HR Today Nr. 6/2018: Arbeit und Recht

Der Verweis auf Reglemente

Gemessen an der Praxisrelevanz geht es bei der Anbindung von Reglementen an den Einzelarbeitsvertrag um zwei Hauptaspekte: Wie wird das Reglement als verbindlich erklärt? Und wie weit kann sich die Arbeitgeberin ein jederzeitiges einseitiges Abänderungsrecht vorbehalten?

Ob Allgemeine Anstellungsbedingungen (AAB) oder Spezialreglemente wie Bonus-, Gleitzeit- oder Spesenreglemente, die sich an spezielle Arbeitnehmerkategorien adressieren: Reglemente können durch entsprechende Anbindungsklauseln gesamthaft in den Einzelarbeitsvertrag (EAV) übernommen werden.¹ Je nach Umständen und Umfang qualifizieren sich Reglemente dabei als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Dann droht das Risiko, dass unklare Reglementsbestimmungen zu Ungunsten der Verfasserin, also der Arbeitgeberin, ausgelegt werden (Unklarheitsprinzip).² Oder dass Reglementsklauseln nicht gelten, mit denen Arbeitnehmende nicht rechnen mussten (Ungewöhnlichkeitsregel).³

Ein Beispiel: Im Bundesgerichtsentscheid 4C.407/2004 vom 7.1.2005, Erw. 3.1 hielten es die höchsten Schweizer Richter dem Anschein nach nicht für überraschend beziehungsweise ungewöhnlich, wenn der Ausschluss der Überstundenentschädigung nicht im Einzelarbeitsvertrag selbst, sondern «nur» in den Allgemeinen Anstellungsbedingungen vorgesehen  wird. Das ist in der juristischen Literatur stark kritisiert worden. – Folgende Formulierung einer Anbindungsklausel trägt der Ungewöhnlichkeitsregel Rechnung:

«Das Reglement betreffend [Thema] vom [Datum] bildet vollumfänglich Bestandteil des vorliegenden Arbeitsvertrags. Mit seiner Vertragsunterschrift bestätigt der Arbeitnehmer, das Reglement rechtzeitig vor Vertragsschluss erhalten zu haben und es vollständig zu kennen. Namentlich, aber nicht ausschliesslich, bestätigt der Arbeitnehmer sein Einverständnis mit folgenden Klauseln des Reglements: Ziffer [Nummer] betreffend [Thema]. Widersprechen Klauseln des Reglements vorliegendem Einzelarbeitsvertrag, geht der Einzelarbeitsvertrag vor.»

Einseitige Änderung von Reglementen?

Mit dieser Klausel gilt nicht das jeweils aktuelle Reglement, sondern ein ganz bestimmtes als vereinbart («statische» Übernahme). Das Reglement ist zum zweiseitigen Vertrag geworden und kann nicht mehr einseitig geändert werden. Dieser Grundsatz wird in der gelebten Praxis allerdings durch formlose Vertragsänderungen (dort wo möglich) stark relativiert. So stimmen Mitarbeitende einem geänderten Arbeitszeitreglement durch faktische Befolgung vielleicht konkludent zu, also durch schlüssiges Handeln. Oder jemand akzeptiert eine Lohnsenkung möglicherweise stillschweigend, weil er nicht innert angemessener Frist protestierte. Im Übrigen können statisch übernommene Reglemente nur durch zweiseitigen Änderungsvertrag (Einverständniserklärung des Arbeitnehmers) oder durch Änderungskündigung durchgesetzt werden.

Weisungen

Arbeitgeberinnen können die Arbeitspflichten der Mitarbeitenden mit Weisungen konkretisieren. Die Schranken des Weisungsrechts definieren Art. 321d OR sowie dessen Auslegung durch die Gerichte. Klassische «Weisungsthemen» sind Privatnutzung von Internet und E-Mail oder Verhaltensvorgaben zur Vermeidung von Mobbing und sexueller Belästigung. «Echte» Weisungen lassen sich einseitig anordnen und 
abändern. Die in den Reglementen enthaltenen 
Weisungen aber, die zum Bestandteil des Einzelarbeitsvertrags wurden, sind bilateral abgemacht und können nicht mehr unilateral umgestaltet werden. Auch zu diesem Grundsatz lassen sich wie stets viele «Wenn und Aber» anführen.¹⁰ Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer missachtete Qualitätsstandards bei der Arbeit, wodurch ein Schaden entstand. Die Arbeitgeberin wollte den Arbeitnehmer daraufhin in Haftung nehmen.¹¹ Dieser machte geltend, die Arbeitgeberin hätte ihn kontrollieren und die Qualitätsstandards durchsetzen müssen. Denn das Reglement über die Qualitätsstandards sei im Einzelarbeitsvertrag zum Vertragsbestandteil erklärt worden. Das Bundesgericht wies den Arbeitnehmer mit diesem Einwand ab.¹² Scheinbar ganz nach der Devise, auf das Einfordern von Arbeitnehmerpflichten könne einseitig verzichtet werden, wie das beispielsweise auch bei der Freistellung der Fall ist. – Wer sich flexibel handhabbare Weisungen ausdrücklich vorbehalten will, kann vorstehend ausformulierte Anbindungsklausel wie folgt ergänzen:

«Die Arbeitgeberin darf das Reglement zu  Themen mit Weisungscharakter, und somit die Ziffern [Ziffer] betreffend [Thema mit Weisungscharakter] von Zeit zu Zeit nach sachlichen Kriterien einseitig abändern, ohne Einschränkung der Weitergeltung des Reglements.»

