HR Today Nr. 3/2017: Loyalität

Ohne Loyalität keine Performance

Seit 2011 zeichnet sich im Bereich Personalentwicklung ein Trend der finanziellen Ressourcenknappheit ab. Dabei wird die langfristige Mitarbeiterbindung durch nachhaltige Qualifizierung und Weiterbildung zunehmend zum zentralen Erfolgsfaktor agiler Unternehmen.

Die Arbeitswelt befindet sich in einem stetigen Wandel. Veränderungen von externen Rahmenbedingungen wie die Erschliessung neuer Märkte, verstärkter Wettbewerb sowie gesellschaftliche, politische und rechtliche Einflüsse begleiten den Wandel interner Rahmenbedingungen in Form neuer Technologien und der Beschleunigung von Arbeitsprozessen. Die ökonomische Performance von Unternehmen hängt zunehmend von der Loyalität, der nachhaltigen Qualifizierung und Weiterbildung sowie der Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden ab.

Die nachhaltige betriebliche Weiterbildung und ein strategisches Kompetenzmanagement in der Personalentwicklung zählen nach wie vor zu den zentralen Erfolgsfaktoren für das agile und erfolgreiche Wirtschaften von Organisationen. Gemäss einer Erhebung des Bundesamts für Statistik (BFS)¹ aus dem Jahr 2011 unterstützt mit einem Anteil von 83 Prozent eine klare Mehrheit der schweizerischen Unternehmen Inves­titionen in die Weiterbildung. Insgesamt besitzen 39 Prozent für das Erhebungsjahr 2011 ein Jahresbudget für Weiterbildung. Am häufigsten investierten die Unternehmen in nicht-formale Bildungsaktivitäten, die nicht zu einem offiziell anerkannten Diplom führen. Die Dauer von nicht-formalen Bildungsaktivitäten kann zwischen einigen Stunden und mehreren Monaten variieren und Aktivitäten wie Workshops, Seminare, Konferenzen, Job-Rotations am Arbeitsplatz und selbstgesteuertes Lernen beinhalten.

Personalentwicklung: knappere Ressourcen

Zwar können keine aktuellen Kennzahlen des BFS für unterstützte Weiterbildungsaktivitäten von schweizerischen Unternehmen eingesehen werden, doch zeichnet sich bereits in den Kennzahlen der Erhebung von 2011 ein Trend der finanziellen Ressourcenknappheit im Bereich Personalentwicklung ab. So geben 99 Prozent der befragten Unternehmen ungeachtet ihrer Grösse an, ihr Weiterbildungsangebot eingeschränkt zu haben. Insgesamt geben 48 Prozent der weiterbildungsaktiven Unternehmen als Alternativstrategie an, bereits qualifiziertes Personal einzustellen. Diese Personalstrategie gilt es allerdings angesichts der bereits umschriebenen Schnelllebigkeit unserer Wissensgesellschaft und weiterer sozialgesellschaftlicher Herausforderungen wie demografische Veränderungen kritisch zu beleuchten.

Unterschiedliche Szenarien zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung der Schweiz gehen davon aus, dass bis im Jahr 2045 mit einer massiven Alterung der Bevölkerung zu rechnen ist. Gemäss eines Referenzszenarios des BFS² aus dem Jahre 2015 entfielen Ende 2013 auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 28,4 Personen im Pensionsalter. Ende 2045 sind es bereits 48,1 Personen. Die personalspezifischen Auswirkungen sind insbesondere in der Form des Rückgangs der Erwerbsbevölkerung und der Modifikation der Altersstruktur Richtung Anstieg des Anteils älterer Erwerbspersonen festzustellen. Die primären Konsequenzen: Arbeitskräfte bleiben länger gesund und motiviert und sind entsprechend mit dem erfolgskritischen Wissen und den erforderlichen Kompetenzen auszustatten. In den Zeiten des «War for Talents» sind Personalverantwortliche mit der Herausforderung konfrontiert, vor allem gute, qualifizierte und insbesondere junge Fachkräfte zu rekrutieren. Die langfristige Bindung von Mitarbeitenden an das Unternehmen im Wettbewerb um die qualifiziertesten Fachkräfte stellt ein weiteres personalstrategisches Aufgabenfeld dar.

