«Privatanbieter geraten unter Druck»
Bernhard Grämiger ist seit September 2016 Direktor des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung (SVEB). Im Gespräch hält er Rückschau auf die ersten Monate im neuen Amt und äussert sich zum Weiterbildungsgesetz, das am 1. Januar 2017 in Kraft trat.
«Dass sich der Kanton Zürich entschieden hat, die Förderung im Bereich der Grundkompetenzen einzustellen, ist ein Skandal»: Bernhard Grämiger, Direktor, SVEB. (zVg)
Herr Grämiger, Sie sind seit 1. September 2016 neuer Direktor des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung. Wie haben Sie die ersten Monate erlebt?
Bernhard Grämiger: Es war eine spannende und intensive Zeit. Zu den Meilensteinen gehörte das Inkrafttreten des neuen Weiterbildungsgesetzes am 1. Januar, auf das wir jahrelang hingearbeitet haben. In diesem Zusammenhang änderten sich auch die Modalitäten unserer Zusammenarbeit mit Bund und Kantonen. Sie neu auszuhandeln, war eine Herausforderung. Persönlich empfand ich den Sprung von der Nummer zwei als stellvertretender Direktor zur Nummer eins als riesig. Ich übernehme eine deutlich grössere Verantwortung und auch die Aussenwahrnehmung auf meine Person änderte sich; Ich stehe plötzlich viel stärker im Fokus als früher. Natürlich änderte sich auch das Verhältnis zu meinen Mitarbeitenden. Das verlief jedoch reibungslos, denn ich war auch vorher nicht einer von vielen gewesen, sondern hatte Führungsverantwortung getragen.
Sie sind seit über zwölf Jahren beim SVEB tätig. Wie hat sich die Bildungslandschaft seither verändert?
Auf der Tertiärstufe haben mit den verschiedenen CAS, DAS und MAS die Weiterbildungsangebote sowohl der Universitäten wie auch der Fachhochschulen enorm zugenommen. Damit verschärft sich die Konkurrenz unter den Bildungsanbietern: Privatanbieter geraten unter Druck, weil sie nicht die gleichen Diplome vergeben können. Mit dem wachsenden Weiterbildungsangebot ist die Qualitätssicherung zudem wichtiger geworden. Wir sehen, dass unser Qualitätslabel «eduQua» weiterhin stark nachgefragt wird. Ein Indiz dafür, welche Rolle Qualität auch im Wettbewerb spielt. Der Wettbewerb führt auch dazu, dass Kundenbedürfnisse rasch aufgenommen werden. Dadurch entsteht ein sehr diversifiziertes Bildungsangebot. Unter der grossen Vielfalt leidet wiederum die Transparenz. Als Verband versuchen wir, mehr Klarheit zu schaffen, indem wir auf einen Informations-Mindeststandard hinarbeiten, damit Weiterbildungen für Nachfragende vergleichbarer werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass Weiterbildungsanbieter die Zielgruppen für die einzelnen Angebote genauer umschreiben und die Zusammensetzung der Kurskosten einheitlich darstellen.
Apropos Weiterbildungsgesetz: Böse Zungen behaupten, es handle sich dabei um einen Papiertiger …
Das sagen tatsächlich viele (lacht). Ich sehe das Gesetz nicht so negativ. Mit ihm wird die Weiterbildung ein anerkannter Teil des Schweizer Bildungssystems. Zudem enthält das Gesetz einen Fördertatbestand im Bereich der Grundkompetenzen bei Erwachsenen. Etwas, das wir schon lange gefordert haben. Gleichzeitig hätten wir uns ein zukunftsgerichtetes Gesetz gewünscht, das die Probleme in der Weiterbildung aktiver angeht.
Was meinen Sie damit?
Das Gesetz überträgt die Verantwortung für die Weiterbildung hauptsächlich auf den Einzelnen. Gerade wenig qualifizierte Personen haben aber aus unterschiedlichen Gründen nur erschwerten Zugang zu Weiterbildungsangeboten und können dadurch ihre Eigenverantwortung nicht wahrnehmen. Zudem werden sie von ihren Arbeitgebern kaum gefördert. Das Gesetz schreibt zwar vor, dass Arbeitgeber die Weiterbildung ihrer Arbeitnehmenden begünstigen sollen, aber es besteht keine Verpflichtung. Der Bundesrat hat zudem auf eine genaue Definition verzichtet, was unter «Begünstigen» genau zu verstehen sei und was der Staat unternimmt, damit die Arbeitgeber in Zukunft mehr tun. Wir hätten uns konkrete staatliche Anreize erhofft, um die Weiterbildung in Unternehmen zu befeuern.
Worin besteht denn Ihrer Meinung nach die Verantwortung des Arbeitgebers?
