Jenseits des Firmengartenzauns
Working Out Loud lässt sich nicht nur firmenintern, sondern auch firmenübergreifend denken, um HR-Probleme gemeinsam zu lösen. Hierzu müssen sich Unternehmen aber öffnen. Noser Young, Swissport und Swisscom zeigen, wie es mit HR-Kooperationen gelingt, Talente zu finden, auszubilden und zu entwickeln, wenn man das Gärtchendenken hinter sich lässt.
WOL in der Praxis: über den Firmengartenzaun hinausdenken. (Bild: 123RF)
Der Fachkräftemangel ist nur eine von vielen HR-Herausforderungen, die Firmen gemeinsam bewältigen könnten. Noch ist das firmenübergreifende Denken rar gestreut. Doch es gibt Ausnahmen. Etwa die Noser-Gruppe, die mit dem Beratungsunternehmen Accenture eine Kooperation zur Lehrlingsakquise und -ausbildung eingegangen ist. Eine Zusammenarbeit, deren Vorteile sich erst durch einen Blick hinter die Kulissen offenbaren, scheinen die beiden Betriebe doch zunächst nur wenige Gemeinsamkeiten zu haben. «Wie Accenture haben wir ein Interesse daran, den eigenen Nachwuchs zu fördern und mehr IT-Lehrstellen zu schaffen», erklärt Noser-Young-Ausbildungsverantwortliche Melanie Fahrner. «Unser Ausbildungsmodell entlastet Accenture in den ersten beiden Lehrjahren, wenn es für die Lernenden darum geht, ICT-Grundlagen zu erwerben.» Kehren die Jugendlichen nach ihrer Ausbildungszeit bei Noser Young zu ihrem Arbeitgeber zurück, kann ihnen Accenture Ausbildungsplätze anbieten, die sich «nur noch wenig von jenen regulärer Mitarbeitender unterscheiden».
Verantwortung übernehmen
Auch bei Swissport teilt man sich die Lehrlingsausbildung mit anderen Unternehmen. Dort organisiert der Verkehrs-Lehrverbund Login eine semesterweise Rotation von Lernenden zwischen verschiedenen angeschlossenen Aviatik-Betrieben. «Auszubildende müssen sich dadurch immer wieder auf Neues einlassen und sich in einer ungewohnten Umgebung zurechtfinden», erläutert Swissport Head of Engagement and Development der DACH-Region, Michael Uebersax, die Vorteile des Modells. Nebst unterschiedlichen Betrieben würden die Jugendlichen auch viel über sich selbst lernen. «Sie merken, ob ihnen der Kundenkontakt im Passagierdienst oder eher die administrative Tätigkeit im Backoffice liegen.» Die so erworbenen Erfahrungen und Problemlösungskompetenzen machen die Jugendlichen für eine Stelle im Aviatik-Unternehmen fit. Eine Chance, von denen Nachwuchskräfte profitieren, denn in der Regel unterbreitet Swissport allen Lernenden nach Lehrabschluss eine Anschlussposition.
Einen etwas anderen Schwerpunkt legen Swisscom, Zühlke Engineering und Axa. Gemeinsam haben sie für Studierende verschiedener Fachrichtungen ein einjähriges Data-Science-Praktikum entwickelt. Nachwuchskräfte absolvieren dieses in viermonatlichen Zeitabschnitten in jeweils einem der Partnerunternehmen und können sich dadurch vertiefte Kenntnisse mit Big-Data-Auswertungen aneignen. «Die Studierenden erhalten einen ersten Einblick in die Praxis und übernehmen Verantwortung für Teilprojekte», sagt Swisscom-Programmverantwortliche Katharina Reichmann. «Sie können ihre Ideen und ihr bereits erworbenes Wissen umsetzen.» Entstanden sei das Programm aus einem übereinstimmenden Bedürfnis nach einer Lösung, umschreibt sie den gemeinsamen Nenner der drei Betriebe. Herausgekommen sei ein Konzept zur flexibleren Zusammenarbeit. «Wir wollen damit vermehrt den Ansprüchen der jungen Talente gerecht werden und uns als innovative Arbeitgeberin positionieren.»
An einem Strang ziehen
Eine firmenübergreifende Zusammenarbeit erfordert einen regelmässigen Austausch. Darin sind sich Fahrner, Uebersax und Reichmann einig. «Wir tauschen uns mit Accenture wöchentlich aus», präzisiert Fahrner. Im Ausbildungsprozess würden die Lernenden regelmässig von Noser Young und Accenture beurteilt. «So spüren sie, dass wir an einem Strang ziehen und wir sie gemeinsam auf ihrem Weg begleiten.» Zudem hätten die Jugendlichen regelmässig Kontakt zu ihrem Arbeitgeber und Zugang zu dessen Lernenden-Treffs.
Wer meint, dass eine langfristige Kooperation weniger Koordination erfordert, irrt: «Auch eine gute und langjährige Kooperation benötigt immer wieder einen Abgleich und ein beidseitiges Bekenntnis», ergänzt Michael Uebersax. Swissport spreche sich zudem regelmässig mit Swiss und Edelweiss ab, die ihre Lernenden ebenfalls bei Login ausbilden. «So können wir Lehrplanänderungen frühzeitig mit unseren betrieblichen Anforderungen und Bedürfnissen abstimmen.» Daneben habe Swissport Einsitz im Login-Beirat, um die Bedürfnisse der Aviatik-Branche bei der Entwicklung der Lehrberufe einzubringen.
