Arbeitsfähigkeit

Die Post hilft hunderten Angestellten, Berufsabschlüsse nachzuholen

Die Schweizerische Post hat seit 2005 über 300 langjährigen Mitarbeitenden berufsbegleitend zu einem eidgenössisch 
anerkannten Berufsabschluss verholfen. Das Projekt ValiPoste basiert auf den Bestimmungen des neuen Berufsbildungsgesetzes und hat nationalen Vorbildcharakter. Verantwortliche, Ausbildner und Auszubildende hatten dabei mit einigen Hindernissen zu kämpfen.

Seit 2004 ermöglicht es das neue Berufsbildungsgesetz, sich beruflich und ausserberuflich gewonnene Kompetenzen und Fähigkeiten für den Erwerb eines eidgenössischen Abschlusses anrechnen zu lassen. Diese so genannte Validierung von Bildungsleistungen kann entweder von Einzelpersonen oder von einer ganzen Berufsgruppe mit ähnlichen Funktionen genutzt werden. Aufbauend auf den angerechneten Kompetenzen kann entweder ein Diplom direkt vergeben oder eine massgeschneiderte ergänzende Bildung bestimmt werden. Im Projekt ValiPoste wählte die Post für die Gruppe der Logistikmitarbeitenden den Weg einer kollektiven Anrechnung.

Über 300 Abschlüsse

«Ausgangspunkt für die Lancierung des Projekts ValiPoste waren Veränderungen im 
Umfeld des Unternehmens: Die wachsende Konkurrenz, der technische Fortschritt und die veränderten Kundenwünsche hatten das traditionelle Berufsbild der Postangestellten nachhaltig verändert», erläutert Andreas Kübli, Leiter Personalentwicklung des Bereichs PostMail.

Während die jungen Lernenden bereits seit über zehn Jahren ausschliesslich an erkannte Abschlüsse erwerben, arbeiteten und arbeiten bei der Post noch zahlreiche Mitarbeitende mit Monopolabschlüssen aus PTT-Zeiten vor 1998. Diese waren stark auf die 
Bedürfnisse des Monopolisten ausgerichtet und genügen den heutigen Anforderungen der Berufswelt nur noch sehr bedingt.

Seit dem Start des Projekts im Jahre 2005 
haben bereits gut 300 Logistikmitarbeitende aus der Sortierung (Briefzentren) das Verfahren erfolgreich abgeschlossen, weitere knapp 400 Teilnehmende aus der Zustellung befinden sich in Ausbildung. Das Anmeldeverfahren für die nächste Etappe (2008/2010) läuft noch bis Ende September 2008, weitere sind in Planung. Mit dem Programm will die Post ihre Mitarbeitenden arbeitsfähig machen und ihnen auch Möglichkeiten auf dem externen Arbeitsmarkt eröffnen.

Kernstück Arbeitsanalyse

Am Anfang des Projekts ValiPoste stand die Arbeitsanalyse. Das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) in Lausanne untersuchte die Tätigkeiten der 
Logistikmitarbeitenden vor Ort, studierte die ursprüngliche Monopolausbildung und rechnete gewisse Kompetenzen an. Darauf aufbauend konzipierte das EHB schliesslich einen Vorschlag für Dauer und Inhalt einer ergänzenden Bildung. Diese Arbeit wurde von der Schweizerischen Vereinigung für die Berufsbildung in der Logistik (SVBL) und verschiedenen kantonalen Prüfungsexperten unterstützt und begleitet. «Die Prüfungsexperten stammten oft aus postfremden Lagerbetrieben», erklärt Pierre Marville, Leiter Berufsbildung der Schweizerischen Post. «Sie sind wichtige Partner im ganzen Projekt und 
garantieren die Glaubwürdigkeit und die 
Akzeptanz des Verfahrens in der ganzen 
Branche.»

Die kantonalen Experten zeigten sich von den Kompetenzen der Postmitarbeitenden 
beeindruckt: «Wir hätten nicht gedacht, wie viel Logistik-Know-how die Postleute schon mitbringen», war eine oft gehörte Bemerkung.
Die vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) und der Post gemeinsam getragenen Entwicklungskosten betrugen insgesamt knapp eine Million Franken.
Massgeschneiderte Weiterbildung schliesst gezielt die Lücken.

«Die Teilnehmenden bringen aus ihrer ursprünglichen postalischen Ausbildung und aus ihrer täglichen Arbeit schon eine Menge an Fachwissen mit», erläutert Kübli. In der Weiterbildung schliessen die Teilnehmenden dann gezielt ihre Lücken im Bereich der Lagertheorie und bringen so ihre Kenntnisse auf den Stand der jungen Lernenden. Zusätzlich wird auch an weiteren Qualifikationen gefeilt. «Sie lernen so nur das, was sie noch nicht können», bringt es Kübli auf den Punkt.

