Gig Economy: Revolution im Arbeitsrecht?
Infolge der Debatte um die Zukunft der digitalen Ökonomie und Arbeitswelt von morgen ist immer öfter von «Gig Economy» und «Crowdworking» die Rede. Gemeint sind Jobs, die global über Internetplattformen vermittelt werden. Was bedeuten die neuen Arbeitsformen für künftige Vertragsmodelle?
Neue Arbeitsformen müssen nach wie vor nach den Gesetzesnormen beurteilt werden, die in einer Zeit entstanden sind, als das Internet noch nicht mal erfunden war. (Bild: Jonas Raeber)
Versucht man, sich einen Überblick über die neuen Arbeitsformen zu verschaffen, stösst man auf verschiedene Statistiken, welche die gängigen Arbeitsformen als veraltet abstempeln und innovative Arbeitsmodelle als die glücksbringende Zukunft preisen. So verweist beispielsweise die Plattform gigme.ch auf einen Bericht der International Business Times vom 15. September 2016, wonach damals 87 Prozent der Briten überzeugt waren, dass die Gig Economy in zehn Jahren das Arbeitsmodell der Nine-to-Five-Arbeitstage ablösen wird. Es sei vor allem die junge Generation, die sich nicht langfristig an einen Arbeitgeber binden wolle und alternative Arbeitsmodelle begrüsse.
Gig Economy
Der Musikwelt abgeschaut, beschreibt der Begriff Gig Economy die Situation von kurzen Arbeitseinsätzen, bei denen sich ein Dienstleister einer Mehrheit von Auftraggebern anbietet. Die Aufträge sind eher kleiner und kurzfristig. Die Infrastruktur wird oft vom Dienstleister selber gestellt. Speziell durch das Internet ist es möglich, die eigenen Dienstleistungen einfach anzubieten oder sich bestehenden Plattformen anzuschliessen. Internetplattformen, welche die Vernetzung zwischen Auftraggeber und Dienstleister ausführen, bieten teilweise auch administrative Unterstützung an. Vorteile würden sich dabei für beide Seiten ergeben, wie die Plattformen versichern. Der Dienstleister müsse sich beispielsweise nicht um seine Versicherungspflicht kümmern und der Auftraggeber habe dadurch kein Risiko. Doch sind diese digitalen Geschäftsmodelle wirklich eine Revolution der gängigen Arbeitswelt?
Weg vom Arbeitsvertrag
Für Unternehmen ist die Vorstellung, vermehrt mit Dienstleistern zusammenzuarbeiten, die eben gerade nicht Arbeitnehmer sind, sicher verlockend. Keine zwingenden Bestimmungen aus dem Arbeitsvertrag einhalten zu müssen, frei zu sein, was Kündigungs- und Sperrfristen betrifft, scheint eine geniale Lösung zu sein. Doch was beispielsweise für leerstehenden Wohnraum gut funktioniert (vgl. Airbnb), muss im Arbeitsumfeld nicht gleichermassen gelingen. Ist der Dienstleister von seiner Freiheit zunächst fasziniert, kann in einer anderen Lebensphase diese Freiheit zur Last werden. Denn die Übertragung des Geschäftsrisikos vom Unternehmen auf das Individuum ohne die gesetzlichen und üblichen Sozialversicherungen bedeutet für den Dienstleister einen Verzicht auf Sicherheit. Auf der anderen Seite hat der Arbeitgeber nicht mehr die gleiche «Einforderungskompetenz». Er verliert also die Kontrolle darüber, ob die Arbeit rechtzeitig und richtig verrichtet wird.
Abgrenzungskriterien
Die Entwicklung neuer Vertragsmodelle ist juristisch betrachtet sehr spannend. Stets gilt es, den gesetzlichen Rahmen zu kennen und das agile Leben mit den etwas starren Gesetzesnormen in Einklang zu bringen. Neue Arbeitsformen und neue Arbeitszeitmodelle müssen immer auf die konkrete Situation angepasst werden. Allgemeine gesellschaftliche Strömungen dienen dabei als Gradmesser und Richtungsweiser. Den unbestrittenen Wunsch nach mehr Flexibilität auf beiden Seiten gilt es zu respektieren, um nach einer tragfähigen Lösung zu suchen. Und so werden auch künftig weitere Innominatverträge entstehen, bei denen Elemente verschiedener Vertragstypen (wie zum Beispiel Arbeitsvertrag und Auftrag) zusammengefügt werden und eben einen Vertrag neuer Art entstehen lassen (Vertrag sui generis). Zentrale Frage bleibt, ob eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit vorliegt. Die Abgrenzung hat für die Unternehmen eine grosse Relevanz. Vertragsverhältnisse, die ein Unternehmen als selbständige Tätigkeit qualifiziert und die später als Arbeitsvertrag erachtet werden, beinhalten beträchtliche finanzielle Risiken. Dann nämlich muss das Unternehmen den Dienstleister nachträglich als Arbeitnehmer akzeptieren und ihm unter anderem Ferien nachzahlen und die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen. Als Arbeitnehmer gilt man unter anderem, wenn man in eine Organisationsstruktur eingebunden ist, Weisungen vom Unternehmen empfängt und die Tätigkeit nach gewissen Vorgaben des Unternehmens ausübt. Das Vertragsverhältnis muss als Ganzes betrachtet werden, es reicht nicht aus, nur ein einzelnes Kriterium als Abgrenzung heranzuziehen. Die Abgrenzung ist nicht einfach und die zunehmende Komplexität des modernen Arbeitsalltags macht sie umso schwieriger. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sozialversicherungen eine eigene Betrachtung vornehmen und deren Qualifikation nicht automatisch für die vertragsrechtliche Auslegung gilt. So kommt es, dass beispielsweise die vertragsrechtliche Situation der Uber-Fahrer nach wie vor die Juristen spaltet. Sehen die einen eine Selbständigkeit als gegeben, erachten die anderen die Fahrer als Angestellte. Grosse Beachtung fand das kürzlich ergangene Bundesgerichtsurteil, wonach Taxifahrer, die sich einer Zentrale angeschlossen haben, nicht mehr als selbständig gelten. Rund ein halbes Jahrhundert nach Gründung der ersten Taxi-Zentralen hat das Bundesgericht im November 2017 entschieden, dass die bislang selbständigen Taxifahrer Angestellte der Zentrale seien und als solche in ihrer Rechtsstellung wie Arbeitnehmer behandelt werden müssen.
Klick-Jobs
Sogenannte Klick-Jobs, die vorwiegend über eine Internetplattform vermittelt werden, nehmen zahlenmässig zu. Gut möglich, dass diese Tendenz der Gig Economy auch gesellschaftspolitisch Auswirkungen haben wird. Wunsch und Wirklichkeit klaffen aber noch weit auseinander. Neue Arbeitsformen müssen nach wie vor nach den Gesetzesnormen beurteilt werden, die in einer Zeit entstanden sind, als das Internet noch nicht mal erfunden war. Das heisst nicht, dass man neue Arbeitsmodelle nicht wagen sollte. Im Gegenteil, sie sollen durchaus geprüft und gelebt werden, denn nur so findet auch eine Gesetzesentwicklung statt. Unternehmen müssen aber die juristischen und damit die finanziellen Risiken kennen, die sie mit dem Beschreiten neuer Wege eingehen. n