War for Experience
Alle reden vom Kampf um die besten jungen Köpfe. Je schmaler aber die nachwachsenden Generationen, desto wichtiger der Kampf um die besten Köpfe der älteren Generation. Lernen ist heute nicht mehr nur auf die Jugend beschränkt. Detlef Gürtler über die Zukunft der Arbeit zum 50-Jahre-Jubiläum von swissstaffing.
«Was vor zwei Jahrzehnten noch neuartig war, ist heute Rekrutierungs-Mainstream», sagt Detlef Gürtler, Senior Researcher, Gottlieb Duttweiler Institut. (Illustration: Bianca Litscher @swissstaffing)
Im Jahr 1998 führte Ed Michael von der Unternehmensberatung McKinsey den Begriff War for Talents in die Personalabteilungen ein. Schon damals forderte er von den Unternehmen, auch unkonventionelle Rekrutierungsansätze zu verfolgen, um die talentiertesten Mitarbeitenden zu bekommen.
Bezogen wurden – und werden – diese nicht-traditionellen Rekrutierungsansätze in erster Linie auf die Suche nach geeigneten Nachwuchskräften. Das ist einerseits logisch: Die neu ins Berufsleben einsteigenden Jahrgänge nehmen in der Schweiz und in den meisten anderen Industriestaaten anzahlmässig ab. Das sinkende Arbeitskräftepotenzial bedroht die Dynamik der gesamten Volkswirtschaft – und fordert die Kreativität der Unternehmen heraus, um weiterhin für junge Talente attraktiv zu sein.
Wachsende Lücke
Diese Sichtweise ist allerdings auch etwas einseitig. Alle Unternehmen, Institutionen und Behörden fischen im schrumpfenden Teich der jungen klugen Köpfe: Was vor zwei Jahrzehnten noch neuartig war, ist heute Rekrutierungs-Mainstream. Um die direkt danebenliegenden Reservoirs anderer – bislang wenig genutzter – Potenziale kümmert sich hingegen kaum jemand. Eines der wichtigsten und in jedem Fall das am stärksten wachsende Reservoir ist das der erfahrenen Arbeitskräfte.
Beim War for Talents ist bereits absehbar, dass ihn nicht alle gewinnen können: Der Nachwuchs reicht schon heute nicht mehr für alle Bedürfnisse der Unternehmen. Wenn die Lücke zwischen Talentangebot und Arbeitsnachfrage weiterwächst, werden die Auseinandersetzungen um die besten Köpfe in anderen Segmenten des Arbeitsmarkts ebenfalls zunehmen. Daraus kann sich gut und gerne ein War for Experience entwickeln – schliesslich sind Reife und Erfahrung zwei Qualitäten, die dem Nachwuchs schon definitionsgemäss abgehen.
In dieser Situation kann es sinnvoll sein, zumindest probeweise die Rekrutierungsansätze zu modifizieren – Talente kommen eben nicht nur direkt von den Universitäten.
Lernen, ohne es zu merken
Lernen ist nicht mehr auf einen Lebensabschnitt beschränkt, sondern findet in jedem Alter statt, wenn auch auf verschiedene Weise. Bei Erwachsenen besteht ein grosser Teil des Wissenszuwachses aus dem, was sie am Arbeitsplatz lernen – manchmal sogar, ohne es überhaupt zu merken.
Statistisch ist das lebenslange Lernen praktisch nicht vorhanden. Bei einer Untersuchung des deutschen Statistischen Bundesamts zur Zeitnutzung im Jahr 2012 ergab sich für die 10- bis 18-Jährigen immerhin ein durchschnittlicher Zeitaufwand von etwa 1400 Stunden im Jahr für Bildung und Lernen – vorwiegend für Schule und Hausaufgaben. Bei den 45- bis 65-Jährigen hingegen kamen pro Jahr im Schnitt nur etwa 24 Stunden zusammen – lediglich vier Minuten pro Tag!
Sobald die traditionelle Lernzeit an Schulen und Hochschulen vorbei ist, scheinen die Erwachsenen ausgelernt zu haben. Ein bisschen Weiterbildung am Arbeitsplatz, ein bisschen auf eigene Rechnung – und ein paar wenige, die sich noch spät zu einem Erst- oder Zweitstudium entschliessen – mehr verzeichnen die Statistiker nicht. In der vorangegangenen Erhebung sah das Bild kaum anders aus: Die durchschnittliche Bildungszeit je Bürger lag dort zwar etwas höher – aber vor allem, weil damals der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung noch höher war.
Nicht alles statistisch vermerkt
In der Realität ist das Lernen deutlich mehr verbreitet, als es statistisch den Anschein macht. Denn Wissensarbeitende akkumulieren in ihrer regulären Arbeitszeit neue Erkenntnisse und verwertbare Fähigkeiten. In den Berechnungen der Statistiker taucht das Lernen bei der Arbeit und durch die Arbeit nicht auf, denn sie messen nur jene Aktivitäten, die von den Befragten selbst als Bildungszeit eingestuft werden.
Ein grosser Teil der so erlangten Kenntnisse liegt als «implizites Wissen» vor: Der Betreffende weiss, wie etwas geht, ohne es beschreiben zu wollen oder zu können, und zum Teil ist er sich nicht einmal bewusst, gerade besondere Kenntnisse anzuwenden. Unternehmen wenden eine Vielzahl von Methoden an, um solches implizites in explizites Wissen zu verwandeln – in Form von Gebrauchsanweisungen oder durch Wissensdatenbanken, mit Konzepten wie Wissensmanagement oder Knowledge Engineering.
Die Erfolge halten sich in Grenzen: Auch in Zukunft wird ein grosser Teil dessen, was Menschen bei der Arbeit lernen, von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz mitgenommen.
Zukunft der Arbeit
Gemeinsam mit dem Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) in Rüschlikon ZH widmet sich swissstaffing in seinem Jubiläumsjahr mit den fünf Rubriken «Total Digital», «Forever Job», «Heute hier, morgen dort», «Im Schweisse deines Angesichts» und «Kollege Roboter» der Zukunft der Arbeit. Lesen Sie weitere futuristische und packende Beiträge auf: www.die-temporaerarbeit.ch/zukunft