Den Beginn der Ausbildung markiert ein obligatorischer Workshop unter der Leitung eines erfahrenen Berufsbildners beziehungsweise eines HR-Profis. Der Workshop dient neben der Vermittlung von Informationen zur Weiterbildung vor allem zur Bewusstmachung der eigenen Kompetenzen. Danach durchlaufen die Teilnehmenden während zehn Ausbildungstagen eine Reihe von berufspraktischen Modulen. Sie erwerben einen anerkannten Ausweis für Gabelstapler, vertiefen ihre Kenntnisse im Umgang mit gefährlichen Gütern und in der Lagerlogistik. Zusätzlich zu diesen berufspraktischen Kursen besuchen alle Teilnehmenden 24 Lektionen im Bereich der allgemeinen Berufskunde für Logistikassistenten. Hinzu kommen 160 Lektionen im allgemein bildenden Unterricht an einer 
Berufsfachschule. Davon dispensiert werden nur Teilnehmende, die bereits ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis haben.

Das ganze Verfahren dauert vom Workshop bis zur Übergabe des eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses etwa 18 Monate. Die gesamten direkten Kosten – ohne Arbeitszeit – belaufen sich pro Teilnehmer auf etwa 4500 Franken; ein im Vergleich mit herkömmlichen Ausbildungen für Erwachsene äusserst günstiger Betrag.

Anfängliche Skepsis weicht dem Stolz auf das Erreichte

«Die meisten möglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten einen riesigen Respekt vor einer solchen Weiterbildung», erläutert Kübli. Für viele von ihnen war es die erste schulische Herausforderung seit längerer Zeit. Die bisherige Erfahrung zeigt auch, dass etwa ein Fünftel der Lernenden die Ausbildung vorzeitig abbrechen, zum überwiegenden Teil aus beruflicher beziehungsweise schulischer Überforderung.

Bei denjenigen, die die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, überwiegen 
Freude und Stolz auf das Erreichte. «Ich hätte mir nie zugetraut, diese Ausbildung so gut zu meistern», sagte eine Absolventin. «Ich habe nicht nur viel Nützliches gelernt, sondern auch viel Selbstvertrauen gewonnen», meint ein anderer Teilnehmer. Besonders angetan von der Leistungsbereitschaft der Pöstler 
zeigen sich die Ausbildner und die Berufsfachschullehrer. «Ich freue mich jede Woche auf diese motivierten Pöstler», hiess es von einer Lehrkraft aus einer Berufsfachschule.

Erfolg durch engagierte Partner

Das Projekt wurde vom BBT und der Post gemeinsam lanciert. Ohne die Unterstützung weiterer Partner wie der Schweizerischen 
Vereinigung für die Berufsbildung in der 
Logistik, der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz, sechs kantonalen Berufsbildungsämtern und acht Berufsfachschulen wären die bisherigen Erfolge nicht möglich gewesen. «In der nächsten Phase werden sich drei weitere Kantone und Berufsfachschulen beteiligen», zeigt sich Marville erfreut.

Zielgruppe zwischen 30 und 50

Voraussetzung für die Teilnahme am Verfahren ist eine abgeschlossene Monopolausbildung als uniformierter Postbeamter oder ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis als Postangestellter sowie mindestens fünf Jahre Berufserfahrung in der entsprechenden Tätigkeit. Grundsätzlich steht die Weiterbildung allen Mitarbeitenden mit diesem Profil offen, 
besonders gefördert wird die Teilnahme 
von Teamleitenden und Lehrmeister/innen. Der Grossteil der Teilnehmenden ist zwischen 30 und 50 Jahren alt. Unter 30-Jährige kommen als Zielpublikum kaum in Frage, da sie bereits über einen anerkannten Abschluss verfügen, während über 50-Jährige lediglich in Ausnahmefällen zu motivieren sind, die Ausbildung noch in Angriff zu nehmen. Selbstverständlich ist die Teilnahme für alle freiwillig.

Kommunikationshürden als grösste Herausforderung

«Die Kommunikation im Projekt war von Beginn weg eines unserer grössten Probleme, obwohl wir das eigentlich vorausgesehen hatten», gibt Kübli zu. Die Teilnehmenden kritisierten Art und Zeitpunkt der Information und fühlten sich generell nicht auf dem Laufenden. «Es war wirklich schlecht, dass wir erst während der Ausbildung über dieses Modul informiert wurden», hiess es von einem Lernenden aus der Berufsfachschule in Dietikon. Was war passiert?

