Aufgeräumt in die Zukunft
Von der Wirtschaftspresse jahrelang als «Gemischtwarenladen» belächelt, hat sich Valora inzwischen stark verschlankt und den Turnaround eingeleitet. Die Neuerfindung des Konzerns hatte auch Auswirkungen auf HR, das gleichsam zum Treiber der Wende wurde. Konzern-HR-Leiter Jonathan Bodmer über seine Learnings.
«Wir möchten mit den Mitarbeitenden in Dialog treten, auch wenn schwierige und anspruchsvolle Themen an die Oberfläche kommen»: Jonathan Bodmer, HR-Leiter, Valora. (Bild: HR Today)
Das Thema Turnaround begleitet Jonathan Bodmer, Konzern-HR-Leiter von Valora, seit seinem Stellenantritt im Mai 2014, als der traditionelle «k kiosk» sein 80-Jahre-Jubiläum feierte. Das Unternehmen befand sich damals gerade mitten in einem tiefgreifenden Umbruch und es sollte sich noch einiges ändern, was in den vorangegangenen Jahrzehnten als stabil galt. Bodmer stiess nur wenige Monate nach dem neuen CEO Michael Mueller und CFO Tobias Knechtle zu Valora. Beide Architekten der heutigen Firmenstruktur.
Vergleicht man den Personalbestand, sind die Veränderungen gar nicht so augenfällig: 2010 zählte Valora rund 6500 Mitarbeitende, die an 1600 Standorten quer durch Mitteleuropa und Skandinavien in drei unterschiedlichen Divisionen (Detailhandel, Grosshandel, Logistik/Pressegrosshandel) tätig waren. Heute arbeiten in dem verschlankten Konzern mit nur noch zwei Geschäftsbereichen (Retail und Food Services) rund 5300 Personen an etwa gleich vielen Standorten. Davon fast die Hälfte in der Schweiz. In der Zwischenzeit betreibt Valora jedoch rund zwei Drittel ihrer Verkaufsstellen nicht mehr selbst, sondern arbeitet mit selbständigen Franchise- oder Agenturnehmern zusammen, die insgesamt ebenfalls geschätzte 4000 Angestellte zählen. Im gleichen Zeitraum expandierte Valora mit der Akquisition von Naville nicht nur in die Westschweiz, sondern veräusserte auch die beiden Nichtdetailhandelsdivisionen Trade und Services. Bereits ein Jahr zuvor hatte man die Brezelketten Ditsch und Brezelkönig gekauft und wurde mit einer Jahresproduktion von über 500 Millionen Bachwaren auf einen Schlag zum weltweit führenden Laugengebäckhersteller.
Aktien- und Kununu-Scores im Keller
Doch die Veränderungen waren nicht nur organisationsgetrieben. Auch das Kundenverhalten und damit die nachgefragten Produkte änderten sich mit einer Geschwindigkeit, die dem Detailhandel bislang fremd war. Ein grosser Einfluss auf den Wandel im Pressebereich ist den Gratiszeitungen und der Verschiebung der Lesegewohnheiten von Print zu Online zuzuschreiben. Seit mehreren Jahren sinkt der Presseanteil jährlich um zehn Prozent. Heute sind die Bestseller Energy Drinks und Kaffeeportionen. Im Angebot finden sich aber auch Produkte wie Kreditkarten zum Wiederaufladen, Finanzdienstleistungen oder Handybatterie-Power-Packs zum Ausleihen. «Alles Dinge, die wir noch vor Kurzem nicht mit einem klassischen Kiosk in Verbindung gebracht hätten, die letztlich aber für das Überleben der Firma zwingend notwendig waren», sagt Jonathan Bodmer. Die Firma hatte sich aufgrund der sich rapide ändernden Markt- und Kundenanforderungen also einem grundlegenden Veränderungsmarathon zu unterziehen. Der Aktienkurs halbierte sich zwischen 2010 und 2012 und erholte sich eigentlich erst ab Ende 2015 wieder. Presse und Analysten schauten besorgt auf die «ewige Baustelle» bei Valora. Die Scores auf der Arbeitgeberbewertungsplattform Kununu fielen in den Keller. In der Konzernleitung gaben sich die Manager die Klinke in die Hand. «Selbst meine Frau», erinnert sich Bodmer, «brachte Zweifel auf, als ich ihr meine Überlegungen zum Stellenwechsel zu Valora mitteilte.»