Grenzen einseitiger 
Abänderungsvorbehalte

Im Übrigen sind einseitige Abänderungsvorbehalte ein schwieriges Thema. Nichts anderes als ein umfassender einseitiger Abänderungsvorbehalt (wenn auch indirekt formuliert) ist die Wendung «jeweils gültig» in der berühmt-berüchtigten und sehr verbreiteten «dynamischen» Globalübernahmeklausel¹³, «das jeweils gültige Personalreglement bildet Bestandteil vorliegenden Arbeitsvertrags.» An sich sind einseitige Abänderungsvorbehalte nicht generell unzulässig: So hat das Bundesgericht einmal sehr allgemein formuliert, die Arbeitgeberin dürfe den Lohn des Arbeitnehmers nicht einseitig herabsetzen, «ohne dass dieser einverstanden ist oder eine Vertragsklausel dies erlaubt» (BGer 4A_608/2009 vom 25.2.2010, franz.¹⁴, Erw. 3.1).

Der Durchsetzbarkeit von umfassenden einseitigen Änderungsvorbehalten sind aber Grenzen gesetzt: Nach Konsumentenschutzrecht beispielsweise dürfen Allgemeine Geschäftsbedingungen kein erhebliches und ungerechtfertigtes Leistungsmissverhältnis zum Nachteil von Konsumenten vorsehen (Art. 8 UWG). Arbeitnehmer sind zwar keine Konsumenten.¹⁴ Das Prinzip des Schutzes der schwächeren Vertragspartei (also des Arbeitnehmers) spielt im Arbeitsrecht aber so oder so eine grosse Rolle. Zudem können sich Arbeitnehmer nicht «übermässig selbst binden.»¹⁶ Funktion, Arbeitszeit, Lohn, Ferien oder Kündigungsfristen kann man somit nicht rechtsverbindlich auf Gedeih und Verderb vollumfänglich der Willkür der Arbeitgeberin überlassen – nicht nur, weil die Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht von Rechts wegen stark eingeschränkt ist. Auch die Bestimmbarkeit vertraglicher Rechte und Pflichten (namentlich von Lohn und Arbeitszeit) ist ein im Arbeitsrecht vieladressiertes Thema.¹ Meiner Ansicht nach sollten angemessene und klar definierte Bandbreiten oder Spielräume zulässig sein,¹⁸ innerhalb derer die Arbeitgeberin nach sachlich gerechtfertigten Arbeitgeberinteressen den Vertrag einseitig gestalten darf. Ein Beispiel: «Die Arbeitgeberin kann die wöchentliche Arbeitszeit innerhalb einer Bandbreite von 41 bis 45 Wochenstunden nach Bedarf und bei rechtzeitiger Ankündigung einseitig festlegen.»¹

Unterzeichnung von separaten 
Reglementen

Man kann Reglemente (als Vertragsanhang) auch auf der letzten Seite handschriftlich datieren und vollunterzeichnen lassen, bei Visierung aller Seiten davor sowie bei Hervorhebung ungewöhnlicher Klauseln in Fettschrift. Fettschrift und Seitenvisierung verstehen sich dabei wiederum als Vorsichtsmassnahme mit Blick auf die Ungewöhnlichkeitsregel.²⁰ Es ergibt sich ein veritabler Zusatzvertrag zum Einzelarbeitsvertrag, eine Art «Side Letter», wie man es aus dem angelsächsischen Rechtsraum kennt. Darin liegt zugleich eine «Versicherung» gegen arbeitsrechtliche Schriftformvorbehalte.²¹ Ob eine solche «Versicherung» nötig ist, wird in der Arbeitsrechtsliteratur trotz eines Bundesgerichtsentscheids aus dem Jahr 2005 kontrovers diskutiert:²² Das Bundesgericht entschied damals, bei Anbindungsklauseln umfasse die Anerkennungsabsicht der Unterschrift im Einzelarbeitsvertrag auch die 
Allgemeinen Anstellungsbedingungen.²³

