HR-Software: Clash der Kulturen
Viele HR-Verantwortliche beschäftigen sich derzeit mit der Automatisierung ihrer Prozesse oder mit der Ablösung veralteter Softwaresysteme. Ein Prozess mit vielen Fallstricken. Gerade wenn die grossen internationalen Anbieter mit ihren mächtigen Software-Suiten auf die Schweizer Kultur treffen.
Viele HR-Verantwortliche entscheiden sich dafür, eine der mächtigen Software-Suiten ins Haus zu holen. Das kann auch Schwierigkeiten mit sich bringen. (Bild: 123RF)
Erfolgreiche Mitarbeitergewinnung erfordert Qualitäten in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist man gefordert, Menschen und ihre Fähigkeiten herauszuspüren, und zum anderen geht es darum, alle operativen und administrativen Tasks im Griff zu haben. Letzteres schreit förmlich nach Computerunterstützung. Dementsprechend haben vor einigen Jahren schon zahlreiche kleine und mittlere Software-Hersteller im deutschsprachigen Raum Lösungen für die Effizienzsteigerung in den Rekrutierungsprozessen entwickelt. Heute steht weniger die Effizienzsteigerung im Zentrum. Vielmehr konzentrieren sich die Technologieunternehmen darauf, alle möglichen Daten über uns Menschen zu sammeln und nutzbar zu machen. Big Data eben. Damit solche Werkzeuge mit ihren hochkomplexen Algorithmen funktionieren, muss kräftig investiert werden. Da bleiben die «Kleinen» auf der Strecke. Entsprechend ist zurzeit eine grosse Umwälzung festzustellen. Viele HR-Verantwortliche entscheiden sich nämlich dafür, eine der mächtigen Software-Suiten ins Haus zu holen. Das kann allerdings ein sehr steiniger Weg werden.
Aktuelle HR-Digitalisierungstrends
Wir lesen es und spüren es: Die Digitalisierung findet statt. In vielen Unternehmen steht die HR-Abteilung gleichzeitig unter erheblichem Kostendruck. Um effizienter zu werden, übernimmt der Computer immer mehr Aufgaben. Manchmal werden die Aufgaben aber auch einfach in die Linie oder zu den Mitarbeitern verlagert. «Employee Self Service» lautet hier das Schlagwort. Im Klartext: Vorgesetzte und Mitarbeitende erhalten selber Zugriff auf die Stammdaten-führenden Systeme und können so gewisse administrative Mutationen selber tätigen.
Wie eingangs erwähnt, geht es bei der Digitalisierung aber nicht nur darum, administrative Abläufe zu automatisieren. Der strategische Fokus liegt heute vielmehr auf dem Mitarbeiterprofil, respektive auf den Fähigkeiten der Mitarbeiter. Verfügt ein Unternehmen über eine solche Sammlung an elektronischen Mitarbeiter-Profilen, eröffnen sich ganz neue Chancen. Das interne «Matching» von Jobs und Mitarbeitern wird vereinfacht und die bereichsübergreifende Mobilität gefördert. Die Personalplanung kann so auf strategischer Ebene viel zielgerichteter vorangetrieben werden.
Schweizer Eigenheiten in der Rekrutierung
Entscheidet sich ein HR-Manager für den Einsatz einer integrierten Software-Suite, deren Entwicklungsursprung nicht die Schweiz ist (was in der Regel der Fall ist), muss er darauf achten, dass die helvetischen Anforderungen durch die Software angemessen abgedeckt werden. Gerade im Vergleich zum angelsächsischen Raum sind dabei unterschiedliche Kulturmerkmale festzustellen. Der erste Unterschied hat mit der Art und Weise zu tun, wie eine Stelle kommuniziert wird. Während im englischsprachigen Raum sehr textlastig ausgeschrieben wird und der Employer Brand kaum aktiv in Erscheinung tritt, sind in der Schweiz die visuell aufwändig und interaktiv gestalteten Inserate schon weit verbreitet. Eine positive «Candidate Experience» steht bei uns also hoch im Kurs.
Weniger zielführend erscheint es andererseits, einem Bewerber ein persönliches Cockpit zur Verfügung zu stellen, in dem er all seine Bewerbungen überblicken kann. Denn in der Schweiz wird es nach wie vor geschätzt, wenn sich ein Stelleninteressierter genau für eine, vielleicht auch für zwei Opportunitäten in einem Unternehmen bemüht.
Eine weitere Unterscheidung im Bewerbungsprozess liegt schliesslich im Bereich der «Job Offer». Der Bewerber, der bei uns das Rennen macht, erhält in der Regel direkt den Arbeitsvertrag. Eine vorausgehende schriftliche Zusage für einen solchen ist in der Schweiz nicht Usus. Es lohnt sich also, im Evaluationsprozess der zukünftigen HR-Softwarelösung auf genau diese Schweizer Eigenheiten zu achten.