Nebst der Koordination und dem Interessenabgleich interessiert man sich bei Swisscom gleichermassen für verschiedene Data-Science-Projekte der Partnerfirmen: «Das fördert das Netzwerkdenken.» Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Austausch ebnet den Weg für weitere firmenübergreifende, auch über das HR hinausreichende Projekte oder Kooperationen.
Noser Young
Um dem Fachkräftemangel in der ICT entgegenzuwirken, rekrutiert Noser Young zusammen mit Accenture Nachwuchskräfte und bildet diese gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen aus. Während Accenture Lehrstellen ausschreibt, diese bewirbt, Bewerberdossiers entgegennimmt, sichtet, selektiert und erste Interviews führt, kümmert sich Noser Young um das Assessment, bei dem die Kandidaten verschiedene Aufgaben lösen und ihr Wissen und Können unter Beweis stellen. Die Auswertungen wiederum führen zu einer Empfehlung, die Noser Young an Accenture abgibt. Dort wird auch entschieden, welche Assessment-Teilnehmer ein Lehrstellenangebot erhalten. Dadurch sollen Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt werden, die zur Accenture- und zur Noser-Young-Kultur passen, die fordernde Lehrlingsausbildung meistern und IT-Projekte erfolgreich abwickeln können.
Nach Lehrstellenantritt verbringen die Jugendlichen die ersten beiden Lehrjahre bei Noser Young, wo ihnen gemäss Accenture-Vorgaben grundlegende ICT-Fachkenntnisse vermittelt werden und sie sich von Schülern zu Mitarbeitenden entwickeln. Ziel sei, die Jugendlichen für die Abschlussprüfung technisch fit zu machen. Nach Ende der Grundausbildung wenden die Lernenden ihre bei Noser Young erworbenen Fachkenntnisse bei Accenture an und vertiefen diese zusammen mit dessen Ingenieuren in verschiedenen Projektarbeiten. Pro Jahr starten zehn Jugendliche eine IT-Lehrstelle bei Accenture. Seit Beginn der Kooperation zwischen Noser Young und Accenture sind zwei Lehrgänge gestartet. Für das Lehrjahr 2020 hat Accenture bereits sechs neue Lernende unter Vertrag genommen.
Swissport
Angehende Kaufleute sowie Logistiker und Logistikerinnen wechseln bei Swissport nicht nur jedes Semester ihre Abteilung, sondern auch das Unternehmen. KV-Lernende mit der Vertiefungsrichtung Aviatik oder Öffentlicher Verkehr verbringen ihr erstes Lehrsemester beispielsweise in der Personalabteilung bei Swissport, das darauffolgende im Controlling bei Swiss International Airlines und wechseln dann an einen Bahnschalter der SBB oder an einen Schalter der Fluggesellschaft Edelweiss. Erst im letzten Lehrjahr kehren sie zu Swissport zurück, wo sie ihre Lehre abschliessen. Berufsbildner sorgen beim Aviatik-Unternehmen dafür, dass die Lernenden die von der Bildungsverordnung vorgeschriebenen Ausbildungsziele erreichen.
Mit der Rekrutierung oder der Rotationsplanung der Lernenden zwischen den Betrieben hat Swissport hingegen nichts zu tun. Diese Tätigkeiten übernimmt Login, ein Lehrverbund, der sich auf den Bereich Verkehr spezialisiert hat. Ausserdem stellt dieser sicher, dass alle angeschlossenen Betriebe die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, und überprüft die Qualität der Ausbildungsplätze. Die Zusammenarbeit von Swissport mit Login besteht seit 2002. Als weitere Partner wie Swiss und Edelweiss dazustossen, bildet der Lehrverbund eine KV-Ausbildung mit Aviatik-Schwerpunkt. Heute bildet Swissport über 90 Prozent seiner Lernenden im Verbund aus. Jährlich durchlaufen 43 Jugendliche in Basel, Zürich und Genf diesen Ausbildungsprozess.
Swisscom
Gemäss einer Deloitte-Studie gehen schon heute 25 Prozent aller Erwerbstätigen einer projektbezogenen und temporären Arbeit nach oder agieren als Freelancer. Immer mehr stehe zudem der Arbeitsinhalt im Vordergrund. Die Firma gerate dagegen ins Hintertreffen. Ein Trend, dem das Telekommunikations- und IT-Unternehmen Swisscom, die Beratungsfirma Zühlke Engineering und der Versicherer Axa mit ihrem «Cross Company Program for Data Science» entgegenwirken möchten. Studierende, die sich noch nicht für einen Arbeitgeber entschieden haben, erhalten innerhalb eines Praktikumsjahres Einblick in drei verschiedene Firmen, vertiefen ihr Big-Data-Wissen und lernen, in übermässig vorhandenen, unstrukturierten Daten Muster zu erkennen und für Business Cases aufzuarbeiten.
Daneben fassen die Studierenden Fuss in der Berufswelt und können ihr berufliches Netzwerk vergrössern. Angesprochen sind Mathematik-, Physik- und Informatikstudierende, die sich mit der Datenanalyse auseinandersetzen und ein Bachelorstudium abgeschlossen haben oder sich vor einem Masterstudium befinden. Daneben sollten Aspiranten erste Erfahrung in der Softwareentwicklung gemacht haben und Programme wie «R» oder «Python» schon kennen. Derzeit beschäftigen Swisscom, Zühlke Engineering und Axa drei Praktikantinnen und Praktikanten. Sie werden jeweils vier Monate bei einer Firma angestellt und wechseln nach Vertragsablauf ins nächste Unternehmen. 2016 gestartet, geht das Projekt 2019 in eine weitere Runde. Derzeit werden die eingetroffenen Bewerbungen vorselektiert.