«Keine Angst vor dem Unbekannten»
Das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ist nicht immer idyllisch. Etwa, wenn es um Massenentlassungen geht. Doch entspricht dieser Eindruck den Tatsachen? Und was wünschen sich Gewerkschafter überhaupt von Arbeitgebern und dem HR? Wir haben mit zwei Arbeitnehmervertretern gesprochen.
«Es gibt viele HR-Fachleute, die in Krisensituationen über sich selbst hinauswachsen und ohne sicheres Einkommen weiterarbeiten», erzählt Christof Burkard vom Verband Angestellte Schweiz. (Bild: 123RF)
Kommt man in HR-Kreisen auf die Gewerkschaften zu sprechen, zeigt schon der Gesichtsausdruck des Gegenübers, dass das Verhältnis mit den Arbeitnehmervertretern nicht immer ungetrübt ist. Besonders in Krisensituationen wie anstehenden Massenentlassungen. Doch inwiefern ist die Furcht der HR-ler vor Imageschäden tatsächlich begründet?
«Manche Arbeitgeber haben Angst vor Gewerkschaften, weil diese als Drittpartei nicht direkt vom Arbeitgeber abhängig sind», mutmasst Luca Cirigliano vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB. Oder weil sie sich in einer schwierigen finanziellen oder operativen Situation befinden und bisher keine Erfahrung im Umgang mit Gewerkschaften gemacht hätten. «Da kann es für Firmen ein zusätzlicher Stressfaktor sein, sich mit Gewerkschaften auseinanderzusetzen.»
Das sind für ihn aber Ausnahmen. «Grossfirmen wie Novartis oder Roche und kleinere Unternehmen mit einem Gesamtarbeitsvertrag haben häufig pfannenfertige Sozialpläne bei Entlassungen, die sie zusammen mit den Gewerkschaften erarbeitet haben.» Da sei die Zusammenarbeit partnerschaftlich und fruchtbar.
Es gibt auch Erfolgsgeschichten
Auch für Christof Burkard vom Verband Angestellte Schweiz erfolgt die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern mehrheitlich auf Augenhöhe: etwa in der Maschinenindustrie, wo es ein Gesamtarbeitsvertrag Arbeitgebern bei wirtschaftlichen Problemen erlaubt, temporäre Arbeitszeitverlängerungen mit den Arbeitnehmervertretungen auszuhandeln.
Die Zusammenarbeit sei je nach Branche unterschiedlich. So gäbe es solche mit einer etablierten Einbindungskultur und andere, die eher gewerkschaftsfeindlich seien. Etwa das Gewerbe. «Grundsätzlich gehen in der Schweiz nur wenige etablierte Unternehmen Konkurs», sagt Burkard. «Der Niedergang geschieht schleichend mit stetigem Stellenabbau.» Etwa bei der Division Webmaschinen mit 1200 Mitarbeitenden, die von Sulzer in ein Unternehmen namens Sultex ausgegliedert und schliesslich an das italienische Familienunternehmen Itema verkauft wurde. Heute sei dieses wirtschaftlich erfolgreich und pflege sein Erbe. Aber erst nach mindestens vier Massenentlassungen. Heute seien noch knapp 200 Mitarbeitende beschäftigt.
Fünf vor zwölf
Bevor es zum Schlimmsten kommt, habe ein Unternehmen bereits eine längere Leidenszeit mit Zahlungsschwierigkeiten hinter sich. Häufig leisten die Mitarbeitenden zugleich Kurzarbeit. Diesbezüglich seien die kantonalen Arbeitsämter vielfach kulant, «aber nur, wenn eine Aussicht auf Erholung glaubhaft gemacht wird». Und hierbei könnten Gewerkschaften Hand bieten, indem sie zusammen mit dem Unternehmen und den Mitarbeitenden einen Massnahmenkatalog erarbeiten, um das Unternehmen doch noch zu retten.
Als Beispiel nennt Burkard eine Teillohnzahlung. Ein krisengeschütteltes Unternehmen sollte Mitarbeitende und Gewerkschaften jedenfalls immer einbeziehen. «Sie sollen Ideen für einen allfälligen Turnaround einbringen können», sagt Cirigliano. Das gehe aber nur, wenn sich Arbeitgeber in solch schwierigen Momenten nicht verschliessen. Das eine oder andere Unternehmen sei auch schon gerettet worden, weil seine Gewerkschaft rechtzeitig einen Investor gefunden habe, schiebt Burkard nach.
Sei alles Erdenkliche getan worden, um ein Unternehmen zu retten, könne man allenfalls auf die Konkursbehörde einwirken, um ein Nachlassverfahren einzuleiten. Dann würde der verbleibende Unternehmensteil nach einem teilweisen Forderungsverzicht der Gläubiger sozusagen unter neuer Flagge weitersegeln. Wenn die Löhne schon nicht mehr bezahlt werden können und ein Konkurs droht, sei es zu spät, um konstruktive Lösungen zu finden, sagen Burkard und Cirigliano. «Das ist ein Supergau für eine Firma und bedeutet deren rechtliche Auslöschung», so Burkard. «Dann beschäftigen uns vor allem die Lohnzahlungen und die soziale Sicherheit der Angestellten.»
Wie gravierend sich die Unternehmenssituation auch darstellt, «Gewerkschaften bringen eine nützliche Aussensicht in einem schwierigen Moment ein», sagt Cirigliano. «Sie erhöhen damit die Expertise und somit die Überlebenschancen des Unternehmens.» Im schlimmsten Fall könne man im Dialog zumindest eine geordnete und sozialverträgliche Redimensionierung anstreben, gibt Burkard zu bedenken.
Die schlechte Nachricht überbringen
Vom HR erwartet Cirigliano, dass es «die schlechte Botschaft an die Frau und an den Mann bringt, bevor das Konkursamt vor der Tür steht». Es sei zudem die Aufgabe des HR, der Geschäftsleitung klarzumachen, dass es einen Sozialplan brauche und die rechtlichen, sozialen und ethischen Verpflichtungen gegenüber den Mitarbeitenden auch in einer schwierigen Phase einzuhalten seien. «Nebst einer ehrlichen und zeitnahen Mitarbeiterkommunikation muss das HR vor allem dafür einstehen, dass die Sozialversicherungsbeiträge vollumfänglich geleistet werden», sagt Burkard. Kommt es zum Konkurs, sollten die verbleibenden HR-Fachkräfte dafür sorgen, dass alle Beschäftigten möglichst rasch über ihre Guthaben unterrichtet werden und ihre Arbeitszeugnisse erhalten.
Dass HR-Fachleute in solchen Krisensituationen über sich selbst hinauswachsen, hat Burkard öfters erlebt. «Manche haben nach dem Konkurs mit einer rührenden Dienstleistungshaltung, ohne gesichertes Einkommen weitergearbeitet.» Was auch immer passiert: «Das HR sollte keine Angst vor dem Unbekannten haben», wünscht sich Cirigliano für solche Krisenfälle, «und einen offenen Geist behalten.»