HR-Team halbiert
Dieser Auf- und Umbruch hatte auch im HR Spuren hinterlassen: «Als ich 2014 zu Valora kam, war das HR-Team innert weniger Jahre von fast 50 Personen auf rund 25 geschrumpft und die HR-Leitung war nicht mehr in der erweiterten Konzernleitung vertreten.» Im Zuge der Konsolidierungen, die auch vor den zentralen Einheiten nicht haltmachten, wurden das ganze Gruppen-HR mit bereichsübergreifenden Funktionen wie Compensation&Benefits, Reporting und Talentmanagement, aber auch die Berufsbildungsabteilung kurzerhand gestrichen oder zumindest stark reduziert. «Trotzdem habe ich ein kompetentes und aufgestelltes HR-Team vorgefunden, das aktiv und leistungsbereit war», so Bodmer.
Mit der Schrumpfung um fast 50 Prozent hat das Valora-HR gleichzeitig einen grossen Effizienzsprung gemacht. So wurde etwa das gesamte Bewerbermanagement konsequent digitalisiert und standardisiert, was zu Bodmers Überraschung keinen Einfluss auf die Anzahl oder Qualität der Bewerber hatte, die wohlgemerkt nicht alle per se einen Computeranschluss zu Hause haben. Gleichzeitig konnten Routinearbeiten im HR reduziert und qualitativ gesteigert werden, sodass Valora heute über einen weiteren Ausbau der elektronischen Werkzeuge im HR nachdenkt. Verantwortlichkeiten seien zudem vermehrt dorthin delegiert worden, wo «Entscheide effizient gefällt werden können», erklärt Bodmer. Zudem würden Leerläufe in HR-Prozessen konsequent aufgespürt und reduziert.
Mit dem Eintritt des neuen CEO Michael
Mueller 2014 wurden einige der zuvor auf Geschäftsleitungsebene gefällten Entscheide rückgängig gemacht. Etwa jener, die HR-Funktion aus der erweiterten Konzernleitung zu entfernen. Seit Sommer 2015 sind die HR-Belange mit Bodmer wieder in der erweiterten Konzernleitung vertreten. Das ermöglicht es, HR-relevante Themen rasch und unkompliziert zu platzieren und auszudiskutieren – etwas, das Mueller explizit in das Pflichtenheft seines HR-Leiters geschrieben hat, um Entscheide noch breiter abzustimmen und in der Gruppenleitung rechtzeitig ein Sensorium für das Personal zu haben. Nicht nur der Umgang mit Personalfragen auch die Unternehmenskultur werde massgeblich von Michael Mueller geprägt. So habe man die Du-Kultur weiter im Konzern ausgerollt und an allen Standorten eine offene Bürolandschaft bezogen.
Beides habe die Zusammenarbeit erheblich verbessert, resümiert Bodmer. Überhaupt sei die Unternehmenskultur heute über alle Hierarchiestufen hinweg sehr unkompliziert und fördere den Austausch. Das Management informiere offen über Aktualitäten und stelle sich den Fragen der Mitarbeitenden – etwa an den regelmässigen durch die Kommunikationsabteilung organisierten «Meet the CEO»-Veranstaltungen, «Inspiration Lunches» oder abteilungsspezifischen «CEO Breakfasts». Zudem gibt es im Intranet die Möglichkeit, dem CEO anonym Fragen zu stellen, die dieser auch gewissenhaft beantworte, wie Bodmer versichert. «Wir möchten mit solchen Aktionen mit den Mitarbeitenden in einen Dialog treten und Vertrauen schaffen, auch wenn dabei schwierige und anspruchsvolle Themen an die Oberfläche kommen: Gerade deshalb!»
