Bürosurfer in Bedrängnis: Firmen sperren aus Misstrauen Facebook & Co.
Facebook hier, Twitter dort ... Soziale Netzwerke sind in aller Munde und in allen Medien. Und zum Leidwesen mancher Unternehmen können die Mitarbeitenden auch während der Arbeitszeit nicht davon lassen. Um nicht die Kontrolle zu verlieren, sperren manche deshalb die Seiten. Doch ob Vertrauen nicht letztlich die bessere Lösung wäre, bleibt fraglich.
Rasant wachsende Onlinegemeinschaften à la Facebook sowie andere beliebte Services, wie solche für Online-Partnersuche oder Blogs, sorgen für viele Diskussionen – gerade auch um deren Nutzung am Arbeitsplatz. Der Auslöser: Einige grosse Unternehmen und Organisationen haben den Zugang zu sozialen Netzwerken und/oder anderen privaten Online-Vergnügungen gesperrt oder verboten. Wie mit deren Nutzung während der Bürozeiten umgegangen werden soll, dazu gibt es in der Schweizer Arbeitswelt keine einheitliche Haltung. Das Spektrum reicht von der Gewährung eines komplett freien Zugriffs auf alle legalen und sittlichen Onlineangebote bis hin zur Sperrung bestimmter Dienste etwa bei Grossbanken, der SBB oder Coop. Sorgen ob der Sicherheit und der Produktivität sind die häufigsten Gründe für das Aus manches privaten Websurfens im Büro.
Ein Auge auf das, was von den über 35 000 Beamten und Angestellten des Bundes im Internet genutzt wird, hat das BIT. Das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation ist für den reibungslosen Betrieb der gesamten IKT-Systeme des Bundes zuständig. «Als Informatik-Fachamt interessiert uns aber vor allem, dass die Infrastruktur für dienstliche Aufgaben verfügbar ist, und nicht, wie Mitarbeiter des Bundes das Internet während ihrer Arbeitszeit allenfalls privat nutzen», sagt BIT-Sprecher Claudio Frigerio.
Gesperrt werden Sites folgender drei Kategorien: Sites mit Kinderpornografie gemäss Vorgaben des Bundesamts für Polizei (fedpol); dann natürlich Sites mit so genannter Malware, denn bei virenverseuchten Websites kann schon ein Besuch ausreichen, um einen digitalen Schädling auf den Bundescomputer zu holen. Da dienstliche Daten auch «gut fliessen» müssen, betont Frigerio: «Wenn wir feststellen, dass es zu Staus auf unserem Netz kommt und die Nutzung nicht dienstlich ist, dann sperren wir den Zugang – unabhängig davon, ob das eine Sport-Site ist oder Facebook.»
Zu viel Facebook-Traffic
Bereits eingreifen musste die SBB. Letzten November wurde der Zugang zu Facebook gesperrt, da «die Seite sehr häufig für private Zwecke genutzt wurde», so Roman Marti von der Medienstelle der SBB. Gesperrt sind auch YouTube und andere Streaming Media Sites, die ein hohes Datenaufkommen produzieren, was betrieblich nicht zu rechtfertigen sei. Grundsätzlich verfolge die SBB allerdings eine liberale Haltung, so Marti, und erlaube den Mitarbeitenden, das Internet am Arbeitsplatz in vernünftigem, geringem Ausmass auch privat zu nutzen.
«Gerade für die Sperrung von Facebook kann man einen ganzen Katalog von Bedenken oder Gründe zur Minderung von Risiken anführen», sagt Marc Henauer, Leiter des Lagezentrums Melde- und Analysestelle Informationssicherung (MELANI) beim Finanzdepartement. So können soziale Netzwerke, bei denen sich ja immer etwas tut und wo häufige Präsenz ein wichtiges Asset ist, die Arbeitseffizienz und Produktivität gefährden. Des Weiteren gebe es natürlich eine Gefahr rein technischer Natur, so Henauer. Und last but not least sieht er die Gefahr des so genannten Social Engineering, also das Risiko, zu viele Daten von sich oder der Arbeitsstelle preiszugeben, die gesammelt und «gewinnversprechend» bei Angriffen wieder eingesetzt werden können.
