Gesucht: Chief Digital Officer
Die Digitalisierung bringt neue Berufsbilder hervor, so auch den «Chief Digital Officer». Aber was muss so ein «CDO» eigentlich können? Und wo sind solche Profile überhaupt zu finden? Das traditionsreiche Schweizer Schuhhandel-Unternehmen Karl Vögele AG hat sich genau diese Fragen gestellt und ermöglicht nun einen exklusiven Einblick in die Suche, die mit einer tiefgreifenden Transformation verbunden ist.
Es ist eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Nur: In welchem Heuhaufen? (Bild: iStockphoto)
Seit langem hat sich das Führungsgremium der Karl Vögele AG nicht nur damit auseinandergesetzt, wie man als Schweizer Traditionsunternehmen «puren» Online-Playern wie Zalando oder Amazon Paroli bieten kann, sondern sich generell tiefgreifende Fragen gestellt: «Wie werden wir in Zukunft Schuhe verkaufen, um unser Kerngeschäft weiterzuführen? Wie kommt, steht und bleibt der Kunde zukünftig mit uns in Kontakt? Welche Leistung und welchen Mehrwert bieten wir ihm zukünftig an?»
Am Hauptsitz in Uznach war schon länger spürbar, dass man der grenzüberschreitenden Online-Konkurrenz (die ihre Wertschöpfung weitgehend im Ausland erbringt) sowie der digitalen Transformation nicht genügend schnell begegnen kann, um überlebensfähig zu bleiben.
Die Welt hat sich verändert, die Digitalisierung hat die Karl Vögele AG auf der Überholspur eingeholt und die Erkenntnis genährt, dass man nur überlebt, wenn man sich den Herausforderungen stellt und auf folgende Fragen eine Antwort findet: «Wie kombinieren wir die heute und zukünftig verfügbaren Geschäftsmöglichkeiten clever? Und zwar so, dass sich ein nachhaltiger Mehrwert nicht nur für den Kunden, sondern auch für das Unternehmen ergibt? Was ist unser ‹Ökosystem› und wie partizipieren alle Beteiligten daran?»
Image «Die digitale Transformation wird zu einem Drittel von Veränderungen in Kultur, Denkweise und Zusammenarbeit geprägt, zu einem anderen Drittel von einer fokussierteren Kundenausrichtung und nur zu einem weiteren Drittel geht es um neue Prozesse, Systeme und Organisationsformen.»
Der neue CDO bei der Karl Vögele AG (Name beim Redaktionsschluss offiziell noch nicht bekannt)
«Disruptiver Ambassador» gesucht
Der Bereitschaft, sich dem Wandel zu stellen, lag ein starker Entscheid des Verwaltungsrats zu Grunde: «Wir glauben an den Schuhhandel und investieren in die Zukunft!» Mit Adrian Grossholz wurde im April 2015 ein Schuhhandelsprofi als neuer CEO ins Boot geholt und mit der Aufgabe betraut, dem bevorstehenden Wandel mit einer neu ausgerichteten Unternehmensstrategie zu begegnen. In enger Abstimmung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung wurde danach schrittweise das Bedürfnis hergeleitet, eine starke Figur als Chief Digital Officer (CDO) einzusetzen. Dies mit dem Bekenntnis zu einer Omnichannel-Strategie, die einerseits den stationären Handel, andererseits auch den Online-Handel stärken soll. Dafür sollte eine Digitalstrategie entwickelt werden, die beide Kanäle umfassend und integral vernetzt.
Ein CDO musste also her – jemand, der einen Einblick in die nächste «Geländekammer» ermöglicht und das Unternehmen für das Tempo, mit dem die Digitalisierung Einzug hält, fit machen kann. Zudem sollte er als Ambassador unterwegs sein, intern für die nötige Akzeptanz der Transformation sorgen und damit bestehende Ängste bei den Mitarbeitenden abbauen. Aber was «erträgt» eine so traditionsreiche Organisation wie die Karl Vögele AG und wie kann es gelingen, ein konstruktives Bewusstsein zu schaffen, dass der CDO disruptiv Einfluss auf alle Abteilungen haben muss?
Image «Der Lernprozess, den wir bei dieser Suche durchlaufen haben, ist immens. Namentlich bei der Konsolidierung der unterschiedlichen Ansprüche, ohne zu wissen, wo diese Kompetenzen wirklich zu finden sind.»
