Talent Management Systeme

Auf Knopfdruck in die Chefetage?

Im «War for Talents» setzen Unternehmen vermehrt auf Unterstützung durch IT-
Systeme. Falsche Erwartungen im Management und die Bereitschaft, Versprechungen von Anbietern allzu leicht zu vertrauen, resultieren oft in unangenehmen Überraschungen. Die Praxis zeigt: Weniger ist mehr.

Als Antwort auf den «War of Talents» sprechen viele Firmen in ihren Imagebroschüren über Talent Management (TM), Karrierepfade und Nachfolgeplanung. Während einige Unternehmen nur aktuelle Modebegriffe nachsprechen, nehmen andere dieses Thema ernsthaft in Angriff, bilden eigene Abteilungen und versuchen, über Berater oder interne Teams die notwendigen TM-Konzepte, Strategien, Prozesse und Systeme auf den Weg zu bringen.

In welchem Umfang ein Unternehmen bei der Einführung eines Talent-Management-Systems auf die Unterstützung durch externe Berater zurückgreifen soll, hängt vor allem von der verfügbaren Kapazität entsprechend qualifizierter interner Mitarbeiter ab. Wichtig sind die Erfahrungen, um die Anforderungen an ein Talent-
Management-System zu beschreiben, sowie profundes Know-how im Projektmanagement.

Spagat zwischen IT-Infrastruktur und Werbeversprechen

Vor allem grössere Organisationen sind auf geeignete Softwareapplikationen für das Management der Prozesse rund um die Talente angewiesen. Solche Softwarelösungen müssen einer ganzen Reihe individueller Gegebenheiten des Unternehmens Rechnung tragen. Beim Entscheid über die Spezifikationen muss die HR-Abteilung den Spagat zwischen den Vorgaben des «Korsetts» der vorhandenen IT-Infrastruktur auf der einen Seite sowie den Werbeversprechen der Anbieter von Standardlösungen auf der anderen Seite meistern.

Bei der Frage nach der geeigneten Software wird sich im Unternehmen schnell eine Fraktion finden, die darauf besteht, das einzuführende Softwareinstrument für Talent Management müsse der Ergänzungsbaustein der bereits vorhandenen Haussoftware sein. Wer als Verantwortlicher für das Talent Management aus guten Gründen eine andere Lösung bevorzugt, sollte unbedingt den Mut aufbringen, seine kritische Haltung einem nicht passenden Modul gegenüber durchzusetzen.

Dokumentation und Darstellung der Daten von Talenten

Vorsicht ist ebenfalls geboten, wenn Berater oder Vertreter von Talent-Management-Lösungen den Eindruck vermitteln, ein System könne den passenden Kandidaten für die vakante Position auf Knopfdruck auswerfen. Die Erfahrung zeigt, dass bisher alle Versuche gescheitert sind, solche Systeme der Effizienzsteigerung zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für das Talent Management.

Eine geeignete Software muss primär die Anforderungen der Branche, der Unternehmensgrösse und der Unternehmenskultur berücksichtigen. Ausserdem spielt die Struktur der vorhandenen und der zu erhebenden Daten eine wichtige Rolle. Die optimale Lösung muss nicht zwingend der restlichen Unternehmenssoftware-Landschaft entsprechen, sondern muss in erster Linie über gut funktionierende Schnittstellen verfügen. In der Praxis zeigt sich oft, dass insbesondere KMU und spezialisierte Unternehmen mit pragmatischen, schlanken IT-Lösungen am besten fahren.

Die wichtigste Aufgabe der Talent-Management-Software ist es, die Daten von Talenten hinsichtlich ihrer bereits vollzogenen und noch geplanten Entwicklung sauber zu dokumentieren und transparent darzustellen. Auf Knopfdruck muss man in einer Übersicht Kerndaten passender Kandidaten und deren vollzogenen und geplanten Werdegänge aufrufen können.

Videobasierte Lebensläufe 
schaffen Vergleichbarkeit

Zudem sollte man bei Firmen mit mehreren Geschäftsfeldern über einfache Suchfunktionen interne und externe Kandidaten mit bestimmten Kriterien aufrufen und dem Management in Vergleichsgruppen (funktionale Sicht) zusammenstellen, auswerten und präsentieren können.

