HR Today Nr. 4/2018: Recruiting

Ungefragt zugestellte Bewerberdossiers: Was tun?

Reicht ein Personalvermittler auf ausgeschriebene Stellen ungefragt Bewerberdossiers ein, während sich der Kandidat für dieselbe Stelle direkt bewirbt, kann der Arbeitgeber wegen Provisionsansprüchen in schwieriges Fahrwasser geraten, falls es zu einer Anstellung kommt. Was ist zu tun?

Wie kommt eigentlich eine Personalvermittlung und damit ein Provisionsanspruch zustande? Gemäss Corinne Platzer, die beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) als Abteilungsleiterin für private Arbeitsvermittlungen verantwortlich ist, entsteht kein Provisionsanspruch, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der Arbeitsvertrag ohne «Mithilfe» durch die ungefragt zugestellten Bewerberdossiers zustande kam. Obwohl die Beweislage oft dünn ist, schrecken gewisse Personalvermittler nicht davor zurück, rechtliche Schritte einzuleiten.

Einschränkung der Wahlfreiheit

Diese Erfahrung hat auch Thomas Paszti, Betreiber der Jobplattformen medienjobs.ch und ictjobs.ch, gemacht: «Eine Mitarbeiterin des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich erkundigte sich telefonisch nach einer bestimmten Stellenanzeige und wollte wissen, ob diese im Auftrag des Kunden zustande gekommen sei und ob mit der ausschreibenden Firma ein Zusammenarbeitsvertrag bestehe.»

Auf Pasz
tis Rückfrage bestätigt der Anzeigekunde, dass er tatsächlich ungefragt Bewerberunterlagen zugeschickt bekommen habe. Diese hätte er aber unbesehen retourniert. Später sei er mit einer Personalvermittlungsgebühr konfrontiert worden, worauf ein Rechtsstreit ins Rollen gekommen sei. Dies, weil er einen jener Kandidaten eingestellt hat, dessen Bewerbungsunterlagen in den ungesichteten und ungefragt zugesandten Dossiers enthalten waren. Für Paszti kein Einzelfall. «In den letzten Jahren mussten wir Anzeigekunden gegenüber mehrfach den Beweis erbringen, dass sich Kandidaten über unsere Jobplattformen beim Kunden gemeldet hatten.»

Nicht immer nehmen solche Geschichten ein Happy End und es kommt zu einer Betreibung. «Es handelt sich um Einzelfälle», betont Corinne Platzer. Doch diese haben es in sich. So hätten einschlägig bekannte «schwarze Schafe» in der Vergangenheit etwa mit Bewerberdaten auf sich aufmerksam gemacht und behauptet, damit sei eine Rekrutierung erfolgt und eine Provision geschuldet. «In der Schweiz braucht man keine Beweise, um jemanden zu betreiben», erläutert Corinne Platzer.

Erfolge eine Betreibung missbräuchlich, müsse sich die betriebene Firma wehren, den Personalvermittler überzeugen, die Betreibung zurückzuziehen, oder Rechtsvorschlag erheben. Fruchte all das nichts, müsse gerichtlich festgestellt werden, ob eine Schuld vorliege oder nicht. «Das geht ins Geld.» Auch wenn die Prozesschancen für solche Personalvermittler aufgrund der fehlenden Beweise schlecht stehen. Nicht jedes Unternehmen habe «den Schnauf, bis zu zehntausend Franken und eigene Ressourcen zu investieren». Vor allem bei kleineren Provisionssummen lohne sich dieser Aufwand oft nicht, so Platzer.

Angst vor Rechtsstreitigkeiten

Um rechtliche Komplikationen zu vermeiden, berücksichtigen Firmen doppelte Bewerberdossiers oft nicht, weiss Thomas Paszti. «Personaler fühlen sich aus Angst vor Rechtsstreitigkeiten und hohen Vermittlungsprovisionen blockiert, eine dieser Personen einzustellen.» Sie lassen es dann lieber sein, sind aber in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt.

«Um sich vor ungefragt zugesandten Dossiers zu schützen, vermerken Unternehmen öfter, dass sie nicht mit Personalvermittlern zusammenarbeiten wollen», so Pasztis Beobachtung. Eine Massnahme, die gemäss Corinne Platzer allerdings nicht ausreicht, um Provisionsforderungen abzuwehren. Natürlich könne ein Unternehmen auch eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufnehmen, die besage, dass die Firma nicht mit Personalvermittlern zusammenarbeite. «Aber wer tut das schon?»