Adrian Grossholz, Chief Executive Officer, Karl Vögele AG
Rollende Schärfung des Profils
Rasch war klar, dass diese digitalen Kompetenzen in den eigenen Reihen nicht vorhanden waren. HR-Chef Max Bertschinger erkannte früh, dass es für dieses Projekt die Kompetenzen eines externen Partners bedurfte. Die Wahl der Karl Vögele AG fiel auf das Beratungsunternehmen Swissolution Retail & Trade, wobei man sich bei der Suche nach dem idealen CDO-Profil für einen «Inhouse-Recruiting-Ansatz» entschied. Der zugezogene Berater sollte also wie eine interne Recruiting-Abteilung handeln und auftreten, um den Entscheidungsträgern volle Markttransparenz bieten zu können.
Folgende Fragen standen dabei anfangs im Vordergrund: Welches sind Industrien, die bereits fortgeschrittene Erfahrung in der digitalen Transformation haben? Wie organisieren sich Top-Unternehmen beim Thema der Digitalisierung? Wie und wo ist der CDO betreffend Kompetenzen in der Organisation angesiedelt? Und nicht zuletzt: Welche Profile bringen CDOs heute überhaupt mit? «Es war für uns wichtig, dem Kunden globale Markteinblicke zu diesen Fragen zu verschaffen, um das Kompetenzprofil entsprechend zu schärfen», erklärt der bei Swissolution involvierte Managing Partner und Geschäftsführer Retail, Thomas Muhmenthaler.
Das im Suchprozess erarbeitete und mit dem Verwaltungsrat sowie der Geschäftsleitung abgestimmte Profil des CDO wurde rollend geschärft und so auf die Rahmenbedingungen der Karl Vögele AG abgestimmt. «Der Kunde hat viel Mut und Offenheit für diesen Beratungsansatz gezeigt. Zum einheitlichen Verständnis beigetragen haben intensive Gesprächsrunden, die zur Longlist geführt haben», erläutert Thomas Suter, Senior Partner bei Swissolution.
Image «Am Ende gab es einen Konsens, mit dem neuen CDO jemanden ins Unternehmen zu holen, der disruptive Kulturwandelerfahrungen sowie eine ‹Trial&Error-Mentalität› mitbringt.»
Max Bertschinger, Leiter Finanzen / HR / Logistik, Karl Vögele AG
Käseglocken-Effekt
Eine Geschäftsleitung neigt erfahrungsgemäss tendenziell dazu, das Bestehende zu bewahren, weil daraus die heutigen Profite erwirtschaftet werden. Infolge der digitalen Transformation verändert sich das Kundenverhalten allerdings fundamental: Die bestehenden Rezepte werden unwirksam. Deshalb wird die Frage umso entscheidender, was bewahrt und was neu aufgebaut werden soll. Diese Entscheidungskompetenz erfordert eine entsprechend agile Geschäftsleitung. Nicht nur hinsichtlich einer längerfristigen Strategie, sondern auch bezüglich wichtiger operativer Entscheidungen. Denn diese beeinflussen die Unternehmensentwicklung ganz wesentlich, weil aufgrund der permanenten Änderung des Umfelds eine zusätzliche Strategieplanung rollend und in deutlich kürzeren Abständen erfolgen muss.
«Digital bringt den Käseglocken-Effekt mit sich», sagt CEO Adrian Grossholz. Denn ein auf Digitalisierung basierendes Geschäftsmodell schaffe volle Transparenz und habe Einfluss auf alles. Nicht nur in Bezug auf die Verschiebung von Budgets und Denkhaltungen – auch Verantwortungsbereiche müssen neu beleuchtet werden: Wo soll die Position des CDO angesiedelt werden? Als Stabsstelle oder an der Seite des CEO? Welche Einheiten führt der CDO? Welches Profil wird überhaupt genau gesucht – eher ein Marketingleiter mit Know-how im E-Commerce oder ein frontorientierter CIO? – Die Antwort lautete: «Weder, noch.»
Der Verwaltungsrat fällte zusammen mit der Geschäftsleitung den strategischen Entscheid, die Position in der GL anzusiedeln und die Abteilungen Marketing, E-Commerce und IT dem CDO zu unterstellen. Ein Entscheid für ein starkes, frontorientiertes Commercial-Führungs-Gremium mit entscheidender Durchschlagskraft.
Damit war auch klar, dass die drei Abteilungsleiter einen neuen Vorgesetzten bekommen und nicht mehr direkt an den CEO berichten würden. Eine erste einschneidende Massnahme für die betroffenen Teams.
Somit wurde die bereits vor zwei Jahren initiierte Transformation konsequent weitergeführt. Dass die digitale Transformation bei der Karl Vögele AG nicht ohne Reibungen über die Bühne gehen wird, liegt in der Natur der Sache: Neben dem bereits erwähnten Phänomen des Bewahrens verstehen von der digitalen Transformation betroffene Mitarbeiter oft nicht, was von ihnen jetzt tatsächlich neu erwartet wird.