Ob weitere Funktionalitäten ange
boten werden, sollte sich an den Bedürfnissen, Nutzungsgewohnheiten und Fähigkeiten der Benutzer in der Linie 
orientieren. Die «Flughöhe» der Software muss stimmen: Das Management muss sich rasch ein umfassendes Bild von den internen Kandidaten und externen Bewerbern, ihrer Qualifikation, Entwicklung, Situation und Motivation machen können. Beispielsweise können technische Hilfsmittel wie standardisierte, videobasierte Lebensläufe bei der Darstellung externer Kandidaten die Vergleichbarkeit mit den (bekannteren) internen Kandidaten verbessern.

Talent-Management-Systeme befördern kein Talent auf Knopfdruck in die Chefetage – aber immerhin auf den Radarschirm des Managements.

Acht «Lessons Learned» beim Einsatz von IT-Lösungen im Talent Management (TM)

  1. 
Lassen Sie sich keine Software versprechen, die Ihnen Talente und Karrierewege per Knopfdruck generiert. Suchen Sie eine pragmatische Anwendung, die dem Management relevante Daten aller geeigneten Führungstalente übersichtlich auf den Radarschirm holt.
  2. 
Einfache Bedienung sorgt für Akzeptanz. Die Anwender müssen mit den Auswertungen – auch ohne grosse Schulung – etwas anfangen können. Komplexe, integrierte Softwarelösungen überfordern Gelegenheitsnutzer im Management 
häufig. Das Ergebnis: Das Management urteilt abfällig über die Software und sucht die Talente doch wieder mehrheitlich via Beziehungsnetz.
  3. 
Die Einführung einer speziellen IT-Lösung im Talent Management macht in der Regel nur bei Firmen mit mindestens 200 Führungskräften auf den oberen Führungsebenen Sinn. Schiessen Sie nicht mit Kanonen auf Spatzen.
  4. 
Kommunizieren Sie bei der Einführung der Software klar, dass qualifizierende Gespräche und Interviews nicht ersetzt werden. Nach wie vor müssen HR- und vor allem Linienleute Informationen aus dem TM-System qualifiziert beurteilen und abwägen.
  5. 
Vermeiden Sie bei den Talenten den Eindruck, dass man durch reines Punktesammeln in der IT-Lösung «nach oben» kommt.
  6. 
Sie brauchen eine qualifizierte Longlist (umfassende Liste aller geeigneten Talente) für alle Funktionen des Unternehmens. Nur so wird sichtbar, wo Sie im Talent-Management-Prozess stehen und wo Lücken an Talenten bestehen.
  7. 
Kaufen Sie nur ausgereifte Software, die ohne ständige Updates und neue Features betrieben werden kann. Nur dann generiert sie einen vernünftigen Return on Investment.
  8. 
Ihr Talent Management ist so individuell wie Ihre Führungskräfte und Ihre Mitarbeitenden. Definieren Sie deshalb zuerst und sehr sorgfältig Ihre Anforderungen und suchen Sie erst dann die IT-Lösung mit dem höchsten Erfüllungsgrad.
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Marc G. Krummacher war nach seinem Studium an der HSG im HR-Management der UBS tätig, später als Head HR für den Bereich Einkauf bei Holcim und als Head HR EMEA bei Givaudan. Heute leitet er in Teilzeit die Kader- und Personalentwicklung der Schweizerischen Post und ist Chairma und &Partner der Krummacher&
Partner AG.

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Guido Schmitz-Krummacher arbeitete sechs Jahre in der internationalen Entwicklungshilfe in Kriegsgebieten. Nach 
einer Tätigkeit im Offshore-Investment in Hongkong gestaltete er zehn Jahre lang den Vertriebsbereich der MLP AG in Deutschland massgeblich mit. Heute befasst er sich als Managing Partner der Firma Krummacher&Partner AG mit der Konzeptionierung und Implementierung von Talent-Management-Prozessen.

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