Heft Nr. 11/2015: Talentmanagement

Mit Geduld 
Weltmeister züchten

Talentmanagement ist innerhalb von Schweizer Unternehmen allgegenwärtig. Doch wie sehen die Konzepte aus und worauf legen die Arbeitgeber den Fokus? Drei Talentmanager-Gespanne aus dem Gesundheitssektor, dem Detailhandel und der IT-Branche geben einen Einblick.

Wer am Bahnhof St. Gallen ein- und ausfährt, dem lächelt seit einigen Monaten von einem riesigen Plakat der «König von São Paulo» entgegen. Ein Werk der Marketingabteilung der Verwaltungsrechenzentrum AG St. Gallen (VRSG), die bei der Vermarktung ihres Nachwuchstalents ganze Arbeit geleistet hat. «Der Rummel um meine Person war mir zu Anfang unangenehm. Ich bin nicht jemand, der das Rampenlicht sucht», sagt Lars Tönz dazu. Doch mittlerweile habe er sich an die Plakatwerbung gewöhnt, «schliesslich kann ich auf das Erreichte stolz sein».

Mit gutem Grund. Der 19-jährige kann sich Weltmeister nennen. Berufsweltmeister. Zuerst gewann der Informatik-Lehrling vergangenes 
Jahr die Schweizer Berufsmeisterschaften. Diesen Frühling doppelte Lars Tönz mit der besten Praxisarbeit in den Kantonen St. Gallen, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden sowie dem Fürstentum Liechtenstein bei der Lehrabschlussprüfung nach – und im August dieses Jahres gelang dem Junginformatiker das Kunststück, an der Berufsweltmeisterschaft in der brasilianischen Metropole São Paulo abzuräumen.

VRSG: Berufsbildung als Quelle 
für die KMU-Talentschmiede

Diese Triumphe gelangen dem drahtigen Stürmer des Amateurfussballklubs FC Littenau auch dank tatkräftiger Unterstützung seines Arbeitgebers. Tatsächlich hat die VRSG mit der Rekrutierung des damals 16-Jährigen einen Rohdiamanten entdeckt und erfolgreich geschliffen. Für das Ostschweizer IT-Dienstleistungsunternehmen, das sich erfolgreich auf Informatik-Dienstleistungen für Kantons-, Stadt- und Gemeindeverwaltungen spezialisiert hat, keine Selbstverständlichkeit. «Insbesondere, weil ein KMU im Kampf um Talente von morgen nicht über die gleichen finanziellen Mittel wie Grossunternehmen verfügt», sagt Susanne Sutter, Leiterin Human Resources.

Gerade in einem KMU sei «ein funktionierendes Talentmanagement mit Systematik und Konsistenz unabdingbar» – wobei die Strategie dahinter nicht nur dem HR, sondern auch den Linienvorgesetzten klar sein müsse: Für Vollzeitstellen sucht das Unternehmen gezielt nach Lehrabgängern mit starkem Entwicklungspotenzial. «Wir wollen das Leuchten in den Augen hungriger Talente sehen und fokussieren uns nicht nur auf die Schulnoten», sagt die Personalleiterin weiter. Nichtsdestotrotz stellt Sutter klar, dass bei allem Enthusiasmus des Talents in ihrem Betrieb der Abschluss der Sekundarstufe für eine IT-Ausbildung Grundvoraussetzung sei.

Universitätsspital Zürich: Talente mit überfachlichen Kompetenzen gesucht

Anders präsentiert sich die Ausgangslage im Talentmanagement beim Universitätsspital Zürich: «Das Talentmanagement ist ein Kernprozess, der durch das HR gesteuert wird. Dieser Prozess wurde auf die spezifischen Bedürfnisse der gros
sen Berufsgruppen, also Ärzte, Pflege und nicht-medizinische Berufe, zugeschnitten, da sich diese bezüglich Laufbahn wesentlich unterscheiden», sagt Rolf Curschellas. Der 54-Jährige ist HR-Chef des Universitätsspitals. Als Basis für die unterschiedlichen Talentkriterien dienen eine sogenannte «Potential-Performance-Matrix» sowie Talentkonferenzen mit den Führungsteams. «Zu den zentralen Kriterien gehören in hohem Masse überfachliche Kompetenzen wie Wissensmanagement, Umsetzungsstärke, Leadership und Kooperationsfähigkeiten», erklärt Curschellas.

Unter dem Strich benötige das Universitätsspital in allen Fachrichtungen Mitarbeitende, die in ihrem Bereich hochkompetent seien und gleichzeitig in interprofessionellen Teams erfolgreich kooperieren könnten. Die Identifikation und Nomination von Talenten wie auch die Ableitung von individuellen Entwicklungsmassnahmen aus den Assessments liege in der Verantwortung der Linienvorgesetzten. Aufgrund des akuten Fachkräftemangels im Gesundheitsbereich steht Curschellas aber auch unkonventionellen Talenten offen gegenüber. «Wir sind dringend auf Mitarbeitende angewiesen, die über das bisher Bekannte hinausdenken und ihr Handeln selbstkritisch hinterfragen.»

Manor: Corporate Talent Management 
mit regionalen Ansprechpartnern

Auch der Detailhändler Manor ist in einem dynamischen Markt auf ein funktionierendes und erfolgreiches Talentmanagement angewiesen. Gemeinsam mit der Unternehmensberatung Promerit ging Manor daher der Frage nach, wie man sich bei der Ausgestaltung des Talentmanagements von der Konkurrenz abheben könne. Bei Manor liegt die Hoheit über die Konzeption und strategische Ausrichtung des Talentmanagements beim Corporate Talent Management. «Ausserdem haben wir ein regionales Talentmanagement installiert, bei dem wir sowohl Talente wie auch die Vorgesetzten begleiten», sagt Alexander Beck. Der 51-Jährige verantwortet als Head of Human Resources & Talent die Ausrichtung des Talentmanagement-Programms bei Manor. Dieses System sieht jeweils einen «direkten Ansprechpartner» in den einzelnen Units vor.