Dieser Effekt ist im Detailhandel im Vergleich zu anderen Branchen überdurchschnittlich oft zu beobachten, weil unzählige eingespielte Prozesse und Handlungsanweisungen durch alle Hierarchie-Ebenen hindurch plötzlich nicht mehr gelten. Anspruchsvolle operative Prozesse und Regelwerke, mit denen bisher hunderttausende von Artikeln gehandhabt wurden, verlieren auf einen Schlag ihre Gültigkeit.
Zusätzlich steigt die Komplexität, wenn sich IT-Fachleute in den Handel einmischen und neue Regeln mitbestimmen. Ein bestehendes Top-Management muss sich bewusst darauf einlassen wollen und sich selbst auch in Frage stellen können.
Image «Es war für uns wichtig, dem Kunden globale Markteinblicke zu diesen Fragen zu verschaffen, um das Kompetenzprofil entsprechend zu schärfen.»
Thomas Muhmenthaler, Geschäftsführer Retail, Swissolution
Ominöse Nadel im Heuhaufen
Klassischerweise wird im Schuhhandel «en Schuenige» in eine Führungsposition rekrutiert. Dies mit dem Argument, dass die Schuhbranche ureigenen Gesetzen folge. Im Fall der CDO-Suche bei der Karl Vögele AG argumentierte die Gegenseite umgekehrt: «Ein Online-Profi muss es sein, denn die Zukunft spielt sich online ab. Wir müssen ausbrechen aus dem Hamsterrad!»
Darauf folgte flugs die Ernüchterung, nach dem Motto: «Digital ist zwar super, aber bitte ohne Change, denn die Besitzstandswahrung in der GL geht vor!» Darauf wiederum folgte die Erkenntnis, dass ein solches «Go Digital» gelernt werden muss – zumal alte Muster aufgebrochen werden: «Ein derartiges Projekt muss der Berater feinfühlig begleiten und mir als Kunden dabei auch den Raum geben, Richtungsänderungen vorzunehmen», reflektiert CEO Adrian Grossholz. «Der Lernprozess, den wir bei dieser Suche durchlaufen haben, ist immens. Namentlich bei der Konsolidierung der unterschiedlichen Ansichten, ohne zu wissen, wo diese Kompetenzen wirklich zu finden sind. Es war ein wenig, wie die berühmte Nadel im Heuhaufen zu suchen – nur stellte sich bereits zu Beginn die Frage, in welchem Heuhaufen zu suchen ist.» Gleichzeitig waren Kenntnisse über den sogenannten ROPO-Effekt (Research Online / Purchase Offline; das heisst, der Kunde informiert sich online und kauft im Geschäft oder er informiert sich im Geschäft und kauft online) bei der Karl Vögele AG nur einseitig aus Sicht «online kaufen» vorhanden. Ebenso wurde im Evaluationsprozess erkannt, dass Kandidaten auf Stufe CIO in der Regel zu weit weg von den Markt- und Kundenbedürfnissen entfernt sind und in ihren aktuellen Positionen oft nicht die «Business Driver»-Qualitäten haben, um eine Vision zu entfachen, sondern sich eher in der technologischen Begleitung zu Hause fühlen.
Das Führungsgremium bestehend aus VR und GL hat durch diese Markteinsichten und durch das Kennenlernen von professionellen CDO-Profilen (mit Erfahrung in der digitalen Transformation aus anderen Branchen und Unternehmen) ein gemeinsames Verständnis entwickelt, was die digitale Transformation für die Karl Vögele AG bedeuten könnte. «Am Ende gab es einen Konsens und ein Bekenntnis dazu, mit dem neuen CDO jemanden ins Unternehmen zu holen, der disruptive Kulturwandelerfahrungen sowie eine ‹Trial&Error-Mentalität› mitbringen sollte. Ein Ja zu einer Unternehmerpersönlichkeit mit ‹Standing› und Seniorität, der als Beeinflusser das Kundenbedürfnis ins Zentrum seiner Gedanken stellt», erklärt HR-Chef Max Bertschinger.
Erfolgsfaktoren
Die Ansiedlung der neuen CDO-Position in der GL mit der Übertragung der Verantwortung für die Abteilungen Marketing, E-Commerce und IT, verbunden mit einer enormen Budget-Allokation zugunsten des CDO sowie die bereits erfolgreich ausgelösten Change-Aktivitäten, haben offenbar glaubwürdig dabei geholfen, dass die Position von den Zielpersonen als attraktive Opportunität mit entsprechender Durchschlagskraft wahrgenommen wurde.