Kritische Erfolgsfaktoren
Typisch Schweiz: Wir pflegen eine pragmatische Führungskultur, schätzen flache Hierarchien und sind dauernd angehalten, uns zu verbessern. Und was in der Informatik schon lange zum Alltag gehört, verbreitet sich langsam auch in anderen Unternehmensbereichen: die agilen Prozesse, in denen der Performance-Dialog, respektive der Feedback-Austausch längst nicht mehr nur zwischen Mitarbeitenden und ihren Vorgesetzten stattfindet. Auch wenn es weiterhin essenziell ist, zielorientiert zu agieren, haben viele unter uns die Grenzen des klassischen MbO-Prozesses erlebt. Nach dem Motto «Feedback is always» verliert der fixe Führungskalender weitgehend an Bedeutung und neue Methoden, wie beispielsweise OKR (Objectives and Key Results), halten Einzug. Auch wird in diesem Zusammenhang immer häufiger der Begriff «Continuous Performance Management» verwendet. Kann dies die neue Software leisten? Und sind die Funktionen so umgesetzt, dass sie auch hohen Usability-Anforderungen gerecht werden? Da in diesem Bereich voraussichtlich jeder Mitarbeiter mit der Software in Berührung kommt, ist es ratsam, ein grosses Augenmerk auf die Ziellösung zu richten, bevor mit dem designierten Software-Partner ein Vertrag abgeschlossen wird.
Chancen digitaler Mitarbeiterprofile
Ob es für unsere Gesellschaft gut und zielführend ist, dass dauernd Daten über uns gesammelt werden, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Aber es ist eine Realität und die Softwaresysteme werden immer besser darin, das Profil von Menschen – in unserem Fall Mitarbeiter – für verschiedene Anwendungsfälle nutzbar zu machen.
Einige Beispiele hierzu:
Treffpunkt von Mensch und Job:
Tinder, ein System für die Partnervermittlung, macht es vor. Mit jedem «Daumen hoch» oder «Daumen runter» lernt das System und verbessert seine Fähigkeiten, «Angebote» mit einem hohen Matching-Faktor für einen Kandidaten auszusuchen. Genau solche Systeme, in denen Jobangebote auf Menschen treffen, sind in nicht allzu ferner Zukunft zu erwarten.
Referral Recruiting:
Heute schon von Bedeutung sind solche Matching-Funktionalitäten im Bereich «Mitarbeiter werben Mitarbeiter». Ganz gezielt können Kandidaten aus dem Netzwerk der Mitarbeitenden ausfindig gemacht und dazu aufgefordert werden, für eine Opportunität im eigenen Unternehmen zu werben.
Strategische Personalplanung:
Welche Skills von den Mitarbeitenden, die marktbedingt in ihrer angestammten Aufgabe zukünftig nicht mehr nachgefragt werden, sind in anderen Unternehmensbereichen von Bedeutung? Welche Defizite müssen durch Entwicklungsmassnahmen korrigiert werden?
Komplexe Haken
Um es vorweg zu nehmen: Die Entwicklung von Matching-Algorithmen, die auch wirklich funktionieren, ist hochgradig komplex. Darum haben eben die grossen und finanzstarken Software-Häuser hier ihre Vorteile. Als Alternative kann natürlich auch eine Lösung angestrebt werden, in der die Mitarbeitenden ihre Skills selber, auf Basis einer normierten Sprache, in ein System einpflegen. Wie bereits in zahlreichen Projekten schmerzlich erfahren, hat auch dieses System einen Haken: Die Mitarbeitenden empfinden die Aufgabe, ihre Skills zu pflegen, nicht als sehr lustvoll und tun es deshalb nur sehr unregelmässig. Abhilfe kann hier die sogenannte CV-Parsing-Technologie bieten, die unstrukturierte CVs (Word- oder PDF-Dateien) in entsprechende Skills transformiert. Aber eben, trivial ist auch diese technische Aufgabe nicht.
Cloud-Technik und Datenschutz
Aus Kostensicht ist die Cloud-Technologie schon eine durchaus gute Sache. Der Projektleiter muss sich nicht um Hardware-Installationen kümmern und ganz automatisch profitiert man von neuen Software-Funktionen, die vom Software-Partner produktiv gestellt werden. Und wenn die Last steigt, hat der Partner in der Regel auch die Möglichkeiten in der Hand, sehr rasch mehr Leistung zur Verfügung zu stellen.
Andererseits ist da auch die Frage nach dem Datenschutz. Und damit einhergehend die Frage, in welchem Land die Daten abgespeichert werden. So viel sei an dieser Stelle vorweggenommen: Technisch und juristisch gesehen spricht nichts dagegen, eine Lösung zu verwenden, mit der die – notabene schutzwürdigen – Personaldaten in der EU abgespeichert werden. Falls die Frage jedoch politisch behandelt wird, hat «Swissness» ganz klar die Nase vorn – auch wenn dann die Auswahl von möglichen Optionen nicht mehr sehr gross ist.
Fazit
Im Bereich der HR-Digitalisierung läuft im Moment einiges. Und es spricht sich herum, welche Software-Lieferanten mit guten Lösungen aufwarten. Darum erfreuen sich diese auch voller Auftragsbücher. Das wiederum macht dem Projektleiter, der ein solches System erfolgreich im Unternehmen einführen möchte, das Leben nicht unbedingt einfacher. Man ist deshalb sehr gut beraten, von Anfang an auch die Sichtweise des Softwarehauses einzunehmen, um sich der eigenen strategischen Positionierung klar zu werden. Und wenn sich schon die Zusammenarbeit von vornherein als schwierig erweist, dann ist man möglicherweise doch bei demjenigen Partner besser aufgehoben, der aus funktionaler Sicht vielleicht auch nur die zweitbeste Lösung anzubieten hat.