Qualität vor Quantität

Phänomene, die Sonia Soutter, Inhaberin des Personalberatungsunternehmens Werbekraft Nordost, nicht unbekannt sind und die sie bedauerlich findet. «Firmen sind sich zu wenig bewusst, dass sie sich damit den Zugang zum Kandidaten-Netzwerk professioneller Personalvermittler verwehren», sagt Soutter und bricht gleichzeitig eine Lanze für die Zusammenarbeit mit professionellen Personalberatern.

Wichtiger als eine Abwehrhaltung einzunehmen sei doch, sich mit dem Jobprofil inhaltlich auseinanderzusetzen, ein Inserat eindeutig zu formulieren und eine Rekrutierungsstrategie festzulegen, in der festgehalten werde, welche Rekrutierungskanäle in welcher Reihenfolge und zu welchem Zeitpunkt bespielt werden. Dabei gehe Qualität vor Quantität. Ein spezialisiertes Personalberatungsunternehmen könne mit seinen spezifischen Marktkenntnissen wertvolles Wissen vermitteln, die Belastung der Rekrutierungsverantwortlichen wesentlich reduzieren und Benchmarks zu anderen Unternehmen liefern.

Ein seriöses Personalvermittlungsunternehmen sei dann hilfreich, wenn es darum gehe, schwierige Profile verdeckt zu suchen. Etwa wenn ein Rekrutierungsprozess gescheitert sei oder kurzfristig Ersatz für einen Mitarbeiter beschafft werden müsse. Zudem sei ein zu lange andauernder Bewerbungsprozess für das Unternehmen imageschädigend.

Checkliste zum Umgang mit ungefragt zugestellten Dossiers

HR Today-Rechtsautor Philipp Meier Schleich gibt Empfehlungen zum Umgang mit unaufgefordert eingereichten Bewerbungsdossiers.

  • Retournieren und protestieren. Unterbreitet ein Personalvermittler ungefragt Bewerberdossiers, sollte man die Sendung umgehend zurücksenden oder gleich löschen. Zugleich sollte man dem Vermittler gegenüber schriftlich klarstellen, dass man sich unerbetene Angebote und Zusendungen verbitte, und diese Kommunikation auch in der internen Ablage festhalten.
  • «Wir arbeiten nicht mit Personalvermittlern»-Vermerk. Ein solcher Vermerk kann etwa in der Stellenausschreibung, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens oder auf dessen Homepage angebracht werden. Ob er die «schwarzen Schafe» beeindruckt, scheint aber zweifelhaft. Zumal der Vermerk letztlich nicht verhinden kann, dass ein Personalvermittler versucht, Dossiers einzusenden und gestützt auf einen angeblichen Mäklervertrag Ansprüche zu stellen.
  • Bewerbungskorrespondenz aufbewahren. Im Hinblick auf einen allfälligen Streitfall ist es wichtig, auch im Nachhinein aufzeigen zu können, wie und wann der Kontakt mit dem erfolgreichen Bewerber zustande kam. Es ist daher sicherzustellen, dass die entsprechenden Kommunikationen (wie etwa E-Mails, Briefe oder Telefonnotizen) aufbewahrt und verfügbar gehalten werden.
  • Keine unbegründeten Forderungen bezahlen. Im Normalfall würde ich davon abraten, eine unbegründete Geldforderung zu bezahlen, um «Ruhe zu haben». Nicht selten tritt nämlich das genaue Gegenteil ein, weil der Anspruchsteller ein zahlungswilliges Opfer ausgemacht hat. Vielmehr sollte man in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, dass man die Forderung zurückweist und sich nicht unter Druck setzen lässt.
  • Sich nicht durch Betreibung erpressen lassen. Auch das Androhen oder die Einleitung einer Betreibung sollte in der Regel kein Anlass sein, eine unbegründete Forderung zu bezahlen. Stört man sich am Eintrag im Betreibungsregister, gibt es durchaus rechtliche Handhabe, um sich zu wehren. Bei einem effizienten Vorgehen können die Kosten in einem vernünftigen Rahmen gehalten werden, und bei einem Gerichtsverfahren kann – im zu erwartenden Fall eines Obsiegens – eine Erstattung vom unseriösen Anspruchsteller verlangt werden. Oft genügt aber auch ein Anwaltsbrief, in dem der Anspruchsteller unter Hinweis auf die rechtlichen Konsequenzen aufgefordert wird, umgehend von der Geltendmachung seiner unbegründeten Forderung Abstand zu nehmen.

Ungefragt zugestellte Bewerberdossiers: Swissstaffing nimmt Stellung

Swissstaffing nimmt Stellung zur Thematik der ungefragt zugestellten Bewerberdossiers. Die Erfahrung des Verbands der Schweizer Personaldienstleister: Die meisten Personalvermittler verhalten sich in der Praxis korrekt. Zum Artikel

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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