Serie: Massnahmen gegen das Blaumachen

Die Gesundheitsprämie: rechtliche Qualifikation und Zulässigkeit

Absenzen verursachen Arbeitgebern Kosten. Mit Prämien an Arbeitnehmer, die keine oder nur wenige Absenztage aufweisen, wollen Arbeitgeber Kurzabsenzen eindämmen. Auf den ersten Blick eine findige Lösung. Doch der Teufel lauert im Detail.

Es ist eine beeindruckende Zahl: Insgesamt 198 Millionen Arbeitsstunden fielen die Arbeitnehmer im Jahr 2015 in der Schweiz wegen Krankheit oder Unfall aus¹ ². Das verursacht den grundsätzlich lohnfortzahlungspflichtigen Arbeitgebern einiges an Kosten – insbesondere bei Kurzabsenzen, für welche Kranken- und Unfalltaggeldversicherungen in aller Regel mangels Ablauf der üblichen Karenzfrist noch keine Leistungen erbringen.

Im Bestreben, Kurzabsenzen einzudämmen, haben findige Arbeitgeber die sogenannte Gesundheitsprämie eingeführt. Damit erhalten Arbeitnehmer, die während des Jahres keine oder nur wenige Absenztage aufweisen, eine Prämie. Die Zulässigkeit einer Gesundheitsprämie ist weder spezifisch geregelt noch höchstgerichtlich geklärt. Soweit ersichtlich haben sich bis anhin zwei kantonale Entscheide mit der Frage beschäftigt, wie weit krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Grundlage der Gewährung oder Nichtgewährung einer nicht ausdrücklich im Gesetz verankerten Leistung sein darf³. Auf den ersten Blick scheint die Gesundheitsprämie eine intelligente und kreative Idee, die überdies der Motivation der Arbeitnehmer nicht abträglich ist. Einer genaueren Betrachtung vermag die Lösung allerdings nur schwer standzuhalten – der Teufel lauert, wie so oft, im Detail.

Lohnbestandteil oder Gratifikation?

Das erste Fragezeichen entsteht bereits bei der rechtlichen Qualifikation einer solchen «Prämie». In Frage kommen Lohn im Sinne von Art. 322 OR oder aber Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR. Die Qualifikation ergibt sich aus der konkreten vertraglichen Regelung und ist entscheidend für die rechtliche Zulässigkeit der Gesundheitsprämie. Gemäss Art. 322d OR ist die Gratifikation eine Sonderzahlung, die aus bestimmtem Anlass neben dem Lohn ausgerichtet wird. Sie ist stets in einem gewissen Masse vom Willen des Arbeitgebers abhängig und wird damit ganz oder zumindest teilweise freiwillig ausgerichtet, was anzunehmen ist, wenn dem Arbeitgeber bei der Festsetzung der Höhe der Prämie oder bei der Ausrichtung ein Ermessen zusteht⁴.

Immerhin aber ist zu beachten, dass sich in der Rechtsprechung zum Bonus die Meinung entwickelt hat, dass eine unter objektiv bestimmbaren Bedingungen stehende Zahlung gar keine freiwillige Leistung (Gratifikation) sein könne, sondern stets als Lohn zu qualifizieren sei⁵. Wird also die Ausrichtung einer Prämie von der objektiv messbaren Bedingung, dass der Arbeitnehmer keine oder nur wenige Ausfälle aufzuweisen hat, abhängig gemacht, so würde es sich danach bei der Prämie um einen Lohnbestandteil handeln. Dies hätte zur Folge, dass die dem einzelnen Arbeitnehmer individuell versprochene Gesundheitsprämie stets «Lohn» und die verweigerte Ausrichtung bei Arbeitsunfähigkeit mithin unzulässig ist – darauf kommen wir sogleich zurück. Diese Ansicht ist in dieser Absolutheit zwar abzulehnen, führt aber dazu, dass der vorsichtige Arbeitgeber in die vertragliche Regelung eine Form von Ermessen einfliessen lassen muss, um die Qualifikation als Lohn zu vermeiden. Wichtig dabei ist, dass die blosse Bezeichnung des Entgelts als «Lohn» oder «Gratifikation» durch die Parteien für die Qualifikation nicht massgebend ist.