Nicht wenige Arbeitgeber finden, dass die private Nutzung des Web oder bestimmter Teile davon nicht on the job gehöre. So müssen etwa Mitarbeiter des Kantons Zürich bei Einstellung eine persönliche Erklärung unterschreiben, dass sie zur Kenntnis genommen haben, dass «die private Teilnahme an interaktiven Medien wie Chatrooms und Foren von den Arbeitsplatzcomputern aus einerseits wegen des Zeitverbrauchs und anderseits wegen einer möglichen rufschädigenden Wirkung unzulässig ist», erläutert Susanne Sorg-Keller, Regierungssprecherin des Kantons Zürich.
Zufriedene Mitarbeiter sind tüchtiger
Hingegen können die Kolleginnen und Kollegen beim Kanton Bern Facebook an ihrem Arbeitsplatz noch nutzen. Doch auch hier wird man wegen einer zunehmenden Nutzung unruhig, sodass das Personalamt jetzt beauftragt wurde, ein Positionspapier zu erstellen. Regierungssprecher Christian Kräuchi meint, dass die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Sperrung des Zugriffs auf Facebook hoch ist.
Wenn die private Nutzung des Internets in einem akzeptablen Rahmen stattfinde, solle der Arbeitgeber dies aber ruhig tolerieren, findet Klaus Eck, Experte für Social Media. Am Ende sei ein zufriedener Mitarbeiter tüchtiger, meint der Kommunikationsberater aus München. «Generell sollte die erwartete Leistung die Grundlage der Arbeit sein und nicht die Zeitstruktur», sagt Eck. «Daher sollten klare Zielvereinbarungen getroffen werden, dann muss der Mitarbeiter auch nicht ständig kontrolliert werden.»
Die meisten Unternehmungen, zum Beispiel Novartis, bauen dabei ohnedies auf die Selbstverantwortung des Mitarbeitenden. «Eine gelegentliche Nutzung des Internets zu privaten Zwecken ist in begrenztem Ausmass möglich, vorausgesetzt, es ist im Rahmen einer vertretbaren Verhältnismässigkeit und führt zu keiner Vernachlässigung der Aufgaben und Pflichten der Mitarbeitenden», sagt Novartis-Sprecherin Iris Wahlen. «Für Novartis ist ein unbehinderter Informationsfluss Voraussetzung für Innovation und Geschäftserfolg.» Natürlich gibt es auch beim Pharma-Riesen Regeln zur Nutzung des Internets, die etwa die Risiken, Vertraulichkeit oder den Datenschutz thematisieren.
Missbrauch sollte Chefs auffallen
In verbindlichen Leitlinien oder Vereinbarungen sollte der Arbeitgeber die Privatnutzung des Web absichern, findet auch Klaus Eck. «Sie definieren, welche Rechte er gegenüber dem Mitarbeitenden bezüglich Sperrung bestimmter Angebote oder möglicher Kontrolle der geschäftlichen E-Mail besitzt, wenn er den Verdacht auf Missbrauch hat.»
Ohnehin sollte es dem Vorgesetzten auffallen, wenn Mitarbeitende zu oft privat surfen, findet Max Becker, Präsident der Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement. Dann sollte man das korrigieren – aber «freilich weiss ich, dass viele Chefs sich lieber hinter einem Systemverbot verstecken, als Mitarbeitende zurechtzuweisen».