Talentintegration – eine Operation 
mit Fallstricken

Die Identifikation von Potentials ist beim Talentmanagement jedoch nur die halbe Miete. Denn haben die VRSG, das Universitätsspital und Manor die Talente ausgemacht, gilt es diese rasch in die Teams zu integrieren: In einem dynamischen Umfeld wird von den Potentials nämlich in aller Regel erwartet, nach Antritt der neuen Position umgehend zu «funktionieren». Darüber hinaus droht die Gefahr, dass sich die übrigen Mitarbeitenden dem umsorgten Talent gegenüber herabgesetzt und ungerechtfertigt behandelt fühlen. Die VRSG hat diese Gefahr erkannt, weiss aber mit Lars Tönz gleichzeitig ein pflegeleichtes Talent in seinen Reihen. «Ihm geht divenhaftes Verhalten gänzlich ab. Zudem geht er kameradschaftlich und hilfsbereit auf seine Arbeitskollegen zu. Auf diese Weise erstickt er Neid und Missgunst im Keim», sagt Achi Brunnschweiler, Leiter IT-Ausbildung bei der VRSG.

Bei der Integration setzt der Detailhändler Manor neben der Motivation seiner Talente derweil auf Transparenz. Die Kriterien, um in das Talentprogramm aufgenommen zu werden, werden einerseits allen kommuniziert, «andererseits sprechen wir mit jedem Mitarbeitenden im jährlichen Mitarbeitergespräch über die individuelle Weiterentwicklung entlang der eigenen Stär
ken und Schwächen», erklärt Manor-HR-Chef Alexander Beck. Das Universitätsspital wiederum hat zum Thema der Talentintegration eine dezidierte Meinung: «Talentmanagement ist elitär. Dazu sollte man stehen», so Personalleiter Rolf Curschellas.

Mit Lernwerkstatt realitätsnah 
Talente fördern

Doch die beste Integration zielt ohne die Entwicklung der Talente ins Leere. Mit ihren rund 320 Mitarbeitenden konzentriert sich die VRSG bei der Talententwicklung vorwiegend auf Berufseinsteiger und setzt dabei namentlich auf die sogenannte Lernwerkstatt. «Die Lernwerkstatt ist wie eine Firma in der Firma. Die Lernenden kommen in direkten Kundenkontakt, leisten 
IT-Support und übernehmen Führungsverantwortung», erklärt IT-Ausbildungsleiter Achi Brunnschweiler. Ziel dieses Instruments sei es aber  auch, bei den Jungtalenten in den Bereichen Kommunikation, betriebswirtschaftliches Denken und Leadership Verbesserungen herbeizuführen. «Ausserdem arbeiten an dieser Schnittstelle alle Lernenden miteinander. So können sie voneinander lernen», so Brunnschweiler weiter. Begleitet wird der Nachwuchs von Fach- und Führungskräften, die mit Ratschlägen und den neusten Methoden und Technologien beratend zur Seite stehen.

Manor entwickelt seine Talente derweil entlang der Eckpunkte «geistige Beweglichkeit», «persönliche Wirkung» und «innerer Antrieb». Diese Kriterien wurden laut HR-Chef Alexander Beck mit den Führungskräften des Detailhändlers erarbeitet. Weil die Akzeptanz für diese Leitplanken hoch sei, würden sie in jährlichen Mitarbeitergesprächen vom direkten Vorgesetzten eingesetzt und daraufhin in «kaskadierenden» Talent- und Nachfolgerunden debattiert.

Streitpunkt Bindungsmassnahmen: Die Meinungen gehen auseinander

Wer entsprechend viel in die Entwicklung seiner Talente investiert, wird es klugerweise nicht unterlassen, diese Talente auch an sich zu binden – und zwar möglichst dauerhaft. Doch genau beim Thema Bindung gehen die Meinungen der befragten Talentmanager auseinander. «Das wichtigste Element ist eine sinnvolle, relevante Aufgabe, in der man seine Kompetenz und seine Persönlichkeit einbringen kann», meint Rolf Curschellas vom Universitätsspital Zürich.

Währenddessen beobachtet man bei Manor, dass die Talente von morgen bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung besonders stark auf die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, das Verhältnis mit den Vorgesetzten oder auch die vorherrschende Infrastruktur achten. «Wir erachten deshalb Wertschätzung, Vertrauen den Mitarbeitenden gegenüber, Offenheit, das Aufzeigen von spannenden Karrierewegen, Weiterbildungsmöglichkeiten, eine intakte Unternehmenskultur und höfliche Umgangsformen als essenzielle Treiber bei der Bindung von Talenten», erklärt Alexander Beck.

Die VRSG wiederum setzt bei den jungen Berufsleuten auf direkte Unterstützung in Form von Geld und Zeit: «Junge Talente wollen sich nach der Grundausbildung rasch weiterbilden. Häufig fehlt ihnen dazu aber das Geld oder die Zeit. Hierbei bieten wir gerne Unterstützung, um unsere Talente weiterzuentwickeln und sie an uns zu binden», sagt Susanne Sutter. Von diesem Weg ist die HR-Chefin überzeugt – zumal die Fluktuationsrate letztes Jahr bei rund acht Prozent lag. «Der Schnitt bei IT-Unternehmen liegt deutlich über zehn Prozent.»

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