Auf der Suche nach dem perfekten HR
Als sie mit 25 Jahren ins HR einstieg, wusste sie noch nicht viel über die spannende und vielseitige Aufgabe. Heute ist Nicole Messi verantwortlich für 2300 Mitarbeitende und sagt: «Jawohl, ich kann es!»
Nicole Messi. (Bild: Sabine Schritt)
Sie ist eine Frau mit Prinzipien, eine Frau, die nicht danach strebt, Probleme zu erklären, sondern gezielt nach Lösungen sucht. Nicole Messi ist HR-Direktorin bei der Swiss Automotive Group (SAG), einem Unternehmen, in dem naturgemäss die Männer in der Überzahl sind. Zur Gruppe gehören mittlerweile 12 Unternehmen vom Reifenspezialisten über den Detail- und Grosshandel bis zur IT-Unternehmung. Messi ist für die gesamte Gruppe, also für rund 2300 Mitarbeiter international verantwortlich.
Inwieweit sie sich in der Automobiltechnik auskennt? «Davon verstehe ich nichts, aber ich liebe mein Auto. Und ich fahre für mein Leben gern», sagt sie keck. Dann wird sie wieder ernst: «Ich muss als HR-Direktorin nicht über technische Grundkenntnisse verfügen. Aber ich muss eine Affinität für unser Geschäft haben und dessen Wirkungsweise verstehen. HR ist kein Selbstzweck, sondern immer eingebettet in betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Aspekte. Es muss sich nach der Strategie richten und unterliegt täglich Hunderten von inneren und äusseren Einflüssen. Man wird im HR immer wieder durchgeschüttelt und muss mit Konsequenz und Flexibilität seinen Weg gehen.»
Messi hat die dunklen Haare, durch die in der Sonne ein Hauch Rot schimmert, zu einem Zopf zusammengebunden, die Lippen sind zartrosa betont. Es ist ein heisser Sommertag, doch sie verzichtet nicht auf ihren schwarzen Blazer zum schwarzen Rock. Sie ist aufmerksam, hat stets alles um sich herum im Blick. Schwer vorzustellen, ihr könnte etwas Wesentliches entgehen. Messis Augen funkeln. Wenn sie über «das HR» spricht, ist sie ganz in ihrem Element.
Über Basics und Standards wird nicht diskutiert
Schon immer im Leben, erzählt sie, sei sie auf der Suche nach der Einheit, der Ganzheit, und ist ganz fasziniert von Platons Kugelmenschen. «Das Ganze kann am Ende nur funktionieren, wenn Theorie und Praxis gleichermassen einfliessen.»
Das grosse Ganze muss am Schluss stimmen, und wenn sie noch so lange nach dem fehlenden Teilchen suchen muss. So ist auch ihr Gesamtbild HR mit all seinen kleinen Facetten ein fortwährender Optimierungsprozess auf der Suche nach der Perfektion in Einheit. Sie sei zwar ganz und gar nicht perfekt, doch ihren professionellen Anspruch an ihre Tätigkeit lebe sie jeden Tag. Als Mitglied der Konzernleitung sieht sie sich auch als Verantwortliche für die Nachhaltigkeit in der Pflicht. «Dafür schaffe ich mit Rechtssicherheit, Transparenz und Einfachheit die Basis.» Dazu gehörten einerseits klare, einfache Prozesse, Instrumente und Standards als Rahmenbedingungen. Andererseits auch Konsequenz und Individualität in der Umsetzung. Man ahnt, dass dies im Alltag nicht leicht zusammengeht. «Über Basics und Standards diskutiere ich nicht», erklärt die HR-Direktorin rigoros. «Nur wenn eine gewisse Grundstabilität herrscht, können wir uns individuelle Situationen genau anschauen.» Unermüdlich ist sie dabei, Theorie und Praxis zu verbinden, um dem perfekten HR näher zu kommen.
Nicole Messi
wuchs in Basel-Stadt auf und startete ihre berufliche Laufbahn 1981 nach der A-Matura. Ihre ersten Schritte im HR unternahm sie 1987 im Gastronomie- und Hotelgewerbe. Ab 1988 verfolgte sie konsequent ihren Weg im HR. Zehn Jahre arbeitete sie bei Coop als Leiterin Personelles und von 1999 bis 2005 als Leiterin Human Resources bei Jelmoli. Seitdem ist sie Head of HR und Mitglied der Konzernleitung bei Swiss Automotive Group (international).
Bei der SAG ist derzeit vieles im Umbruch und Messi begleitet als HR-Direktorin sämtliche Transformationsprozesse. Das Wort «Change Management» nimmt sie nicht so gern in den Mund. «Das ist ein ziemlich strapazierter Begriff und umfasst nicht alle Aspekte, wenn Menschen von Veränderungen im Unternehmen betroffen sind. Und nicht nur dann. Change ist immer und überall.» Auch wenn ein Unternehmen nicht mit Fusionen und Kooperationen beschäftigt ist, ist es ständig einem Wandel unterworfen. «Wenn ich das Jahresbudget erstelle, erzeuge ich Wandel. Wenn ich den richtigen Menschen einstelle, gibt es einen Wandel, und wenn ich den falschen einstelle, auch.»
