HR Today Nr. 10/2022: Green Economy

«Die Ernsthaftigkeit ist gestiegen»

«Green Economy» ist für ihn das tägliche Brot. Ralf Utermöhlen, Umweltgutachter und Geschäftsführer der Agimus GmbH, spricht über nachhaltige Unternehmen und die Rolle von HR im Wandlungsprozess.

Alle sprechen von «Green Economy». Was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Ralf Utermöhlen: «Green Economy» ist eine Wirtschaft, in der ausschliesslich Produkte und Dienstleistungen hergestellt und vermarktet werden, die den Kriterien der «starken Nachhaltigkeit» entsprechen. Das heisst unter ­anderem, dass sie klimaneutral sind, die Umwelt nicht mit Schadstoffen belasten und unter fairen Bedingungen hergestellt wurden.

Was ist ein «nachhaltiges» Unternehmen?

Um als «nachhaltig» zu gelten, muss ein Unternehmen ein Geschäftsmodell besitzen, das dieser Zielstellung genügt. Nehmen wir beispielsweise einen Bürostuhl-Hersteller: Produziert er seine Produkte ausschliesslich aus nachwachsenden Rohstoffen und bietet er seiner Kundschaft einen After-Sales-Service, mit dem die Stühle ihre Lebensdauer verlängern und er die Rohstoffe zurückgewinnt, wäre das nachhaltig. Beispielsweise, indem er verschmutzte Polster austauscht und die Stühle regelmässig wartet. So hält ein Bürostuhl nicht nur zehn, sondern mindestens 30 Jahre. Dementsprechend braucht es aber ein zeitloses Design. Ist der Bürostuhl hinüber, nimmt der Hersteller ihn zurück, recycelt ihn und verwendet einzelne Teile wieder.

Ralf Utermöhlen

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Dr. Ralf Utermöhlen ist Umweltgutachter und Geschäftsführer der Agimus GmbH. Der promovierte Chemiker berät seit 1991 Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen. Der Experte und Autor in Green Economy interessiert sich für die Themen Kreislaufwirtschaft, Klimaneutralität und grünes Change Management, 

Was sind dann die am wenigsten nachhaltigen Unternehmen?

Ich nenne ungern Namen, aber das sind unter anderem solche in der energieerzeugenden Industrie, die sehr viele klimaschädliche Gase ausstossen. Aber natürlich auch  die Flugindustrie, die nach wie vor nicht nachhaltig ist.

Was haben Unternehmen davon, wenn sie sich einem Kulturwandel im Sinne der «Green Economy» unterziehen?

«Green Economy» ist ein wichtiger Recruiting-Faktor geworden. High Potentials kommen erst, wenn Unternehmen belegen, dass ihnen die Umwelt und soziale Themen nicht egal sind. Ein weiterer Faktor ist das Firmen-Image, das sich durch ein Engagement verbessert oder bei einem Nicht-Engagement verschlechtert. Ausserdem ist ein grünes Geschäftsmodell auch eine Chance, die bestehende Kundschaft zu halten und neue zu gewinnen.

Welche Rolle spielt HR bei diesem Wandlungsprozess?

HR kann drei Dinge tun: Beim Recruiting kann es bevorzugt Mitarbeitende einstellen, die sich für eine grüne Wirtschaft interessieren und eine Unternehmenstransformation miterleben ­wollen. In der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitenden ist viel zu tun, indem HR die Nachhaltigkeit bei allen Fortbildungen und Personalentwicklungsmassnahmen aufgreift. Zu guter Letzt kann HR auch den Bereich Benefits & Compensations gestalten. Etwa, indem es Mobilitätsbudgets fördert statt die Nutzung von Dienstwagen. Sie sprechen von spezifischer Aus- und Weiterbildung.

Was verstehen Sie darunter?

In der Produktentwicklungsabteilung könnten Mitarbeitende von Profis zu neuen klimaneutralen Materialien geschult werden. An der Werkbank muss bei Mitarbeitenden das Verständnis dafür geweckt werden, Abfälle zu vermeiden, zu trennen und zu recyceln, Energie zu sparen oder bei Abwesenheit Maschinen in den Pausenmodus zu fahren. Beim Einkauf wiederum lernen die Beschäftigten, was ein nachhaltiges Supply-Chain-Management ist und wie sie die Nachhaltigkeitsaussagen eines Lieferanten werten sollen. Beim Vertrieb wiederum definiere ich, welche Nachhaltigkeitsattribute Produkte und Dienstleistungen bereits besitzen, wie klimaneutral sind sie, wie sie beworben werden und was der Kundschaft erzählt wird.

Inwiefern besteht in den Firmen dafür bereits ein Bewusstsein?