Klaus Eck betont, «selbst wenn solche Kontrollvorgänge teilweise automatisiert sind, ein Komplettverbot ist aufwändig und nicht durchsetzbar. Menschen werden immer einen Weg finden, Unternehmensnormen zu umgehen. Manchmal genügt dazu schon ein iPhone.» Das ist das generelle Problem bei Sperrungen von Online-Angeboten. Wenn die Arbeit unter den Surfsessions leidet oder wenn ernsthafte technische Probleme auftauchen, sodass dies bedrohliche Formen für den Betrieb annähme, dann könne eine Sperrung von Facebook & Konsorten im Betrieb zwar durchaus Sinn machen, meint Marc Henauer von MELANI. Für Facebook gebe es etwa Zusatzanwendungen, die unter Umständen sogar schädlich für die Unternehmens-IT sein können. Allerdings bringt eine Sperrung meist recht wenig, fügt der Experte für die Sicherung von Informationen an.
So haben etwa Post und Postfinance den Zugang zu sozialen Netzwerken gesperrt, weil es in puncto Sicherheit gewisse Bedenken gebe, sodass die Post diese am Arbeitsplatz ausschliessen will, sagt Postfinance-Sprecher Marc Andrey. Auch solle verhindert werden, «dass allfällige Identitäten von Mitarbeitenden und Kunden ausgekundschaftet und missbraucht werden können», so Andrey. Dabei gehe es nicht nur um private Angaben, sondern auch um Informationen betreffend der Arbeit und des Arbeitsumfelds.
Doch neben einem privat ins Büro mitgebrachtem Smartphone und darauf installiertem Facebook kann das soziale Netzwerk ja auch ungehindert zu Hause benutzt werden. Da hilft es dann nichts, dass der Zugang am Arbeitsplatz gesperrt wurde.
Diesen Unterschied will Klaus Eck ohnehin nicht mehr gelten lassen: «Für mich gibt es im Allgemeinen gar keinen wirklichen privaten Umgang mit dem Internet. Wer sich im Netz bewegt, hinterlässt Spuren, die sich negativ auf die eigene Online-Reputation und die des Arbeitgebers auswirken können.» Und zwar egal, wann und woher der Zugriff erfolgt. Viele Medienexperten plädieren daher dafür, dass Mitarbeiter geradezu ermutigt werden sollten, Social Media zu benutzen, weil sie sich so auch ein Stück Medienkompetenz aneignen könnten. Denn Social Media wird, branchenabhängig, zunehmend auch im beruflichen Umfeld gebraucht – was unter diesen Umständen von den meisten Unternehmungen gestattet wird. Bei Swisscom etwa, wo die interne Kommunikation mithilfe von Web-2.0-Tools stark am Wachsen ist, erläutert Sprecher Olaf Schulze. «Da wir mit unseren verantwortungsbewussten Mitarbeitenden bis jetzt auch nur gute Erfahrungen gemacht haben, verbieten wir solche Plattformen erst mal nicht.»
Der Social-Media-Experte Eck gibt auch zu bedenken, dass die meisten so genannten Digital Natives, also Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, eine Nutzung des Internets auch am Arbeitsplatz stets voraussetzen. «Wenn der Arbeitgeber einem neuen Mitarbeiter gegenüber schon von vornherein ein Misstrauen zeigt, indem er ihm den Zugang ins Internet sperrt, hat er vielleicht eines Tages Mühe, je nach Branche, noch die geeigneten Mitarbeiter zu finden.»
Die Betroffenen selbst, die Mitarbeitenden in Schweizer Unternehmen, nehmen es derweil gelassen.
Eine Quasi-Selbsthilfegruppe auf Facebook namens «Gegen Sperrung von Facebook im Geschäft» hat gerade mal 138 Mitglieder. Ein Nichts in der Welt der sozialen Netzwerke, wo es auch darum geht, so viele Freunde wie möglich zu sammeln. Auch öffentlichen Diskussionen über das Thema zeigen die Mitglieder der Facebook-Gruppe die kalte Schulter: Es gibt ganze vier Einträge, alle vom vergangenen Herbst, vom Tag der Gruppengründung.