Gerichte sind immer für 
Überraschungen gut

Im Bundesgerichtsentscheid BGer 4A_149/2014 vom 18.8.2014 brachte eine Bank im Einzelarbeitsvertrag einer Führungskraft eine konkrete Beispielberechnung für den Bonus an, verwies für die Details des Bonuswesens aber auf ein separates Bonusreglement. Dieses sah ausdrücklich vor, der Bonus könne nach Ermessen der Arbeitgeberin gekürzt oder gestrichen werden (Freiwilligkeitsvorbehalt²). Als der Bonus nicht ausbezahlt wurde, klagte der Arbeitnehmer. Er machte geltend, das Reglement nie erhalten zu haben. Das Bundesgericht wies den Arbeitnehmer trotzdem ab. Es machte sinngemäss geltend, die Beispielberechnung im Einzelarbeitsvertrag sei «nach Wortlaut und Systematik» des Einzelarbeitsvertrags sowie «nach Treu und Glauben» eben nur ein Beispiel gewesen, und keine «vorbehaltlose» Zusicherung von variablem Lohn. Deswegen komme es gar nicht darauf an, ob dem Arbeitnehmer das Bonusreglement mit dem ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt zur Kenntnis gebracht worden sei oder nicht. Schliesslich sei «nur schwer nachvollziehbar», wieso der erfahrene Banker das Bonusreglement «nicht nachgefordert hat [...], wenn die Höhe des Bonus und dessen vorbehaltlose Zusicherung für ihn einen so entscheidenden Vertragsbestandteil gebildet haben.»

Rechtslage per Zeitpunkt der Publikation (Redaktionsschluss) sowie unter Voraussetzung der ausschliesslichen Anwendbarkeit des Obligationenrechts (OR) und des Arbeitsgesetzes (ArG), nebst speziell erwähnten weiteren Rechtsquellen. Eignung oder rechtliche Durchsetzbarkeit der präsentierten Vorgehensweisen im konkreten Einzelfall hängt zwingend von weitergehendem qualifiziertem Rechtsrat ab. Dies nicht nur, aber auch, weil der Umfang des vorliegenden Beitrags redaktionell eng 
limitiert und somit unvollständig ist.

Quellen:

  • ¹ 
Von der formlosen Übernahme von Reglementen ist hier nicht die Rede.
  • ² BGE 122 III 118.
  • ³ 
Eingeführt durch BGE 109 II 452, seither mehrfach 
bestätigt.
  • 
Gemeint sind Überstunden nach Art. 321c OR.
  • 
Statt vieler: RUDOLPH, Aktuelle Fragen zur Arbeitszeit, in: AJP 2012, S. 197 ff. S. 203.
  • 
Im Ergebnis gleich: BÖHRINGER, in: Schweizer Vertragshandbuch, 2017, S. 704, 706.
  • 
Vgl. STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Kommentar 
Arbeitsvertrag, 2012, ad OR 320, N. 4. am Anfang.
  • 
Vgl. BGer 4A_443/2010 vom 26.11.2010, Erw. 10.
  • 
Bei Änderungskündigungen sind die Kündigungsfristen zu beachten, und bei mehreren Betroffenen kann eine Massenkündigung mit den entsprechenden gesetzlichen Spezialvorgaben vorliegen.
  • ¹ 
Man vergleiche das illustrative Beispiel in: BGer 4A_575/2010 vom 8.2.2012.
  • ¹¹ 
Art. 321e OR.
  • ¹² 
BGer 4A_575/2010 vom 8.2.2012.
  • ¹³ 
Zum Unterschied zwischen Voll- und Globalübernahme vgl. OGer OW 9.9.2015 (OGVE 2014/2015 Nr. 4).
  • ¹ 
Publiziert in: ARV 2010, S. 94 ff.
  • ¹ 
Gleicher Ansicht: STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH 
(Fn. 7), ad OR 320, S. 133; anderer Ansicht: BÖHRINGER (Fn. 5), S. 706.
  • ¹ 
Hergeleitet aus Art. 27 ZGB.
  • ¹⁷
 Vgl. STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH (Fn. 7), ad OR 330b, N. 10 sowie ad OR 321, S. 168.
  • ¹ 
Vgl. BUFF, Vertragliche Anpassungsklauseln im 
Schweizerischen Recht, 2016, S. 140 ff.
  • ¹ 
BGer 4C_381/1996 vom 20.1.1997 (publiziert in ZGRG 2/97, S. 31 ff.), Regeste und Erw. 2 scheint eine 
vergleichbare vertragliche Regelung als zulässig zu 
erachten.
  • ² 
Vgl. BGer in Pra 87 (1998) Nr. 9.
  • ²¹ 
Der Schriftformvorbehalt für den Ausschluss des Überstundenlohns verlangt beispielsweise die eigenhändige Unterschrift des Arbeitnehmers (Art. 321c Abs. 3 OR i.V.m. Art. 12 bis 15 OR).
  • ²² 
Vgl. die übersichtliche Darstellung des Meinungsstreits bei STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH (Fn. 10), S. 133 f.
  • ²³ 
BGer 4C.407/2004 vom 7.1.2005, Erw. 3.1.
  • ² 
Sogenannte «echte Gratifikation», vgl. Art. 322d OR.
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Dr. Heinz Heller 
praktiziert als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht. Er berät überwiegend Arbeitgeber und Manager.

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