Eckpfeiler der strategischen Bildungsarbeit

Gefolgt von kollegialer Arbeitsatmosphäre (59,1 Prozent) und Karriereentwicklung (49,5 Prozent) wählten mit 47 Prozent die Befragten der aktuellen «Absolventenstudie» von Kienbaum Weiterbildung als Top-Entscheidungsfaktor für die Arbeitgeberwahl³. In Anbetracht der hohen Bedeutungszuschreibung von Entwicklungsmöglichkeiten und des skizzierten Fachkräftemangels werden Mitarbeitende vermehrt zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil und Nachhaltigkeitsfaktor. In diesem Kontext gilt es, berufliche Entwicklung für die gesamte Laufbahn von Mitarbeitenden zu ermöglichen. Eine zentrale Bedeutung kommt hierbei der strategisch orientierten Ausrichtung von innerbetrieblichen Bildungsmassnahmen zu.

Strategische Bildungsarbeit zielt auf die langfristige Sicherung von Kompetenzen, indem die Effektivität («Doing the right things») und die Effizienz («Doing the things right») der strategischen Ausrichtung hervorgehoben werden⁴. Bildungsmassnahmen strategisch auszurichten, beinhaltet, die definierten Bildungsmassnahmen unternehmensorientiert in enger konzeptioneller und zeitlicher Orientierung an der Unternehmensstrategie auszurichten. Hier sollten Bildungsfachleute so in der Unternehmensorganisation positioniert sein, dass sie strategische Impulse in der Gestaltung von Lehr-Lern-Formen der anvisierten Bildungsmassnahmen setzen können. Im Prozess der Strategieentwicklung ist eine Definition der normativen strategischen Ausrichtung von Weiterbildungsmassnahmen zu empfehlen, die unter anderem die zugrundeliegenden Leitbilder, Werte und Visionen von Personalentwicklungsmassnahmen festlegt. Leitbilder beabsichtigen, auf der Handlungsebene die Normen und Wertvorstellungen von Bildungsmassnahmen zu definieren. So können zum Beispiel wesentliche inhaltliche und handlungsorientierte Grundpfeiler des Bildungsverständnisses und der didaktischen Ausrichtung von Lehr- und Lernprozessen in einer lernenden Organisation skizziert werden. Die definierten Leitbilder sind Eckpfeiler, anhand derer die Erreichung der Ziele durch das Setzen von Prioritäten und strategischen Handlungsfeldern formuliert wird.

Lernförderliche Unternehmenskultur

Ein umfassendes Bildungsverständnis in der betrieblichen Bildung berücksichtigt nicht nur das Ergebnis von Training und Kompetenzentwicklung, sondern insbesondere auch die Rahmenbedingungen, unter denen Training und Kompetenzentwicklung in Organisationen stattfinden. Somit unterstreicht eine Anzahl von arbeitspsychologischen Ansätzen das Lernklima beziehungsweise die Lernatmosphäre als wesentlicher Einflussfaktor erfolgreichen Lernens in Unternehmen. Betriebliches Lernen setzt insbesondere eine Unternehmenskultur voraus, die ein Klima von Lernen und Entwicklung betont. Die Qualität der Lernumgebung sowie die soziale Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten stellen weitere wesentliche Voraussetzungen für ein kontinuierliches, selbstgesteuertes Lernen dar⁵. Die Gestaltung einer Lernkultur berücksichtigt die individuellen Entwicklungsziele von Mitarbeitenden im Einklang mit unternehmensbezogenen Zielen. Eine förderliche Lernkultur zeigt sich offener gegenüber neuen Lernformen und schafft förderliche Rahmenbedingungen für das Lernen auf verschiedenen Ebenen der Organisation. Lernförderliche Rahmenbedingungen werden in diesem Kontext aktiv von Führungskräften in Zusammenarbeit mit Bildungsverantwortlichen und HR mitgestaltet. Neben der Frage nach der örtlichen, zeitlichen und interaktiven Gestaltung von Lernprozessen («Wo wird gelernt?», «Wann findet Lernen statt?», «Mit wem findet Lernen statt?») beantworten Führungskräfte auch die Ressourcenfrage von Bildungsmassnahmen. Hierbei ist sicherzustellen, dass Mitarbeitenden genug Zeit für die Vor- und Nachbereitung von Lerninhalten zur Verfügung steht und ein zeitlicher Korridor für informelles Lernen am Arbeitsplatz definiert wird. Die erlebte Autonomie von Mitarbeitenden, insbesondere informelle Lernangebote selbständig auszuwählen und in einem gesteckten Zeitfenster selbstbestimmt in den Arbeitsprozess integrieren zu können, trägt nachhaltig zum Erfolg von Bildungsmassnahmen bei.