Sensibles Frühwarnsystem
Solche Veränderungsprozesse fordern Mitarbeitenden viel ab, sowohl mental als auch leistungsmässig. Nicht nur, weil ständig in hoher Kadenz eine Vielzahl an Zusatzaufgaben und Projekten zum ordentlichen Tagesgeschäft dazukommen, die auf alle Einheiten einen direkten Einfluss haben, sondern auch, weil sich ein Gefühl der Unsicherheit einschleiche, wie die Welt, die Firma, das Umfeld oder der eigene Arbeitsplatz in der Zukunft wohl aussehen werden. «Die Auswirkungen auf die Belegschaft sind nicht zu unterschätzen», meint Bodmer. Allein die Integration zweier Firmen bedeute viel Handarbeit und Zusatzaufwand, weil man sich von bisherigen Routinen lösen und viel Flexibilität zeigen müsse. «Auch wenn die Champagnergläser der Feier zum erfolgreichen Geschäftsabschluss schon längst wieder verräumt sind.» Die Integration neuer Systeme und Prozesse erfordere seitens der des Managements anhaltend Aufmerksamkeit und Wertschätzung gegenüber den betroffenen Mitarbeitern. Valora habe deshalb im monatlich stattfindenden Steering-Committee-Meeting, wo die Integrationsprojekte besprochen und abgestimmt werden, HR-Themen stets prominent den ersten Agendapunkt gewidmet, so Bodmer. Dabei komme der mentale, organisatorische und motivationale Zustand der Organisation zur Sprache. Dieses «Frühwarnsystem» hat sich in den Augen von Bodmer sehr bewährt, weil dadurch gerade in einem Turnaround-Prozess der Ressourceneinsatz und die Zeitpläne für die Projekte und Vorhaben besser abgestimmt werden können.
Verändert sich die Geschäftstätigkeit einer Organisation, benötigen Mitarbeitende neues Wissen und neue Fähigkeiten. Ein Patentrezept, wie sich die Angestellten diese aneignen können, hat Bodmer nicht. Trotzdem sieht er – nebst den klassischen Ausbildungs- und Entwicklungsmassnahmen – weitere wichtige Faktoren, die den Turnaround einer Firma beeinflussen können: Eine grundsätzliche Dialogbereitschaft untereinander sei so ein Element. Noch viel wichtiger als ein technisch durchdachtes, komplexes Talentmanagement-Tool oder eine Wissensdatenbank sei eine genügend enge Vernetzung untereinander. Da Valora im Grunde genommen ein überschaubarer Betrieb sei und in der Verwaltung insgesamt nur knapp 500 Leute arbeiten, sei es möglich, dass letztlich jeder jeden kennenlerne. Valora fördert und unterstützt dies explizit durch regelmässige Anlässe wie Sommer- und Weihnachtsfeste, Jahrestagungen und andere Grossveranstaltungen. Diese würden von der Belegschaft sehr geschätzt. Projektleitende erhalten damit zudem die Gelegenheit, ihre Projekte regelmässig einem grösseren Publikum vorzustellen und damit nicht nur ihre Auftrittskompetenz zu schärfen, sondern sich gleichzeitig auch als kompetente Fachkollegen im Gedächtnis der Entscheidungsträger zu behalten. «HR versteht sich dabei als Vermittler und Moderator, damit die Vernetzung nicht zum Filz wird», sagt Bodmer. Um Filz zu verhindern, müsse zudem jede Vakanz im Intranet ausgeschrieben werden und auch interne Kandidaten müssen einen strukturierten Bewerbungsablauf mit Einbezug des HR durchlaufen. Das klappe inzwischen ganz gut. «Wir können von vielen erfolgreichen internen Karrieren berichten», so Bodmer.