Ich bin seit über 30 Jahren im Umweltbereich tätig. In dieser Zeit hat sich vieles verändert. Natürlich gibt es immer noch Unternehmen, die sich fragen: Warum sollen wir etwas tun? Die meisten interessiert das Thema Nachhaltigkeit aber, da die Öffentlichkeit es je länger je mehr fordert. Auch die Ernsthaftigkeit ist in den Betrieben gestiegen. Waren die Ansprechpersonen in den ersten Jahren meiner Tätigkeit auf der zweiten oder dritten operativen Unternehmensebene angesiedelt, sprechen wir mittlerweile mit CEOs, weil das Thema inzwischen eine strategische Führungsqualität besitzt.

Nachhaltigkeit ist oft ein Thema der «grossen» Betriebe. Wie können sich KMU dem annehmen?

KMU sind genauso betroffen wie Grosskonzerne. Da die meisten Firmen zu wenig interne Ressourcen haben, empfehle ich einen externen Strategieberater, der sich das Geschäftsmodell anschaut, eine Nachhaltigkeitsstrategie aufsetzt und Ideen in den Betrieb reinbringt.

Wie erzielt man die grösste Hebelwirkung?

Erstens: Was bedeutet die Transformation zur nachhaltigen Entwicklung für unser Geschäftsmodell? Zweitens: Wo besitzen wir Konfliktpunkte bei der nachhaltigen Entwicklung? Verbrauchen wir beispielsweise noch zu viel fossile Energie, bieten wir in der Kantine zu viele Fleischgerichte an oder stellen wir nicht nachhaltige Produkte her? Und drittens: Was können wir besonders gut und wie können wir das im Kontext der nachhaltigen Entwicklung nutzen? Weiss ich, dass ich gut darin bin, Hochleistungs-Präzisionsschleifen herzustellen, ist es egal, ob ich das für Kraftwagen oder Windkraftanlagen tue.

Die grösste Hebelwirkung hat jedoch die Frage: Wie sieht unser Unternehmen aus, wenn wir unser Geschäftsmodell nachhaltig umstellen?

Inwiefern beeinflusst die drohende Energiekrise die «Green Economy»? Weil die Energieversorgungssicherheit relevanter wird und die Unternehmen Angst haben, nicht unbeschadet über den Winter zu kommen, lohnt es sich vermehrt, über das Potenzial von Klimaneutralität und Energieeffizienz nachzudenken. Sie sagten: «Es ist ein Sandkasten-Argument, wir können nichts tun. Wir können sehr wohl etwas tun und natürlich müssen wir was tun. Wir können zeigen, wie eine nachhaltige Industriegesellschaft funktioniert.»

Warum ist es so schwierig, Unternehmen davon zu überzeugen?

Das ist der Glaube an das Kölsche Grundgesetz «Es ist immer noch gut gegangen.» Das ist menschlich. Hinzu kommt, dass es einfacher ist, einem Unternehmen zu sagen, dass es durch eine Verhaltensänderung bei der Abfalltrennung im Jahr 20 000 Euro sparen kann, als wenn man sagt, euer Produkt gibt es in den nächsten fünf Jahren nicht mehr, entwickelt ein neues für einen neuen Markt. Hinzu kommt die alte Leier, als Einzelner kann ich eh nichts tun. Wenn ich mit meiner Familie Abfälle trenne und mich mehrheitlich pflanzenbasiert ernähre, macht das die Welt nicht viel besser, das stimmt. Aber wenn es keiner tut, geraten wir in eine Katastrophe.

Würden von heute auf morgen alle Unternehmen «nachhaltig», wie würde man das merken?

Daran, dass es sehr viele Produkte, die wir heute noch konsumieren, in dieser Form nicht mehr geben würde. Zudem gäbe es viel mehr Reparatur- und Dienstleistungsservice-Unternehmen, die Dinge reparieren und ihnen ein zweites Leben einhauchen. Ausserdem würden sich Berufe wandeln. Das wäre übrigens nicht nur nachhaltig, sondern würde Arbeitsplätze für Menschen generieren, die nicht zwingend Akademikerinnen und Akademiker sind.

Buchtipp

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Was jede Führungskraft über Green Economy und nachhaltige Entwicklung wissen sollte

Ralf Utermöhlen, Welfenakademie-­Verlag, 2015, 288 Seiten

Nachhaltigkeit ist doch bereits in aller Munde. Warum noch ein Buch? Nachhaltige Entwicklung bedingt eine Wirtschaftsweise, die künftige Generationen vergleichbare Ausgangsbedingungen bietet. Die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung und der Green Economy beinhalten für viele Unternehmen jedoch Risiken für bestehende Geschäftsmodelle. Nachhaltigkeit ist dennoch eine gewaltige Chance für eine sichere Unternehmenszukunft. Dieses Buch von Ralf Utermöhlen bietet nebst nützlichen Denkanstössen zehn Checklisten, um zu überprüfen, wie nachhaltig das eigene Unternehmen und sein Geschäftsmodell sind.

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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