E-Recruiting

«Active Recruiting»: Talente finden, bevor Vakanzen da sind

E-Recruiting heisst der Ruf, dem immer mehr Personaler folgen. Doch wer auf E-Recruiting setzt, muss seine Personalmarketingmassnahmen ausbauen.

Immer mehr Unternehmen sind mit einem ganzen Bündel von Personalmarketingmassnahmen unterwegs. Vorbereitung, Durchführung und Erfolgskontrolle sind vergleichbar mit dem klassischen Produktmarketing. Der Wettbewerb um die Talente wird nicht allein im Social Web entschieden – vielleicht viel weniger, als das aktuell viele denken. Zahlreiche Umfragen und Studien zum Bewerberverhalten zeigen immer wieder auf, dass die Bekanntheit als attraktiver Arbeitgeber und die Sichtbarkeit der entsprechenden Stellenangebote nur über einen optimalen Kommunikationsmix aus elektronischer, schriftlicher und persönlicher Kommunikation zu erreichen sind. Die Reihenfolge und die Bedeutung der einzelnen Kommunikationsmassnahmen sind für jedes Unternehmen unterschiedlich zu bewerten, weil sie abhängig von der Anzahl der zu beschaffenden Mitarbeiter, vom Ort der jeweiligen Zielgruppe und von der Reputation des Unternehmens in relevanten Beschaffungsmärkten sind. Eins ist aber sicher: Wer nur einen Weg geht, wird bald in einer Sackgasse landen.

Mobile Recruiting gehört die ­Zukunft

Der Siegeszug der mobilen Endgeräte – Smartphones und Tablets – setzt sich weiter fort. Bereits heute erfolgen mehr als die Hälfte der Zugriffe auf die Social (Business) Networks über das mobile Internet. Immer mehr Bewerber suchen nach mobil-optimierten Karriere-Websites und attraktiven Recruiting-Apps. Sie wollen sich mobil informieren, austauschen und bewerben. Unternehmen, die ihre Prozesse und Systeme den neuen Herausforderungen nicht anpassen, werden immer mehr einen nennenswerten Teil potenzieller Bewerber nicht mehr erreichen.

Das klassische Vorgehensmodell im Recruiting – Vakanz, Stellenausschreibung, Auswahl und Besetzung – stösst immer häufiger an seine Grenzen. Es ist zu statisch, zu langwierig und immer weniger effektiv bei der Stellenbesetzung. Selbst die auf Hochglanz polierten Arbeitgebermarken, Top-Karriere-Websites und zeitgeistgemässe, moderne Social-Media-Auftritte lösen nicht die regelmässig zu beobachtenden Schwierigkeiten der Recruiter.

Mehr Flexibilität und Agilität ist das Gebot der Stunde, und wesentlich mehr Vorfeldmarketing ist nötig. Jetzt gilt es, die Potenziale eines weitgehend brachliegenden Beschaffungsmarkts zu erschliessen, der die sogenannten passiv Suchenden umfasst. Das sind nach groben Schätzungen bis zu 80 Prozent des gesamten Bewerbermarkts.

«Active Recruiting» definiert den Beschaffungsprozess neu: Die Suche beginnt mit dem Aufspüren von passenden Talenten oder Profilen, dem sich anschliessenden Kontakt, Beziehungsaufbau und dem Beziehungserhalt. Dann erst folgen das konkrete Jobangebot und die Einleitung des Auswahlprozesses. Im Kern ähnelt dieses Vorgehensmodell stark dem der Personalberater.

Optimierung von Prozessen und Systemen

Kontakte, Interessenten und Bewerber, die über die Vielzahl der unterschiedlichen Kanäle ein Unternehmen erreichen, müssen intern sinnvoll verwaltet und weiterbearbeitet werden können. Allerdings unterscheiden sich nicht nur die Qualität und die Quantität der vorhandenen Daten, sondern auch der Speicherort der Daten. Solange keine eindeutige Bewerbung in einem Unternehmen vorliegt, sind die Daten der Interessenten oft eher rudimentär. Die Daten der Kontakte liegen in Profilen in den sozialen Netzwerken oder in den persönlichen Kontaktordnern der Mitarbeitenden des Unternehmens.

Candidate Experience – das neue Zauberwort

Mehr denn je müssen zukünftig alle Aktivitäten und Verabredungen mit Kandidaten und Interessenten in einem System erfasst und verwaltet werden können. Auch die Kommunikation mit den Kandidaten und Interessenten sollte von einer zentralen Anwendung steuerbar sein, welche den Zugriff über Smartphones und Tablet-Computer erlaubt. Auch hier gilt es, vom Bewerber her zu denken. Candidate Experience heisst das neue Zauberwort.

Recruiting ist heute ein hochkomplexer, spezialisierter und letztlich einer der erfolgskritischen Prozesse im gesamten Talentmanagement und sogar Personalmanagement. Recruiting braucht Marken- und Marketingexpertise, Einblick und Handlungskompetenzen in vielfältigen Informations- und Kommunikationstech­nologien sowie organisationspsychologisches Wissen und Anwendungsfähigkeiten. Doch damit nicht genug: Der gesamte Beschaffungsprozess muss wirtschaftlich, effizient und effektiv organisiert sein. ­Diese Herausforderung kann ein Unternehmen einerseits durch eine weitere Spezialisierung und weiteren Ressourcenaufbau im Unternehmen lösen. Andererseits können sich die Unternehmen eines mittlerweile breit aufgestellten Dienstleisterportfolios bedienen.

Erfolge messen und Kosten kennen

Das Recruiting-Geschäft ist volatil. In Zeiten erhöhter Nachfrage stehen regelmässig die Effektivität der Massnahmen (Wirksamkeit) für den Recruiting-Erfolg und bei nachlassender Nachfrage die ­Effizienz (Wirtschaftlichkeit) der eingesetzten Massnahmen im Vordergrund. Grundsätzlich sollte jedes Unternehmen folgende Kennzahlen heranziehen: Besetzungsquote, Dauer des Besetzungsverfahrens, Kosten des Besetzungsverfahrens, Anzahl der Bewerbungen (auf Ausschreibungen, initiativ und aus aktiver Ansprache), Effizienz und Effektivität einzelner Recruiting-Kanäle (Print, Online und persönliche Kontakte). Hinzu kommen Kennzahlen zu qualitativen Grössen, wie Bekanntheit, Image und Reputation des Unternehmens beziehungsweise Arbeitgeberattraktivität ­gemessen in Ranking-Platzierungen, Awards und Ähnlichem.

 

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Prof. Dr. Wolfgang Jäger lehrt Betriebswirtschaftslehre (v. a. Personal- und Unternehmensführung, Medienmanagement) an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und ist Gesellschafter der Dr. Jäger Management-Beratung und der DJM Consulting GmbH.

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