In der Musik lässt sich die Chefin auch gern mal selbst dirigieren
Yvonne Lang Ketterer führt seit Juni 2008 den Bereich Lebensversicherung des Finanzdienstleisters Zurich nach dem Prinzip «fair, offen, transparent». Sie schätzt es, wenn andere ihr auch einmal den Spiegel vorhalten, auch wenn das nicht immer angenehm ist, und zeigt damit: Auch im Chefsessel kann man auf dem Teppich bleiben.
Yvonne Lang Ketterer: «Die Freiheit der Offenheit mir gegenüber müssen sich Personalfachleute unbedingt nehmen.» (Bild: Renate Wernli)
Für Krisenzeiten dürfte Yvonne Lang Ketterer gewappnet sein. Auf die Frage, welche Fähigkeiten sie für die kommenden, sicherlich schwierigen Monate hat, antwortet sie nach einer kurzen Denkpause: «Erstens die Tatsache, dass ich auf einen klaren eigenen Werterahmen zurückgreifen kann.» Werte sind bekanntlich definitionsbedürftig. Was versteht sie darunter? Zum Beispiel frage sie sich vor einer schwierigen Personalentscheidung: «Wie würde ich gerne behandelt werden, wenn es mich beträfe?» Auch die Frage «Wie würde ich handeln, wenn es mein eigenes Geld wäre?» sei eine, die sie sich oft stelle.
Eine zweite Fähigkeit, auf die sie sich gerne verlasse, sei ihre Disziplin. Gerade in Krisenzeiten neige man eher dazu, weicher zu werden, sich ein Stück weit gehen zu lassen, Stunden an Stunden zu reihen, Aufgabe auf Aufgabe zu häufen. «Natürlich könnte ich auch 24 Stunden lang am Tag Mails lesen oder Sitzungen abhalten. Aber auf die Dauer würde ich das nicht durchstehen. Niemand hält das durch.»
Haushalten mit den eigenen Kräften
Und wie sie das sagt, wird klar, dass Yvonne Lang Ketterer unter Disziplin gerade nicht den inneren Feldweibel zu verstehen scheint, der gnadenlos zu mehr und immer mehr Überstunden antreibt, sondern eher eine freundliche Kraft, die im richtigen Moment «Stopp» sagt und dafür sorgt, dass auch mal wieder Ruhe einkehrt. «Ich gehe eher wie ein Spitzensportler vor», bestätigt sie, die sich in ihrer Freizeit am liebsten draussen aufhält, rudernd, Golf spielend oder Ski fahrend etwa, «wie jemand, der seine Kräfte genau einsetzt und weiss: Vor Wettkämpfen über die Stränge schlagen bringt nichts, da muss vernünftig gegessen und vernünftig geschlafen werden.» Sie habe in ihrem Leben genügend Unfälle erlebt, um ihre Kondition genau zu kennen und zu wissen, wann genug sei. «Zudem bin ich eine leidenschaftliche Verfechterin des Prinzips der Work-Life Balance», sagt sie.
Wenn sie sich, wie oft im Gespräch, im Stuhl leicht zurücklehnt, sieht sie aus, als sei sie mit ihrem Leben zufrieden, als ruhe sie in sich, während sie gleichzeitig meilenweit entfernt ist von Selbstzufriedenheit und Trägheit. Yvonne Lang Ketterer wirkt, als hätte sie sich «Einfachheit» auf ihre Fahne geschrieben, nicht die Einfachheit jedoch, die durch Einfalt oder ungebührliche Simplifizierung entsteht, sondern eine, die aus einer Abwesenheit von jeglichem Schnickschnack oder künstlicher Kompliziertheit entsteht.
Entsprechend elementar ist auch ihr Arbeitsraum eingerichtet – einfach eines der Eckbüros am Rand eines Grossraumbüros, ein heller, aber überraschend kleiner Raum. Er bietet Platz für den Arbeitstisch, ein paar Regale und einen Sitzungstisch für vier bis fünf Leute. Yvonne Lang Ketterer stellt darin nicht ihre Golfschläger zur Schau, das gerahmte Bild an der Wand ist kein repräsentatives Kunstwerk, sondern eine Erinnerung an einen Workshop. Und auf ihren Regalen finden sich nicht Trophäen oder Diplome, sondern ein Delfinpuzzle, ein paar Jonglierbälle und ein Igel aus Plüsch, der freundlich in die Welt schaut. Hier hält sich offensichtlich jemand auf, der sich nichts aus Status, Macht und Prestigesymbolen macht. «Ränge können mich nicht beeindrucken», betätigt sie. Beeindrucken könnten sie dagegen Menschen, vor allem Menschen, die ihren Job gut machten. «Ganz egal, ob das jemand ist, der die Flure reinigt, oder jemand, der einen Konzern führt.»
In den einschlägigen Zirkeln, Clubs und Netzwerken, in denen sich Manager gerne treffen, dürfte man sie also vergeblich suchen. Von manchen halte sie sich sogar bewusst fern, erklärt sie. «Gerade in hohen Positionen ist die Gefahr gross, dass man sich nur noch in den gleichen Kreisen bewegt, dort, wo alle dasselbe denken und über dieselben Dinge reden.» Den positiven Einfluss von anderen Standpunkten und Ideen, die befruchtende Anregung von fremden Kulturen lernte Yvonne Lang Ketterer bereits als Kind kennen. Sie wuchs in einem Haushalt auf, in dem die internationalen Gäste ihres Vaters, der in einem weltweit operierenden Konzern tätig war, ein und aus gingen. Die Nähe zu Menschen, die mit der Versicherungswelt nichts zu tun haben, sucht sie weiterhin bewusst.
