015 beim Technologieunternehmen Netstream die HR-Gesamtleitung.
Netstream
Die Technologiefirma mit Hauptsitz in Dübendorf erbringt Services und Lösungen in den Bereichen VoIP (Voice over IP), Hosting / Cloud, Connectivity sowie Streaming. Die Hälfte der rund 27 000 Kunden setzt sich aus kleinen und mittleren Unternehmen zusammen. 1998 gegründet, beschäftigt Netstream heute --90 Mitarbeitende und betreibt seit 2011 zwei eigene Rechenzentren in der Schweiz.