Rechtliche Zulässigkeit

Ist ein Arbeitnehmer krank, so hat der Arbeitgeber nach Art. 324a OR – ausser es läge eine sogenannt «gleichwertige» Versicherungslösung vor – den Lohn während einer bestimmten Zeitdauer weiter zu bezahlen. Diese Bestimmung ist zwingend. Daher verbietet es sich unseres Erachtens, eine Lohnzahlung von der Bedingung abhängig zu machen, dass der Arbeitnehmer keine oder nur wenige gesundheitsbedingte Ausfälle aufzuweisen hat. Das bedeutet: Eine allfällige Gesundheitsprämie muss als Gratifikation ausgestaltet werden. Das gilt es nach dem bereits Gesagten bei der Formulierung der entsprechenden Vertrags- oder Reglementsbestimmung zu berücksichtigen. Immerhin: In der arbeitsrechtlichen Literatur wird teilweise vertreten, dass der zwingende Charakter von Art. 324a OR nicht nur die Einschränkung bei der Lohn(fort)zahlung verbietet, sondern auch diejenige bei Gratifikationen⁶. Dieser Ansicht kann unseres Erachtens nicht gefolgt werden, sodass die Ausrichtung der Gesundheitsprämie als Gratifikation zulässig ist.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Einführung einer Gesundheitsprämie in der Form der Gratifikation rechtlich zulässig wäre, als Lohnbestandteil hingegen nicht. Daher ist bei der vertraglichen Umsetzung der Gesundheitsprämie zu beachten, dass dem Arbeitgeber eine Form von Ermessen vorbehalten wird, damit rechtlich überhaupt von einer Gratifikation ausgegangen werden kann.

Serie: Massnahmen gegen das Blaumachen

Mit Prämien an Arbeitnehmer, die keine oder nur wenige Absenztage aufweisen, wollen Arbeitgeber Kurzabsenzen eindämmen. Eine findige Lösung? Unsere dreiteilige Serie «Massnahmen gegen das Blaumachen» zeigt ihre Tücken auf, prüft die Praxistauglichkeit von Gesundheitsprämien und zeigt Alternativen sowie sinnvolle Kombinationslösungen mit ihren Vor- und Nachteilen auf. Teil 2 und 3 erscheinen am 10. bzw. am 17. Februar 2017 auf hrtoday.ch.

Quellen:

  • ¹ Arbeitnehmer steht für Arbeitnehmer/-innen, Arbeitgeber für Arbeitgeber/-innen.
  • ² Vgl. die Arbeitsvolumenstatistik, abrufbar unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit -erwerb/erwerbstaetigkeit-arbeitszeit/arbeitszeit/absenzen.assetdetail.334922.html (zuletzt besucht am 25. November 2016).
  • ³ Vgl. Gerichtskreis VIII Bern-Laupen, Urteil vom 11. Juni 2001, JAR 2002, S. 219 ff.; Tribunal cantonal de l’Etat de Fribourg, Urteil vom 11. November 2002, E. 3, JAR 2003, S. 235 ff.
  • ⁴ BGE 139 III 155 E. 3.1; BGE 131 III 615 E. 5.2; BGE 129 III 276 E. 2.
  • ⁵ Vgl. die zitierten Entscheide in STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2012, Art. 322d N 6 und N 9, anders aber mit Hinweis auf GEISER in Art. 322d N 2 und N 6.
  • ⁶ Siehe STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 322d N 7 und N 15.
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Tanja Knezevic ist Rechtsanwältin bei RKR Rechtsanwälte in Zürich und spezialisiert auf Fragestellungen des Vertrags-, insbesondere des Arbeitsrechts sowie des Ehe- und Scheidungsrechts. www.rkr-legal.ch

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Dr. Marco Kamber, Rechtsanwalt, ist Partner der Kanzlei RKR Rechtsanwälte in Zürich. Er berät und vertritt insbesondere Arbeitgeber in arbeitsrechtlichen Belangen und Streitigkeiten vor Gericht und Behörden. www.rkr-legal.ch

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