Nicht zuletzt deshalb ist sie in einer Musikgesellschaft aktiv, in der sie – sofern es die Agenda zulässt – wöchentlich Klarinette oder Fagott spielt und auch ab und zu an Konzerten auftritt. In Uniform, selbstverständlich. «Ich empfinde es als sehr bereichernd, dort beispielsweise mit einem Handwerker über seinen Alltag und seine Sorgen zu sprechen.» Darüber hinaus sei es gerade für sie als Chefin eine sehr belebende Erfahrung, beim Dirigenten wieder einmal mit einem direkten Vorgesetzten konfrontiert zu sein – anders gesagt: ab und zu mal wieder den Marsch geblasen zu bekommen. «Besonders, wenn ich nicht geübt habe», lacht sie. «Natürlich weiss ich selber, wenn das der Fall ist, aber es tut halt gut, Kritik so unmissverständlich und klar serviert zu bekommen.»
Eine klare Ansprache erwartet sie deshalb – neben der fachlichen Kompetenz – auch von ihren HR-Managerinnen und -Managern: «Sie sollen mir den Spiegel vorhalten, auch wenn dies nicht immer angenehm oder einfach ist.» Weil die Personalfachleute näher an den Mitarbeitenden seien, bekämen sie vieles mit, von dem sie selbst durch ihre Position zu weit entfernt sei, emotionale Tendenzen etwa, Verunsicherung oder Unzufriedenheit. «Die Freiheit, mir solche Sachen zu sagen, müssen sich Personalfachleute unbedingt nehmen.»
Mit Jeans und T-Shirt ins Büro
Ganz allgemein dürften Duckmäuser oder Heimlichtuer bei ihr ein schweres Leben haben. Ein leichteres dagegen, wer ihrer Gradlinigkeit mit ebensolcher begegnet. «Ehrlichkeit, Offenheit und Verbindlichkeit» erwarte sie von ihren Mitarbeitenden, bestätigt sie und erklärt, geradezu «gottslausig» könne sie ärgern, wer Probleme auszusitzen versuche, statt sie zügig und von sich aus anzusprechen. Auch mit Arroganz und Ineffizienz habe sie ihre liebe Mühe: «Wer unvorbereitet in eine Sitzung kommt, stiehlt mir kostbare Zeit.» Und riskiert, ins Büro zurückgeschickt zu werden, um dort erst mal seine Arbeit zu machen. Auf der anderen Seite sei es ihr auch im Arbeitsalltag wichtig, Spass zu haben, einmal in Ruhe miteinander eine Tasse Kaffee zu trinken und über anderes zu reden als über das Lebensversicherungsgeschäft.
Den Eindruck, als habe sich Yvonne Lang Ketterer in neunzehnjähriger mühevoller Kleinarbeit im Versicherungskonzern hochgearbeitet und sich dabei alle Ecken und Kanten abschleifen lassen, vermittelt sie nicht. Im Gegenteil: Mit spitzbübischem Lächeln erzählt sie von den verdutzten Gesichtern, die ihr jeweils an den Tagen begegnen, an denen sie morgens in Jeans und T-Shirt erscheine. «Warum sollte ich nicht, wenn ich den ganzen Tag bloss im Büro sitze?» Karrieren, erklärt sie bescheiden, seien immer auch von günstigen Konstellationen abhängig, vom Zufall und von Vorgesetzten, die einen förderten oder nicht. Im Zurich-Konzern seien die Kultur und die Strukturen so eingerichtet, dass prinzipiell auch Frauen den Weg nach oben antreten könnten.
Flexible Arbeitszeitmodelle, Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit, Krippenlösungen – alles, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinfache, sei vorhanden. «Selbstverständlich auch für Männer, die ihre Vaterrolle ausüben möchten.» Allerdings, betont sie, gehöre zum Aufstieg auch eine ordentliche Portion Beharrlichkeit und der Mut, sich zu exponieren. Karrierewilligen Frauen würde sie raten, öfter mal den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, Herausforderungen zu suchen und auch anzunehmen. «Wer etwas Spannendes angeboten bekommt, sollte nicht allzu oft Nein sagen.» Ihr selbst scheint es grundsätzlich leicht gefallen zu sein, Ja zu sagen zu Neuem, zu neuen Aufgaben, zu neuen Positionen.
Ihre Wechsel innerhalb des Konzerns erfolgten in schöner Regelmässigkeit von ungefähr drei Jahren und führten sie dabei in ganz unterschiedliche Bereiche. «Manchmal ist es mir fast ein wenig zu schnell gegangen», meint sie, es sei alles so spannend gewesen, dass sie sich durchaus noch mehr hätte vertiefen können. Langweilig wird es ihr auf dem Chefsessel von Zurich Leben Schweiz mit Sicherheit auch nicht werden, dafür sorgen diesmal alleine schon die äusseren Umstände.
Yvonne Lang Ketterer
Yvonne Lang Ketterer hat ein Betriebswirtschaftsstudium an der Universität Zürich absolviert. Seit sie 1991 zu Zurich stiess, hatte sie verschiedene leitende Funktionen im internen Consulting, im Vertrieb und im Marketing inne. Mehr als vier Jahre war sie Verkaufsleiterin der Ost- und Zentralschweiz. In ihrer letzten Funktion war sie Leiterin des Bereichs Direct & Distribution Partners. Seit Juni 2008 ist sie CEO von Zurich Leben Schweiz und als solche auch Mitglied der Geschäftsleitung von Zurich Schweiz und des Global Life Executive Committee.