Wir meinen, die Verantwortung des Arbeitgebers bestehe darin, sämtliche Beschäftigten zu fördern, unabhängig von ihrer Qualifikation und ihrer Stellung im Betrieb. Es geht um Chancengerechtigkeit. Im Idealfall fordert ein Unternehmen die Teilnahme an Weiterbildung aktiv ein und etabliert eine Lernkultur, mit der das Lernen zur Selbstverständlichkeit wird. Weiterbildung für alle heisst aber nicht, dass alle einmal einen Kurs besuchen müssen, sondern dass alle Mitarbeitenden die Möglichkeit erhalten, sich zu entwickeln. Dabei können ganz unterschiedliche Lernformen genutzt werden.
Wie könnte man Arbeitgeber in die Pflicht nehmen, obwohl es keinen gesetzlichen Zwang gibt?
Um die Grundkompetenzen der Arbeitnehmenden zu fördern, könnten Kantone beispielsweise im Rahmen ihrer Förderstrukturen im Bereich der Grundkompetenzen direkt mit den Arbeitgebern zusammenarbeiten. Ein möglicher Anreiz wäre, diese Zusammenarbeit öffentlich zu machen und damit zu zeigen, dass die Betriebe ihre Verantwortung wahrnehmen. Das hätte eine positive Auswirkung auf das Arbeitgeberimage.
Wo orten Sie das grösste Problem in der betrieblichen Weiterbildung?
Zum einen gibt es Unternehmen, die eine ganzheitliche Weiterbildungsstrategie haben, zum anderen aber auch viele Betriebe, gerade unter den KMUs, die gar nichts machen. Vielerorts werden Mitarbeitende zudem sehr selektiv gefördert. Primär wird in die Gut- oder Mittelqualifizierten investiert, während man die Geringqualifizierten übergeht. Die Weiterbildungsstatistiken des Bundes zeigen, dass sich an dieser Problematik in den letzten 20 Jahren praktisch nichts geändert hat. Gerade Geringqualifizierte aber sind akut gefährdet, aus dem Arbeitsprozess auszuscheiden.
Was sind die wichtigsten Argumente, weshalb sich Arbeitgeber in der Weiterbildung engagieren sollten?
Nebst der technologischen Entwicklung, die eine ständige Weiterbildung erfordert, verlangt die nachrückende Mitarbeitergeneration flexible Weiterbildungsmodelle. Nachwuchskräfte werden Unternehmen meiden, die darauf bestehen, dass der Mitarbeitende zuerst einmal arbeiten solle und er allein für seine Weiterbildung verantwortlich sei. Deshalb fördert die Bereitschaft der Arbeitgeber, in die Weiterbildung der Mitarbeitenden zu investieren, auch das Arbeitgeberimage. Weiterbildung kann aber auch Kosten sparen. Im Idealfall erkennt ein Unternehmen frühzeitig, wenn ein Technologiewandel ansteht. Es überprüft die Kompetenzen der Mitarbeitenden und qualifiziert diese entsprechend weiter. Das ist sicher günstiger, als die Belegschaft auszutauschen. In jedem Fall verhindert ein Unternehmen so Produktivitätseinbussen. Grundsätzlich verfügen alle Mitarbeitenden über ein Lernpotenzial. Wenn man dieses nutzt, erhöht sich auch ihr Leistungspotenzial, was sich wiederum positiv auf die Produktivität auswirkt. Besonders wichtig ist für uns in diesem Zusammenhang die Förderung der Grundkompetenzen von Mitarbeitenden. Etwa 800 000 Menschen in der Schweiz können nicht richtig lesen und schreiben. 64 Prozent von ihnen arbeiten in einem Betrieb. Deshalb ist der Arbeitsplatz ein idealer Ort, um diese Personen weiterzubilden.
Wird die Weiterbildung genügend betriebsnah praktiziert?
Auf der einen Seite fordern Unternehmen immer stärker, dass Weiterbildungsanbieter auf ihre Bedürfnisse eingehen. Das tun die Anbieter auch. Doch je betriebsnaher eine Weiterbildung ausgestaltet wird, desto mehr steigen die Kosten. Die Unternehmen müssen bereit sein, diese Kosten auch zu tragen. Hier herrscht zuweilen ein Zielkonflikt zwischen Anbieter und Unternehmen. Aber Unternehmen müssen auch dafür sorgen, dass der Transfer von Erlerntem in die Praxis des Unternehmensalltags stattfindet. Sonst verpufft die Wirkung der Weiterbildung.
Neben den Betrieben haben auch die Kantone den Auftrag vom Bund, Weiterbildung zu fördern. Nicht alle tun das: Der Kanton Zürich etwa ...
... Dass sich der Kanton Zürich entschieden hat, auf Anfang 2017 die Förderung im Bereich der Grundkompetenzen komplett einzustellen, ist ein Skandal. Aber der Bund kann die Kantone nicht zum Handeln zwingen, auch nicht mit dem neuen Weiterbildungsgesetz. Das ist bei vielen Bundesgesetzen nicht anders. Am Ende entscheiden eben die Kantone. Umso wichtiger ist es, dass der SVEB genau beobachtet, wie sich die Kantone verhalten, und gegebenenfalls handelt.