Neben soliden betriebswirtschaftlichen Kenntnissen seien Feingefühl und Empathie für ihre Funktion unabdingbar. «Wir reden hier aber nicht über HR als eine Philosophie, sondern als knallhartes Handwerk.» Und jedes Handwerk brauche eine theoretische Grundbildung. So sehr identifiziert sie sich mit ihrer HR-Arbeit, dass sie irgendwann beschliesst, ihr Wissen weiterzugeben. Seit 2001 ist sie an verschiedenen Bildungsinstituten als Dozentin tätig, von den Zertifikatslehrgängen bis zu den eidgenössischen Diplomen und Nachdiplomstudiengängen sowie auf Stufe Fachhochschule. Aber sie will noch mehr Nutzen schaffen für den HR-Nachwuchs und schreibt 2003 ihr erstes Lehrbuch «Personalarbeit im Unternehmen», zu dem in diesem Jahr ein Nachfolgeband erschienen ist.
Männer und Kindererziehung, Frauen und Karriere: «Nicht reden. Machen!»
Nach der A-Matura, «die man im Berufsleben eigentlich gar nicht gebrauchen kann», ist Messi unschlüssig, was ihren Berufsweg angeht. «Irgendwie hat das mit dem Ganzheitlichen noch nicht so funktioniert.» Ihre Eltern würden sie gerne Naturwissenschaften studieren sehen, sie versucht es mit Jus. «Doch das war es auch nicht. Ich wollte unbedingt in die Praxis, am liebsten hätte ich ein eigenes Hotel oder Restaurant gehabt.» Sie steigt in das Gastrogewerbe ein und beisst sich durch das damals unverzichtbare «Wirtepatent». Als stellvertretende Betriebsleiterin springt sie jedoch ab, weil die Aussicht, diesen Job bis 65 zu machen, sie nicht motiviert.
Sie wechselt in ein Hotel und beginnt dort in der Administration, auch das HR gehört plötzlich zu ihren Aufgaben. «Ich hatte ja gar keine Ahnung», erinnert sie sich lachend. «Grausam, was ich damals alles gemacht habe in der leichten Arroganz, ich kann das, nur weil ich jetzt hier bin.» Sie muss das HR im Betrieb quasi neu erfinden und kann auf keine Basis zurückgreifen.
Trotzdem trifft sie eine Entscheidung fürs Leben: HR. Das ist es. Sie wechselt ins HR in den Detailhandel. Nach und nach sammelt sie HR-Wissen, absolviert die nötigen Weiterbildungen und will sich nicht lange mit Einzelaspekten aufhalten. Das vernetzte Denken ist ihr von Anfang an wichtig.
Ein Lebensentwurf mit Kindern kommt für Messi nie in Frage, und ihre Eltern unterstützen sie darin, nicht dem klassischen Frauenbild zu folgen. Vielleicht, weil sie merken, dass ihre Tochter auf ihren eigenen beruflichen Weg nicht verzichten will. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Messi keine Alternative. «Das habe ich mir einfach nicht zugetraut», gibt sie zu. So sei sie ihren Weg eben ohne Kinder gegangen. Sie möchte sich während ihrer Arbeit nicht Gedanken darüber machen müssen, wann die Schule aus ist. «Aber ich bewundere alle Frauen, die das können und wollen.» Das gelte natürlich auch für Männer, die das wollen, betont sie.
Die Gender-Thematik mache sie nervös. «Hört auf, darüber zu reden, und macht einfach.» Im Grunde solle jedem Menschen jeder Weg offen sein. «Ob Männer nun Kinder erziehen oder Frauen Karriere machen wollen.» Messi bereut ihre Entscheidung nicht und geniesst ihre Unabhängigkeit und Freiheit. Luxus ist für sie, tun und lassen zu können, was sie will.
Loslassen – was im Alltag schwierig ist, funktioniert im freien Fall
In ihrer Freizeit stürzt sich die lebenslustige Messi gerne mit dem Fallschirm in die Tiefe. «Im Flugzeug zu sitzen, rauszuschauen und irgendwann zu springen, das Gefühl ist unbeschreiblich. Allerdings nur, bis der Schirm aufgeht», meint sie. «Dann wird es langweilig. Ich bin nicht so der Typ, der sich von oben in Ruhe die Landschaft ansieht.» Angst kennt sie keine und im freien Fall kann sie alles einmal loslassen. Das gelinge ihr sonst im Alltag nicht so.
Und dann sagt die durchorganisierte HR-Direktorin, bei der immer alles stimmen und ihren Platz haben muss, etwas, das überrascht: «Ich bin ein sehr unsteter Mensch.» Das komme durch ihren ständigen Optimierungsdrang. Immer sei sie auf dem Weg. Mittlerweile ist sie «nebenbei» Bereichsleiterin der HR Akademie und Mitglied der Schulleitung am KLZ (Juventus). Sie ist für sämtliche Lehrgänge in Richtung HR, Coaching und Ausbildner zuständig. In puncto HR macht ihr so schnell keiner etwas vor: «Ich kann das jetzt einfach.» Unterrichten will sie auf jeden Fall weiterhin. Hier scheut sie sich nicht vor der Vereinbarkeit. «Es ist alles eine Frage der Planung. Im Gastgewerbe habe ich gelernt: Das Mise-en-place ist die halbe Arbeit – das praktiziere ich noch heute so.»
20 Sekunden mit Nicole Messi
Ein Lebensmotto: Perfektion wirkt oft banal, und nur der Profi erkennt die Perfektion – also soll man Perfektion dem Profi überlassen
Ein Ort: Meine Wohnung, der Hafen von Hamburg oder Berlin als Ganzes
Das schönste Geschenk: Mein Cembalo und die Gelegenheit, Händel zu spielen
Ein Buch: Möglichst viel Abwechslung, vom Fachbuch bis zur Verschwörungstheorie