Tanz und Musik als Turnaround-Stimuli
Auch aus anderen Gründen sind für Bodmer firmeninterne Anlässe gerade in Zeiten von Turnarounds von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Letztlich schweisse der persönliche Kontakt die Teams zusammen und schaffe tragfähige Arbeitsbeziehungen. In diesem Zusammenhang erinnert sich Bodmer an das erste Treffen der Kader und Projektleitenden von Naville und Valora kurz nach dem «Closing» des Zusammenschlusses. «In einem schönen Hotel in Montreux trafen zwei sehr unterschiedliche Firmenkulturen aufeinander.» Die Stimmung sei durchaus angespannt gewesen. So stand etwa die Frage nach dem Standort des künftigen Hauptsitzes der neuen Firma und damit verbunden für viele Beteiligte auch die Frage ihres künftigen Arbeitsplatzes unausgesprochen im Raum. «Der Projektplan war lang und steinig, doch nicht die Integrationsagenda allein, sondern genauso der ungezwungene Abend mit Tanz und Musik, der bis in die grauen Morgenstunden fortdauerte, hat das Eis gebrochen und die sprachlichen und kulturellen Hürden eingeebnet.»
Verdaubare Projektportionen
Seine eigenen Leute im HR-Team fördert Bodmer nicht nur, indem er ihnen Aus- und Weiterbildungen ermöglicht, sondern auch indem er ihnen persönliche Entwicklungsfelder und -ziele setzt und als Coach zur Seite steht. Besonders herausfordernd war dies, als die Westschweizer Niederlassungen von Naville mitsamt dem Personal in die Valora-Organisation eingegliedert, die Betriebsübergabe abgewickelt, die Arbeitsverträge angepasst, die Pensionskassengelder überführt sowie die Anstellungsbedingungen und EDV-Systeme vereinheitlicht werden sollten. Auch das Aufgleisen und Umsetzen eines Sozialplans anlässlich der gleichzeitig anstehenden Entlassungen sei in jedem Fall eine Herausforderung gewesen, welche die Kompetenzen der beteiligten HR-Kollegen entwickelt und gestärkt habe: «Ich bin sehr stolz auf unsere HR-Mitarbeitenden, sie haben in einer anspruchsvollen Zeit einen tollen Job gemacht», so Bodmer. Damit sich diese von solchen Projekten nicht überwältigt fühlen, legt Bodmer Wert auf «verdaubare» Projektportionen. Bewältigen seine Mitarbeitenden eine Teiletappe, ermögliche ihnen das, einen Erfolg zu verbuchen und stärke ihr Selbstvertrauen, weitere Herausforderungen anzunehmen.
Besonderen Respekt zollt Bodmer der Professionalität derjenigen Kolleginnen und Kollegen im HR, bei denen es absehbar war, dass sich ihre Stelle durch die Reorganisationen entweder substanziell verändern oder gar wegfallen würden. «Ich habe das bei Valora einige Male erlebt und es in keinem Fall für selbstverständlich genommen», sagt Bodmer. Alle Betroffenen hätten jedoch ohne Schwierigkeiten wieder neue Anstellungen gefunden oder seien weiterhin in HR-Funktionen bei Firmen, die früher zur Valora gehörten. Für Bodmer ein wichtiges Zeichen, «dass eine hohe Arbeitsmarktfähigkeit für die Firma nicht eine Hypothek, sondern im Gegenteil ein wichtiges Qualitätsmerkmal für eine gesunde Firmenkultur ist».
Wie auch immer die internen und externen Reaktionen bei der Neuausrichtung eines Unternehmens ausfielen, «HR muss eine tragfähige, vertrauenswürdige Konstante für die Mitarbeitenden sein, sowohl für diejenigen, die gehen, als auch für diejenigen, die bleiben oder neu integriert werden», so Bodmers Fazit. Das bedinge zum einen solides Planungs- und HR-Fachwissen, zum anderen aber auch Empathie und Verständnis für die jeweilige Situation und die Betroffenen. Das Wichtigste sei aber, bei aller Hektik und Unsicherheit die nötige Gelassenheit auszustrahlen. «Auch wenn die Sicht trüb, das Wetter stürmisch und der Weg unklar ist.»