«Die Kompetenz in der Kandidatenansprache hat dazu beigetragen, dass die im Business eingespannten Zielpersonen aufhorchten und sich mit unserem Unternehmen auseinandergesetzt haben», erklärt CEO Adrian Grossholz. «Ich hatte natürlich bereits ein Bild von ‹meinem› zukünftigen GL-Kollegen und Sparringpartner – aber erst eine Einschätzung der Persönlichkeit und die saubere Herleitung haben mir geholfen, mein Bild zu schärfen und zu erkennen, in welchem Umfeld die aussichtsreichen Kandidaten heute tätig sind», so Grossholz weiter. «Es war uns wichtig, dass die Kandidatinnen und Kandidaten konkrete Business Cases vorstellen. Nur dies ermöglichte dem VR und der GL sich mit dem bevorstehenden Kulturwandel auf adäquater Stufe auseinanderzusetzen und gleichzeitig zu prüfen, ob auch gegenseitig die richtige ‹Chemie› für das anspruchsvolle Vorhaben vorhanden war. Die Neuausrichtung soll ja der Wirklichkeit entsprechen und kein Lippenbekenntnis sein. Dabei haben wir für uns herausgefunden, dass unser neuer CDO nicht von einem ‹puren› Online-Player kommen kann, weil ihm die für uns zentrale Omnichannel-Perspektive fehlen würde und damit einhergehend das Verständnis für den standortgebundenen Handel. Notabene unser aktuelles Kerngeschäft», fasst CEO Adrian Grossholz die Erkenntnisse aus dem intensiven Suchprozess zusammen.
Sparringpartner auf Augenhöhe
Die Suche nach dem CDO konnte per Mitte 2017 erfolgreich abgeschlossen werden. Allerdings war bei Redaktionsschluss der Name noch nicht offiziell in Erfahrung zu bringen. Ein erstes Statement konnte dem künftigen CDO der Karl Vögele AG allerdings bereits entlockt werden: «Die digitale Transformation wird zu einem Drittel von Veränderungen in Kultur, Denkweise und Zusammenarbeit geprägt, zu einem anderen Drittel von einer fokussierteren Kundenausrichtung und nur zu einem weiteren Drittel geht es tatsächlich um neue Prozesse, Systeme und Organisationsformen. Die digitale Transformation verändert also das Geschäftsmodell als Ganzes. Umso wichtiger ist es, dass dieses neue Geschäftsmodell von der Geschäftsleitung als Team erarbeitet und umgesetzt wird. Dazu ist ein Sparringpartner auf gleicher Augenhöhe nötig, der die veränderte Sichtweise der digitalen Transformation mit einbringt.»
Fazit
Für Berater Thomas Muhmenthaler war erfolgsentscheidend, «dass wir den Filter ganz weit öffneten und mit vielen Zielpersonen Gespräche führten». Die nicht alltägliche Rekrutierungsstrategie und der massgeschneiderte Inhouse-Recruiting-Ansatz hätten sich von Beginn weg an den heutigen und zukünftigen Geschäftsanforderungen orientiert und somit für alle Beteiligten schlüssig gewirkt. «Suchen im Umfeld von neuen Berufsbildern verlangt Insider-Wissen über aktuelle Marktgegebenheiten und darüber, wo welche Kompetenzen zu finden sind. Dank klarer Kundenorientierung und transparenter Begleitung schafft der Berater einen echten Mehrwert», bilanziert Thomas Muhmenthaler. Ohne dabei vorzeitig in Euphorie auszubrechen: «Die Begleitung des CDO während des Onboardings wird ebenso zentral sein.» Die involvierten Stakeholder würden sich jedenfalls auf die Zusammenarbeit freuen, versichert CEO Adrian Grossholz. Es bleibt spannend, den Case der Karl Vögele AG weiterzuverfolgen. Dass CEO Adrian Grossholz bereits mehrfach über die Retail-Branche hinaus als Speaker angefragt wurde, um über die Omnichannel-Herausforderungen zu referieren, denen er sich mit seinem Team stellt, zeugt jedenfalls von grossem Interesse.
Karl Vögele AG
Die Karl Vögele AG ist ein traditionsreiches Schweizer Familienunternehmen mit Hauptsitz in Uznach am Zürichsee. 1922 aus einer Schuhmacherei entstanden, befindet sie sich in dritter Generation in Familienbesitz. Heute ist das Unternehmen mit knapp 200 Filialen in der Schweiz vertreten, beschäftigt aktuell über 1700 Mitarbeitende und befindet sich momentan in einem tiefgreifenden Transformationsprozess.