Die Projektleitung hatte in Zusammenarbeit mit HR-Fachleuten in flächendeckenden Informationsveranstaltungen zu Beginn Vorgesetzte und potenzielle Lernende auf das 
Angebot aufmerksam gemacht. Artikel in 
diversen internen Publikationen und Informationen im Intranet ergänzten die Massnahmen. Zudem wurde den Teilnehmenden in allen Regionen vor Ort ein Ansprechpartner zur Seite gestellt. Weshalb waren viele Teilnehmende dennoch so unzufrieden mit der Kommunikation?

Im Projekt ValiPoste war zu Beginn der Zeitdruck – auch bedingt durch eine bedeutende Restrukturierung der Briefsortierung – sehr gross. Als störend empfanden viele 
Beteiligte die Tatsache, dass zu Beginn des Verfahrens etliche Details noch nicht geklärt waren und viele Entscheide erst während der Umsetzung kurzfristig gefällt werden mussten. «Die Teilnehmenden reagierten teilweise ungehalten auf Ungewissheiten. Das hatten wir nicht erwartet», sagt Kübli. Erschwerend kam hinzu, dass viele Teilnehmende zu Beginn des Projekts unter ihrer ungewissen beruflichen Zukunft litten.

Während der Umsetzung des Projekts wurden die Informationsmöglichkeiten dann stets verbessert und verfeinert; namentlich wurden die Möglichkeiten des Intranets besser genutzt und eine Kommunikationsfachfrau begleitet nun alle Massnahmen und Angebote. Zusätzlich wurden die Informationen im obligatorischen Workshop zu Beginn ausgeweitet und verbessert. Im Einzelnen konnten Details wie die genauen Stundenpläne und Weiterbildungsorte früher bekannt gegeben werden.

Trotz inzwischen wesentlich besserer Rückmeldungen bleiben die Kommunikationsrisiken bestehen. «Die projektartige Gestaltung der Weiterbildung mit einer damit verbundenen rollenden Planung kann naturgemäss nie dieselben Gewissheiten wie ein eingeführtes Weiterbildungsangebot beinhalten», so Marville.

Besondere Erfolge

Die Mitarbeitenden haben durch ihre Qualifizierung die Möglichkeit genutzt, auch Stellen ausserhalb des Unternehmens zu suchen. Eine ganze Reihe von Teilnehmenden hat denn auch Jobs in Lagerbetrieben ausserhalb der Post gefunden. Ohne die Qualifizierung durch das Projekt ValiPoste wären diese Erfolge kaum zu realisieren gewesen.

«Besonders beeindruckt haben uns zwei Mitarbeitende, die nach Erwerb ihres eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses eine Ausbildung in der höheren Berufsbildung in Angriff genommen haben», erzählt Kübli.

Fazit

«Hätte ich bei ValiPoste nicht mitgemacht, wäre ich ja wirklich blöd gewesen!» Diese Aussage einer Teilnehmerin aus der Berufsfachschule Thun verdeutlicht beispielhaft, dass die Teilnehmenden die Ausbildung schätzen. Anfängliche Skepsis wich in den meisten Fällen Begeisterung über das Gelernte und Stolz auf das Erreichte. Die Projektleitung von ValiPoste ist der Auffassung, dass sich der grosse Aufwand zu Beginn des Projekts gelohnt hat. Auf erwachsenengerechte und innovative Weise können hunderte von Mitarbeitenden einen anerkannten und modernen Abschluss erwerben.

Arbeitsmarktfähigkeit und Arbeitsfähigkeit

Die Arbeitsmarktfähigkeit bezeichnet die 
umfassende Fähigkeit einer Person, sich im Stellenmarkt zu behaupten. Unter Arbeits
fähigkeit verstehen wir einen Bestandteil der Arbeitsmarktfähigkeit; nämlich einerseits die individuellen Ressourcen des Arbeitnehmers (körperliche, mentale, soziale Fähigkeiten, Gesundheit, Kompetenz, Werte), andererseits die eigentliche Arbeitsfähigkeit (Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, soziales Arbeitsumfeld, Führung). Im Projekt ValiPoste wird durch 
den Erwerb eines eidgenössischen Berufs
abschlusses nicht nur die Arbeitsmarkt
fähigkeit massgeblich verbessert, sondern auch die Arbeitsfähigkeit. Die Teilnehmenden 
erwerben Arbeitsinhalte, welche ihnen – zum 
Beispiel als Lehrmeister – ermöglichen, ihre 
aktuellen beruflichen Aufgaben noch besser zu erfüllen.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Kilian Schreiber leitete diverse Projekte im Personalmanagement in den Bereichen Personalcontrolling, Personalmarketing und Personalentwicklung. Seit 2006 ist er Projektleiter Berufsbildung Post.

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