Evaluationsergebnisse einer kontinuierlichen systematischen Programmevaluation der Weiterbildungsstudiengänge am IAP Institut für Angewandte Psychologie heben einen weiteren bedeutenden Aspekt einer lernförderlichen Unternehmenskultur hervor: In der Identifikation von hinderlichen Faktoren in der erfolgreichen Umsetzung von erlernten Inhalten im Arbeitsalltag wird der Mangel an Anwendungsmöglichkeiten (zum Beispiel Übernahme neuer Aufgabenbereiche, kreatives Umsetzen erlernter Inhalte in eigene Arbeitsprozesse) als häufigstes Kriterium genannt. Eine transferorientierte Lernkultur in Unternehmen, die den nachhaltigen Praxistransfer von Bildungsmassnahmen betont, berücksichtigt die methodisch-didaktische Gestaltung von Lehr-Lern-Angeboten und thematisiert das organisationale Umfeld sowie die Merkmale des Lernenden. Die Transferforschung beschreibt des Weiteren die zentrale Rolle einer lernförderlichen Führungsarbeit. So ist beispielsweise neben der Teilnahme von Führungskräften an Bildungsmassnahmen (unter anderem in einer Expertenrolle) die Begleitung von Trainingsmassnahmen ein wesentlicher Ansatzpunkt. So können im Rahmen eines Vorbereitungsgesprächs mit der Führungskraft die Transferziele formuliert und die spätere Anwendung in der Berufspraxis thematisiert werden.

Zentrale Attraktivitätsfaktoren

Das emotionale Investment und das nachhaltige Engagement der Belegschaft zählen zu den zentralen Erfolgsfaktoren für das langanhaltende erfolgreiche Wirtschaften von Organisationen⁶. Arbeitskräfte, die ein strategisch orientiertes Bildungsmanagement innerbetrieblicher Bildungsmassnahmen erkennen, sehen ihre Kompetenzen gezielt gefördert. Die gelebten Werte in der Aufgleisung von Bildungsmassnahmen und die entsprechende Implementierung einer Lernkultur in Unternehmen sind als zentrale Attraktivitätsfaktoren von Arbeitgebern anzusehen. Wenn Angestellte erkennen, dass sich das Unternehmen um ihr berufliches Weiterkommen kümmert, damit seine Position im Wettbewerb stärkt und gleichzeitig einen aktiven Beitrag für die Arbeitsplatzsicherheit leistet, erhöht sich ihr individuelles Commitment. Mitarbeitende erfahren dadurch eine bedeutende Wertschätzung und Anerkennung ihrer Leistungen. Die aktive Partizipation von Mitarbeitenden bei der Wahl und Gestaltung von transferorientieren Bildungsmassnahmen erhöht die subjektiv wahrgenommene Selbstbestimmung und das Mitspracherecht von Mitarbeitenden. Die individuelle, zielgerichtete und kontinuierlich auf die Lebensspanne ausgerichtete Qualifizierung und Weiterbildung von Mitarbeitenden sind daher angesichts grundlegender rapider Veränderungen in der Arbeitswelt essenzielle Bestandteile einer nachhaltig ausgerichteten Personalpolitik in Unternehmen.

Quellen

  • ¹ Bundesamt für Statistik (2011). Berufliche Weiterbildung in Unternehmen. Ergebnisse der Erhebung zur beruflichen Weiterbildung in Unternehmen (SBW). Neuchâtel: BFS.
  • ² Bundesamt für Statistik (2015). Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2015–2045. Neuchâtel: BFS.
  • ³ Kienbaum (2015–2016). Absolventenstudie 2015/2016. Ergebnisbericht online abrufbar.
  • ⁴ Dulworth, M., & Bordonaro, F. (2005). Corporate Learning. San Francisco: Pfeiffer.
  • ⁵ Crouse, P., Doyle, W., & Young, J. D. (2011). Workplace learning strategies, barriers, facilitators and outcomes: A qualitative study among human resource management practitioners. Human Resource Development International, 14, 39–55.
  • ⁶ Bakker, A.B., & Schaufeli, W.B. (2008). Positive organizational behavior: Engaged employees in flourishing organizations. Journal of Organizational Behavior, 29, 147–154.
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Prof. Dr. Christoph Negri ist Arbeits- und Organisationspsychologe und Leiter des Instituts für Angewandte Psychologie IAP.

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Dr. Anna-Lena Majkovic ist Arbeits- und Organisationspsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Angewandte Psychologie IAP.

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